Nahost

Krieg gegen den Iran? – Ein Déjà-vu (Teil II)

Anfang 2007 deuteten schon einmal alle Zeichen auf einen US-Angriff gegen Iran. Aber als die Führung in Teheran hart blieb, gab Washington klein bei und deeskalierte. Die Parallelen zu Heute sind unübersehbar. Aber lassen sich daraus auch dieselben Schlüsse ziehen?
Krieg gegen den Iran? – Ein Déjà-vu (Teil II)Quelle: Reuters © Ryan D. McLearnon/U.S. Navy/Handout VIA Reuters

von Rainer Rupp

(Teil I können Sie hier nachlesen.)

Anfang Februar 2007 standen auf Befehl von Präsident George W. Bush zwei Flugzeugträger-Schlachtgruppen der Nimitz-Klasse, die CVN-69 Dwight D. Eisenhower und die CVN-73 John C. Stennis, mit ihren Begleitschiffen bereits im Persischen Golf. Die aus Landungsschiffen bestehende "Assault-Gruppe" unter Führung der USS Bataan (LHD-5) war auf dem Weg in den Golf, um dort auf eine bereits anwesende "Assault-Gruppe" zu stoßen. Bei einer Assault-Gruppe handelt es sich um je einen Verband von 7 Schiffen mit insgesamt 2.200 Marineinfanteristen, Kampfhubschraubern, mit senkrechtstartenden Kampfbombern vom Typ Harrier und anderem Gerät zur Erstürmung feindlicher Küsten.

Insgesamt hatte Washington zu diesem Zeitpunkt bereits an die 50 Kriegsschiffe im und um den Persischen Golf herum zusammengezogen. Auch britische Minensuchboote, spezialisiert auf flache Gewässer wie in der Straße von Hormus, waren mit von der Partie. Hunderte von US-Kampfflugzeugen standen in der Region bereit: Auf den riesigen US-Basen in Katar, in Bahrein, auf den vier großen US-Luftstützpunkten in Irak, auf Diego Garcia im indischen Ozean und in Afghanistan sowie auf den beiden Flugzeugträgern. Sogar auf der Incirlik Air Base in der Türkei war US-Verstärkung eingetroffen, obwohl die türkische Regierung bereits im Jahr zuvor erklärt hatte, dass türkisches Territorium für einen Angriff auf Iran nicht bereit stehe.

Laut britischen Medien übten auch die Israelis bereits eifrig für den Angriff gegen Iran. Ohne nachzutanken reichte der Operationsradius der israelischen Kampfjets aber nicht aus. Am 5. Februar 2007 hatte die griechische Luftüberwachung (FIR-Athen) einen Vorfall gemeldete, bei dem Dutzende von nicht angemeldeten israelischen Kampfjets beim Üben der Betankung in der Luft in den griechischen Luftraum eingedrungen waren. Aufgestiegene griechische Abfangjäger F-16 identifizierten sieben zu Tankflugzeugen umgebaute israelische Boeing 707, einen Gulfstream-Jet zur elektronischen Kriegsführung sowie 25 Jagdbomber vom Typ F-16 und F-15 – alle mit dem Stern Davids als Hoheitszeichen. Laut der griechischen Meldung handelte es sich bereits um die zweite derartige Übung innerhalb weniger Wochen.

Unter Berufung auf französische Militärexperten berichtete der Pariser Le Figarao, dass Washington inzwischen ausreichende militärische Mittel in der Region zusammengezogen habe, um bis zu 40 Tage lang rund um die Uhr einen Luftkrieg gegen Iran zu führen. Laut Figaro wollte die US-Satellitenaufklärung inzwischen 1.500 Ziele ausgemacht haben, die direkt oder indirekt mit Irans Atomprogramm in Verbindung stünden. Allerdings dürfe niemand daran zweifeln, dass bei einem US-Angriff auch andere Ziele wie iranische Industrieanlagen und Ölinstallationen zerstört würden, meinte der Figaro.

