Ex-General: Türkei und Russland werden sich in Ostsyrien koordinieren und auf dem Balkan kooperieren
von Ali Özkök
RT Deutsch hat mit dem türkischen Brigadegeneral im Ruhestand Doktor Fahri Erenel gesprochen. Er ist Fakultätsmitglied für Sicherheitsforschung an der Istinye-Universität in Istanbul.
Die Türkei möchte eine Sicherheitszone gegen die YPG in Nordsyrien etablieren. Wie stellt sich Ankara das vor?
Beim Treffen mit Putin in Moskau wurde dieses Thema zur Sprache gebracht. Neben Russland als Vereinbarungspartner stimmt sich Ankara eng mit den USA ab. Mit diesen beiden Ländern wird Ankara eine enge Koordinierung durchführen, um die Etablierung dieser Zone zu erreichen. Es werden gegenwärtig wichtige Abkommen zwischen Ankara und den USA diskutiert. Wenn wir nun zur Rolle Russlands kommen, dann ist diese Koordinierung mit Moskau natürlich entscheidend, wie und von wem der Osten des Euphratflusses kontrolliert wird.
Es wird davon ausgegangen, dass sich die parallelen Verhandlungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten, insbesondere zwischen den Generalstabschefs der beiden Länder in den vergangenen Wochen, ebenso um diese Fragen drehen.
In Idlib übernahmen al-Kaida-nahe Milizen die Kontrolle. Wie wirkt sich diese Entwicklung auf das russisch-türkische Verhältnis aus?
Es stimmt, es gibt einige Schwierigkeiten in der Region Idlib. Nichtsdestotrotz bin ich davon überzeugt, dass jede Lösung in Idlib den gemeinsamen Interessen Russlands, der Türkei, Irans und Syriens dienlich sein wird. Diese Staaten werden an der Sotschi-Vereinbarung auch in Zukunft festhalten.
Unter welchen Umständen könnte ihrer Meinung nach Moskau geneigt sein, grünes Licht für eine Sicherheitszone in Nordsyrien zu geben?
Es wird angenommen, dass Russland allgemein nicht mehr allzu großes Interesse daran hat, nach einer längeren Zeit der militärischen und finanziellen Unterstützung Assads diese weiterhin so intensiv aufrecht zu halten. Niedrige Ölpreise und anhaltende westliche Sanktionen tragen zu dieser Haltung bei. Ein Beispiel für diese Überlegungen ist der Abbau des russischen Militärhaushaltes. Um die Probleme Syriens zu bewältigen, beschloss Moskau mit Damaskus allerdings eine langfristige Präsenz im Land. Und genau deshalb wird Russland auch versuchen, zu große Risiken in Syrien zu vermeiden. Da diese auch die langfristige Präsenz Moskaus destabilisieren könnten.
Die syrische Armee hat Kapazitätsprobleme. Sollte sie versuchen, zu sehr zu expandieren, dann überdehnen sich die militärischen Möglichkeiten Assads. Vor allem in Ostsyrien würden schwere Konflikte ausbrechen. Man darf dabei nicht vergessen, dass die USA in diesem Raum große Bewaffnungsprogramme für Terroristen im Gange haben. Die bewaffneten Auseinandersetzungen würden von heute auf morgen wieder ausbrechen. Hinzu kommt die instabile Lage in Idlib.
Angesichts dieser Konstellation wird Moskau wohl nicht auf Gedeih und Verderb darauf bestehen, dass Ostsyrien unter die Kontrolle Damaskus' fallen muss. Für Russland ist die Absicherung von Westsyrien von Bedeutung, wo es auch seine Truppen konzentriert, und damit wird Moskau seinen Fokus weiterhin auf Idlib werfen. In dieser Frage ist auch die Kooperation der Türkei gefragt.
Inwieweit besteht die Möglichkeit, dass Russland lieber auf eine Wiedereingliederung der Kurden-Miliz YPG in den syrischen Staat setzen wird und Assad gemeinsam mit der YPG türkische Interessen ins Visier nimmt?
Eine solche Kooperation würde am Ende ins Nirgendwo führen. Solche Züge endeten schon in der Vergangenheit für Damaskus in einer Sackgasse. Hinzu kommt, dass sich die USA gerade nicht in die Verhandlungen ihres Partners, der YPG, mit der syrischen Regierung einmischen, aber es weist einiges darauf hin, dass die USA am Ende eine Zusammenarbeit ihres Partners mit Damaskus nicht tolerieren werden.
