Nahost

"Sackgasse" – Mögliche Auswirkungen des türkischen Einsatzes in Syrien auf die Beziehung zu den USA

Die Militäroperation in Syrien, die die Türkei gegen den Willen des NATO-Verbündeten USA eingeleitet hat, wird die Beziehungen des Landes zu Washington wahrscheinlich nicht verschlimmern – allerdings nur, weil es diesbezüglich nur noch wenig zu verschlimmern gibt.
"Sackgasse" – Mögliche Auswirkungen des türkischen Einsatzes in Syrien auf die Beziehung zu den USAQuelle: Sputnik

Im Moment sind die Beziehungen zwischen der Türkei und den USA an ihrem Tiefpunkt angelangt, sodass die Entscheidung Ankaras, die Militäroperation in Syrien gegen den Willen Washingtons zu starten, ihnen kaum noch schaden wird. So kommentierten die von RT befragten Militär- und Nahost-Experten die von Ankara in Gang gesetzte Offensive im Nordosten der Syrischen Arabischen Republik. Die türkische Führung beabsichtigt, die kurdischen bewaffneten Gruppierungen in dieser Region zu neutralisieren und eine Pufferzone an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei zu errichten, die von zuvor aus Syrien geflüchteten Menschen bewohnt werden soll, erklärte Erdoğan Anfang Oktober.

Die Anzeichen für eine drohende Eskalation durch die Türkei waren zahlreich – nicht nur in diesem Jahr.

Die Türkei hat bereits früher militärische Operationen in Syrien durchgeführt. Die erste, "Schutzschild Euphrat", begann im Jahr 2016 in der Provinz Aleppo. Ihr Ziel war es Erdoğan zufolge, die Terroristen des Islamischen Staates und kurdische paramilitärische Strukturen zu eliminieren.

Die zweite Operation, "Operation Olivenzweig", wurde Anfang 2018 gegen die Kurden in der Region Afrin durchgeführt. Die Türkei wurde von der sogenannten Freien Syrischen Armee unterstützt. Ankara wurde durch die Erklärung Washingtons über die geplante Verschiebung eines kurdischen bewaffneten Korps an die Grenze zwischen Syrien und der Türkei zu dieser Offensive gedrängt. Dabei leisteten die USA der Türkei indirekte Hilfe, indem sie den im Norden Syriens gegen den IS kämpfenden Kurden drohten, ihre Unterstützung einzustellen, falls die Kurden versuchen sollten, ihren Brüdern in Afrin zu helfen. Die Operation führte zu einer Festigung der türkischen Militärpräsenz in der Region.

Ankara und Washington verhandelten lange weiter über ein mögliches Format für die zukünftige Sicherheitszone im Norden Syriens. Beide Seiten waren jedoch nicht in der Lage, einen Kompromiss zu finden.

Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel, YPG) innerhalb der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) sind seit Beginn des Konflikts im Land die wichtigsten Verbündeten des US-Militärs. Die Kurden waren die Hauptstreitmacht in der von den USA im Jahr 2017 geführten Koalitionsoffensive gegen Raqqa, die einstige "Hauptstadt" des "Islamischen Staates", die seitdem unter der Kontrolle der SDF steht.

Meinungsverschiedenheiten in der Kurdenfrage haben die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und ihrem wichtigsten NATO-Verbündeten, der Türkei, immer wieder auf die Probe gestellt. Ankara stuft kurdische militärische und politische Strukturen als terroristische Organisationen ein und betrachtet ihre Präsenz nahe der eigenen Grenzen als Bedrohung.

Die Kurden hoffen, in den nördlichen Regionen Syriens einen eigenen Staat zu gründen. Vor einigen Jahren erklärten sie die Kantone Afrin, Kobanê und Cizîrê zur Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien – besser bekannt als Rojava. Das militärische Bündnis mit den USA ermöglichte es den Kurden, die Einflusszone auf traditionell arabische Gebiete zu erweitern. Zu diesen Gebieten gehört auch Raqqa.

Um ihre Unzufriedenheit mit dieser Situation zu demonstrieren, hat die Türkei wiederholt erklärt, dass sie bereit ist, einseitige Maßnahmen zu ergreifen.

Bereits im September hatte Erdoğan die Bereitschaft der Türkei angekündigt, eine neue Operation in Syrien durchzuführen. Der Präsident teilte damals mit, dass Ankara "nicht die Absicht hat, die Augen vor der Unterstützung der PKK-Terroristen durch die USA zu verschließen".