Sam Gardiner, ehemaliger Oberst der U.S. Air Force mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Planung von Luftkriegen, insbesondere mit Iran als Ziel, erklärte in einem Interview mit dem Guardian vom 10.2. 2007, dass auch er der davon überzeugt war, dass "die Vorbereitung des Luftkrieges gegen Iran in vollem Gang" war. "Alles was in den letzten Wochen geschehen ist, passt zu dem, was wir normalerweise tun, wenn wir Luftschläge vorbereiten. Niemand soll glauben, dass wir Iran nicht angreifen, weil wir im Irak festsitzen. Es wird eine Luftoperation von ungeheurer Zerstörungskraft sein", so Gardiner.

Laut Gardener hätte das Pentagon selbst 1.500 Ziele ausgewählt, die direkt mit dem iranischen Atomprogramm zusammenhingen. Aber damit würden sich die Planer im Pentagon nicht begnügen, so Gardener weiter. "Die USA hätten auch die Verantwortung, ihre eigenen Schiffe und die anderen Einsatzkräfte im Golf sowie die ihrer Verbündeten und deren Heimatländer in der Region vor iranischen Reaktionen zu schützen.

Dafür müssten die USA ihre Angriffe auf jene iranischen Stellungen mit Anti-Schiffs-Raketen und mit taktischen, ballistischen Raketen sowie auf die iranischen Seestreitkräfte ausdehnen. Da wären dann auch noch die Produktionsstätten der ballistischen Raketen und ihre Lager. Außerdem gebe es 14 iranische Luftwaffenbasen samt iranischen Kampfflugzeugen in ihren befestigten Unterständen. Ebenso müssten die Munitionslager und die Verkehrsknotenpunkte, die Brücken, die Befehls- und Kommandostellen samt den Kommunikationszentren zerstört werden. …" Und so weiter und so fort.

Die USA würden höchstwahrscheinlich auch Maßnahmen zur "Terrorismusbekämpfung" gegen Teile der iranischen Regierung einleiten, was bedeuten würde, dass die Luftangriffe gegen Gebäude und Installationen der iranischen Geheimdienste und des Islamischen Revolutionären Garde-Korps ausgeweitet werden müssten. Die Gefahr, dass "Mission Creep", also immer mehr Ziele "entdeckt" und bombardiert werden, könnte schnell zu einer Liste mit 15.000 bis 20.000 Zielen führen.

Schon ein Luftkrieg mit weit geringerer Größenordnung wäre nicht mehr "chirurgisch" auszuführen, schrieb der US-Experte Michael Duffy im Time Magazine vom 17. September 2006. Da sich viele dieser Ziele an Orten in dicht besiedelten Gebieten befänden, "wären mit Sicherheit hohe zivile Opferzahlen zu erwarten".

Mitte Februar 2007 waren die US-Angriffspläne gegen Iran ausgearbeitet. Zugleich hatte Präsident Bush nach seiner Rede zur "Lage der Nation" Mitte Januar 2007 mit einer Reihe durchsichtiger Provokationen die Spannungen zwischen Teheran und Washington, D.C. weiter hochgeschraubt.

Auf Befehl von US-Präsident Bush patrouillierten amerikanische Kampflugzeuge an der irakisch-iranischen Grenze, angeblich mit dem Auftrag, Waffenschmuggel zu verhindern und Verdächtige(!) – gegebenenfalls auch auf iranischem Territorium – zu beschießen, was völkerrechtlich einem kriegerischen Akt gegen Iran gleichkäme. Laut US-Medien sollen die Piloten ihre Missionen "aggressiv" fliegen, also konfrontativ, wodurch Grenzzwischenfälle geradezu vorprogrammiert waren.

Zugleich hatte Bush befohlen, angebliche "iranische Agenten" in Irak zu jagen und zu töten. Vorangegangen waren Entführungen hochrangiger Iraner, die mit Diplomatenpass auf Einladung des irakischen Präsidenten Talabani zu sicherheitspolitischen Beratungen im Irak weilten. Auf Protest von Talabani wurden sie letztlich wieder freigelassen, und sie konnten nach Iran zurückkehren. Zu dieser Art Provokationen gehörte auch die Verschleppung von fünf Diplomaten aus dem iranischen Konsulat im Nordirak durch US-Soldaten, deren Verbleib auf Monate hinaus ungeklärt blieb.