Wenn die neue syrische Verfassung in der kommenden Reorganisationsphase ausgearbeitet ist, dann wird auch klarer, welchen Platz terroristische Organisationen in Syrien in Zukunft kriegen werden. Die Türkei, Russland und Iran sind sich einig, dass die staatliche Integrität von Syriens gewahrt werden sollte. Damaskus scheint eine gleiche Haltung zu haben, zuletzt signalisierte es jedoch, dass es auch zu einem Mittelweg bereit ist. Es schlug einige kulturelle und bürgerliche Rechte vor.
Immer wieder äußert sich die türkische Regierung vage über die Zukunft von Assad. Wie sieht die Strategie der Türkei in Bezug auf die Legitimität von Assad aus? Besteht die Möglichkeit einer Normalisierung?
In Anbetracht dessen, dass Russland und der Iran Damaskus auch weiterhin unterstützen werden, wird Assad die Regierung noch eine Zeit lang kontrollieren. Zwischen der Türkei und Syrien entstanden erhebliche Friktionen, die Ankara vor allem an der Unterstützung von Damaskus für die PKK festmacht. Eine Alternative zu Assad, die Syrien stabilisieren kann, gibt es jedoch nicht. Wenn nicht über Assad, dann ist vorgesehen, dass die Beziehungen zu Damaskus weiterhin über Russland kontrolliert werden können.
Kritiker unterstellen, dass Russland die Türkei missbrauchen würde, um die NATO zu destabilisieren. Wie sieht die Türkei ihre Rolle innerhalb der NATO?
Mit jedem neuen Tag vertiefen sich die Beziehungen zwischen Russland und der Türkei. Diejenigen, die behaupten, dass Russland die Türkei von der NATO wegziehen möchte, gehören zu denen, die regionale Beziehungen mit regionalen Bündnissen verwechseln.
Obwohl die Beziehungen zu Russland manchmal einem turbulenten Prozess folgen, der auch von Kriegen begleitet war, florieren die Beziehungen zwischen beiden Ländern trotzdem. Im Handel und in Fragen der Energie bis hin zum Kauf eines Atomkraftwerks wurden große Schritte gemacht. Für die Türkei wiederum sind die Beziehungen zur NATO angesichts des nationalen Anti-Terrorkampfs bedeutsam. Die Prioritäten der Türkei in Bezug auf Russland und die NATO sind damit unterschiedlich.
Welche Rolle spielt der Kauf des russischen Langstreckenraketensystems S-400 für Ankara?
Die Türkei hat sich vor allem für dieses System entschieden, um auf Herausforderungen zu reagieren, die von seinen Nachbarländern ausgehen. Früher wollte Ankara das Patriot-System aus den USA erwerben. Trotz zahlreicher Gefahren aus dem Ausland, die die nationale Sicherheit gefährdeten, verkauften die USA ihr System an die Türkei nicht. Russland war die logische Entscheidung der türkischen Regierung.
Putin war kürzlich in Serbien, um über den Ausbau der TurkStream-Pipeline zu sprechen. Wird es bei den Gesprächen mit Erdoğan auch um die weitere Stärkung der Energiezusammenarbeit gehen?
Die Türkei möchte ihre Energiekooperation mit Russland unbedingt ausbauen. Diese Zusammenarbeit, die die Vereinigten Staaten ernsthaft erschreckt, wurde schnell umgesetzt: Beim letzten Treffen in Moskau zwischen Putin und Erdoğan nahm dagegen die Syrienfrage einen viel kleineren Raum ein, als so manche in den Medien spekulierten.
Bisher scheinen die Türkei und Russland auf dem Balkan zu konkurrieren. Glauben sie, dass die TurkStream-Pipeline in der Lage ist, die türkisch-russische Zusammenarbeit von Syrien auch auf den Balkan zu übertragen?
Dieses Projekt wird die bilateralen Beziehungen weiterentwickeln. Es wird die Türkei auf dem Balkan weiterbringen und vor allem die Beziehungen zu Serbien zementieren. Das wiederum wird Ankaras Zusammenarbeit mit Moskau vertiefen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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