Kurz vor Operationsbeginn erklärte Erdoğan schließlich, dass "die Ideen zu gemeinsamen Boden- und Luftpatrouillen mit den USA in Syrien die Umsetzung des Plans zur Schaffung einer Sicherheitszone" verzögerten. Er fügte hinzu, dass die Türkei "von Versprechen die Nase voll" und "lang genug gewartet" habe.

Als die US-Streitkräfte anscheinend den Rückzug aus den betreffenden Gebieten antraten, war es so weit: Am 7. Oktober flog die türkische Luftwaffe Angriffe auf den Grenzübergang Semalka zwischen Syrien und dem Irak; in der Nähe des nordsyrischen Hasaka zerstörte sie ferner ein Waffenlager mit Flugabwehrraketen – dies bestätigten PKK- und SDF-Quellen.

"Die Operation wird nicht einfach sein"

Grigori Lukjanow, Professor an der National Research University Higher School of Economics, erklärte RT bezüglich der Grenzgebiete zwischen Syrien und der Türkei:

"Um diese Gebiete wird es einen heftigen Kampf mit den Kurden geben, die ihre historische Heimat nicht verlassen werden." Der Experte fügte hinzu: "Diese Operation wird nicht einfach sein, es wird ein harter Krieg sowohl für die türkische Armee als auch für die türkisch unterstützte syrische Opposition."

Laut Juri Mawaschew, Direktor des Zentrums für das Studium der Neuen Türkei, wurde von den türkischen Nachrichtendiensten und vom Generalstab des Militärs jedoch schon lange ein detaillierter Plan für zukünftige Kampfhandlungen erstellt, nach dem die Türkei zunächst erfolgreich vorzugehen scheint. Denn obwohl die US-unterstützten arabisch-kurdischen SDF der Türkei anlässlich der jüngsten Ankündigungen Erdoğans mit "umfassendem Krieg" drohten, blieb ein wenigstens in Maßen effektiver militärischer Widerstand der SDF oder anderer kurdischer Gruppierungen bisher aus.

Was die Beziehungen zwischen den USA und der Türkei angeht, so sind sie seit Langem durch zahlreiche Differenzen beeinträchtigt, so die Experten. Daher dürfte die Entscheidung Ankaras, die Operation einzuleiten, keinerlei Auswirkungen haben:

"Diese Situation wird die ohnehin schon schlechten Beziehungen zwischen Ankara und Washington nicht verschlimmern", erklärte Lukjanow im Gespräch mit RT.

Mawaschew vertritt einen ähnlichen Standpunkt. Der Experte erinnerte daran, dass der türkische Staatschef Washington bereits Zeit gegeben hat, einen eigenen Aktionsplan auszuarbeiten, doch die USA haben es versäumt, konstruktive Vorschläge zu unterbreiten: "Im Allgemeinen ist es nicht einfach, über die Verschlechterung der amerikanisch-türkischen Beziehungen zu sprechen – und zwar einfach deshalb, weil sie schon seit Langem gründlich angeschlagen sind."

Der Experte fügte hinzu: "Jetzt stecken sie in einer Sackgasse. Die US-Medien veröffentlichen sogar schon Prognosen über mögliche Zusammenstöße zwischen dem US-amerikanischen und dem türkischen Militär in Nordsyrien."

Ob solche Prognosen sich auch erfüllen werden, möchte man allerdings bezweifeln – nämlich angesichts der Tatsache, dass sich die Streitkräfte der USA und die Luftwaffe der Türkei an der Grenze zwischen Syrien und dem Iran gepflegt und friedlich die Klinke in die Hand gaben.

Dennoch trennte das US-Militär die Kollegen der türkischen Luftwaffe noch vor den türkischen Luftangriffen vom US-ISR-System (Intelligence, Surveillance & Reconnaissance – dt.: Information, Überwachung und Aufklärung) und vom ATO-Air-Tasking-Befehl (Joint Forces Air Component Commander, kontrolliert Luftstreitkräfte innerhalb einer gemeinsamen Einsatzumgebung), meldete der israelische Journalist Amichai Stein unter Verweis auf einen nicht namentlich genannten hochrangigen US-Verteidigungsbeamten.

Ebenfalls noch vor den türkischen Luftangriffen kündigte US-Präsident Donald Trump an, die türkische Wirtschaft "einfach auslöschen" zu können, sollte das Land mit der Operation fortfahren. Am Dienstag bekräftigte er auf Twitter, nicht zwingende oder unnötige Kampfhandlungen würden sich als zerstörerisch für die Wirtschaft und "die sehr zerbrechliche Währung" der Türkei erweisen. Er unterstrich zudem, dass die USA den Kurden – dem Hauptgegner des türkischen Militärs bei dessen Syrien-Einsatz – "finanziell und mit Waffen" helfen.

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