Nahost

Tanz auf dem Vulkan: Der Libanon im Würgegriff der Geopolitik

Der Libanon, dessen politische Akteure unter Einfluss ausländischer Mächte stehen, muss sich innenpolitisch neu sortieren. Der Rücktritt der Regierung Hariri Ende letzten Jahres war überfällig, doch die wachsende Macht der Hisbollah lässt in Israel die Alarmsirenen erklingen.
Tanz auf dem Vulkan: Der Libanon im Würgegriff der GeopolitikQuelle: Reuters © Mohamed Azakir/Reuters

von Arkadi Shtaev

Über zwei Jahre sind seit dem bizarren TV-Auftritt des libanesischen Premierministers Saad Hariri vergangen. An jenem denkwürdigen 4. November 2017 erklärte Hariri, der neben der libanesischen auch die saudische Staatsbürgerschaft besitzt, im saudischen Fernsehen seinen Rücktritt vom Amt. "Ich spüre, dass eine Verschwörung läuft, die auf mein Leben abzielt", raunte er damals vor laufenden Kameras und bezog sich dabei auf das Attentat auf seinen Vater Rafiq Hariri, der am 14. Februar 2005 in Beirut ermordet wurde.

Hariri, der wie sein Vater ein Günstling der Saudis war, wirkte beim Ablesen seiner Rücktrittserklärung im saudischen Fernsehen selbst für unvoreingenommene Beobachter so, als täte er dies unter dem Druck seiner Gastgeber. Die Erklärung, die so vorgetragen wurde, als würde sie Saad Hariri zum ersten Mal lesen, war von Anti-Iran- und Anti-Hisbollah-Stellungnahmen flankiert. Experten ließen damals verlautbaren, dass Hariri sich nicht freiwillig in Saudi-Arabien aufhielt, sondern dass er auf Befehl von bin Salman festgehalten wurde, der damit einen seiner zahlreichen gescheiterten außenpolitischen Coups lancierte.

Damals war es dem libanesischen Präsidenten Michel Aoun zu verdanken, dass er der saudischen Erpressung nicht nachgab und den Rücktritt seines Premierministers nicht anerkannte. Diese höchst peinliche Affäre konnte nur aufgrund des Eingreifens vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron unter den diplomatischen Teppich gekehrt werden. Schließlich folgte Hariri der Einladung aus Paris, von wo aus er kurze Zeit später in den Libanon zurückkehrte und von seinem Rücktritt nichts mehr wissen wollte. Paris, wie der Westen insgesamt, war daran interessiert, dass Hariri im Amt bleibt.  

Libanons Fluch der Geographie

Das damalige politische Ränkespiel sowie auch die aktuellen Spannungen sind ein Resultat des Fluchs der Geographie, dem sich der Libanon seit seiner Gründung ausgesetzt sieht. Die Zedernrepublik, deren Fläche etwa die Hälfte von Hessen darstellt, grenzt an Syrien und Israel, flankiert von einer ethnischen und konfessionellen Diversität, die jede Regierungsbildung, ja jedes Ringen um eine erträgliche politische Spannung, zu einem Kraftakt ausarten lässt. Hinzu kommen die aktuelle Wirtschaftskrise und die Auswirkungen des Krieges in Syrien, die die Regierung in Beirut ökonomisch und demographisch treffen, schon aufgrund der unzähligen syrischen Flüchtlinge.

Michel Aoun, maronitischer Christ, übt sein Amt gemäß der libanesischen Verfassung aus, wonach der Staatspräsident ein Christ sein muss, während der Ministerpräsident Sunnit – diese Funktion übte Hariri aus – und der Parlamentspräsident Schiit sein soll. Dieser Verfassungsentwurf wird inzwischen diskutiert. Eine Kernforderung der Demonstrationen, die zum Abgang Hariris führten, war es, die politischen Ämter nach Qualifikation und nicht nach der Religionszugehörigkeit zu vergeben.

Präsident Aoun kam diesen Forderungen insofern entgegen, als er den Hochschullehrer Hassan B. Diab ins Amt des libanesischen Ministerpräsidenten berief. Dieser ist zwar ebenso wie sein abgesetzter Amtsvorgänger Hariri Sunnit, entstammt aber nicht aus dem politischen Establishment.

Die Macht der schiitischen Hisbollah

Die mächtigste politische Kraft im Libanon, die schiitische Hisbollah, hat sich diesbezüglich sehr geschickt verhalten. Deren Vorsitzender Hassan Nasrallah erklärte: "Wir alle müssen die Verantwortung für die aktuelle Situation schultern!" Die Hisbollah, die im vergangenen Jahr die große Gewinnerin der Wahlen war, wodurch sich der Einfluss des Iran und des syrischen Präsidenten Assad deutlich verstärkte, wird inzwischen auch von vielen Sunniten, Christen und Drusen gewählt, aufgrund ihrer Sozialpolitik, vor allem aber wegen ihrer Anti-Korruptions-Agenda.

Darüber hinaus ist der militärische Arm der Hisbollah die stärkste militärische Kraft des Landes, neben der Armee. Der Einfluss des Westens und der reaktionären Golfmonarchien ist dadurch am Schwinden, und die im syrischen Bürgerkrieg erlittene Niederlage des Westens wirkt sich inzwischen auch auf den Libanon aus.

Dass man in Washington, Brüssel und Riad die aktuellen Entwicklungen mit Argwohn verfolgt, wird schon daran deutlich, dass man keinerlei finanzielle Hilfen für die neue Regierung in Aussicht stellt. Während gerade die Golfmonarchien in der jüngsten Vergangenheit massiv im Libanon investierten, allerdings ohne dass es der Bevölkerung zugute kam, sprach man gegenüber dem neuen Ministerpräsidenten bisher keine Einladung aus, obwohl dieser verkündet hatte, diese Staaten als Erstes im Rahmen einer Staatsvisite aufsuchen zu wollen.  

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