Gegen Ende Januar versuchten dann die Amerikaner im Rahmen einer groß angelegten, internationalen Pressekonferenz den Iran zu beschuldigen, den irakischen Widerstand mit modernen Waffen zu versorgen. Konkret machte Washington Teheran mitschuldig am Tod von 170 sowie von Hunderten verwundeter oder verstümmelter US-Soldaten.

Die von den US-Vertretern vorgelegten angeblichen "Beweise" waren jedoch derart durchsichtig manipuliert, dass selbst die großen US-Medien, wie z.B. die New York Times (die in einer ersten Reaktion reflexartig ihrer Rolle als Propaganda-Megaphone der US-Regierung gerecht geworden war und die falschen Vorwürfe gegen Iran unkritisch verbreitet hatte) sich bereits am nächsten Tag gezwungen sah, zurückzurudern.

Selbst der höchste US-Offizier, der Chef der Vereinigten Stabschefs, General Pace, erklärte, dass es keine Beweise für die Verwicklung der iranischen Führung in die Anschläge gegen US-Truppen in Irak gebe. Ein im Persischen Golf stationierter US-Admiral machte sich zugleich öffentlich Sorgen über mögliche Fehleinschätzungen und Überreaktionen, die dann zum Krieg mit Iran führen könnten. Offensichtlich befürchtete er, dass seine Schiffe im Golf für iranische Anti-Schiffs-Raketen eine leichte Zielscheibe wären.

Nicht nur die US-Bevölkerung war Anfang Februar 2007 über die Iran-Kriegsfrage tief gespalten, sondern auch die höchsten US-Militärs. Die Stabschefs der vier amerikanischen Waffengattungen (Armee, Luftwaffe, Marine und Marineinfanterie) hatten sich über das "Für und Wider" eines US-Krieges gegen Iran bereits im Sommer 2016 einen öffentlichen Disput geleistet, ein bis dahin unvorstellbarer Vorgang.

Während sich der Chef der Luftwaffe damals für einen Luftkrieg aussprach – eine Staffel von B-2 Bombern würde genügen, um über Nacht das Problem des iranische Atomprogramms verschwinden zu lassen –, drohten die Chefs der drei anderen Waffengattungen im Fall eines Angriffsbefehls offen mit ihren Rücktritt. Ihnen war nämlich schon damals bewusst, dass die Marine und die Bodentruppen einen Krieg gegen Iran nur unter größten Opfern – wenn überhaupt – gewinnen könnten. Zugleich wären US-Soldaten und Installationen in der ganzen Großregion des Mittleren Ostens zur Zielscheibe von iranischen Raketen- oder Terrorangriffen geworden.

Die wahre Stärke der iranischen Abschreckung gegen einen US-Angriff liegt weniger in den militärischen Fähigkeiten der regulären iranischen Streitkräfte. Vielmehr sind es der Widerstandswillen, die Opferbereitschaft und das enorme Kampfpotential der iranischen Bevölkerung und ihrer schiitischen Verbündeten in den anderen Ländern der Region, die den US-amerikanischen Soldaten, Söldnern oder militärischen Zivilisten in einem "asymmetrischen" Krieg das Leben zur Hölle zu machen würden.

Indikativ für die Bereitschaft der Iraner, asymmetrisch gegen US-Truppen zu kämpfen, ist der Bericht, wonach sich unter dem Eindruck der US-Invasion in Irak im Jahre 2003 bis zum Dezember 2004 bereits 25.000 iranische Freiwillige in den neu eingerichteten Zentren für "Selbstmordangriffe" hatten registrieren lassen, weil die auch eine Invasion des Iran fürchteten.

Der US-amerikanische Angriff kam dann aber doch nicht. Offensichtlich waren die Möglichkeiten und Fähigkeiten der Iraner, den USA im Rahmen eines asymmetrischen Krieges empfindliche Wunden zu schlagen, groß genug, um Washington von einem weiteren kriegerischen Abenteuer abzuschrecken. Wie schon 2007 sieht auch aktuell wieder alles nach einem Krieg aus; mit einem großen Unterschied: Damals war die militärische und geo-politische Ausgangslage für Washington weitaus günstiger als heute. Davon mehr in Teil III.

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