Syrien und der angekündigte US-Truppenabzug: Reaktionen und Konfliktlinien
von Karin Leukefeld, Damaskus
Die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, rund 2.000 US-Soldaten aus Syrien abzuziehen, hat militärisch und politisch Bewegung in den Krieg um Syrien gebracht. Internationale Akteure und Partner der USA in der "Anti-IS-Allianz" fühlen sich überrumpelt, regionale Akteure bringen sich in Stellung, um die Gebiete östlich des Euphrat einzunehmen, die die US-Truppen eines Tages verlassen werden. Die syrischen Streitkräfte warten ab, wann – so ein hochrangiger Militär im Gespräch mit der Autorin – "den Worten Taten folgen". Die Regierungsarmee ist bereit, den immer wieder formulierten Anspruch, "jeden Zentimeter syrischen Territoriums zurückzugewinnen", am Tage des US-Rückzugs umzusetzen.
In der Türkei sieht Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Chance gekommen, seine neo-osmanischen Expansionspläne in Syrien umzusetzen und droht, die dortigen Kurden zu vernichten. Die syrischen Kurden, seit dem Jahreswechsel 2014/15 Partner der US-geführten "Anti-IS-Allianz", sind irritiert und suchen neuen Schutz vor einer türkischen Invasion. Israel droht mit weiteren Angriffen und verstärkten geheimdienstlichen Operationen gegen den Iran "nicht nur" in Syrien, gemeinsam mit den USA. In John Bolton, dem Sicherheitsberater des US-Präsidenten, hat Israel einen zuverlässigen Partner dafür.
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Trump, der die Gebiete östlich des Euphrat zunächst der Türkei überlassen wollte, hat mittlerweile dem Druck des einflussreichen republikanischen Senators Lindsey Graham und dem Drängen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nachgegeben. Aus dem "vollständigen und sofortigen" wurde ein "langsamer" Rückzug, der bis Ende 2019 dauern könnte. Täglich werden neue Überlegungen bekannt. Auch die bereits im März 2018 bekanntgewordene Idee einer Armee unter Führung der Golfstaaten, die anstelle der Türkei östlich des Euphrat operieren soll, wird wieder aufgelegt.
Das Hin und Her bedeutet keine grundsätzliche Abkehr der Entscheidung zum Truppenrückzug, sondern weist auf interne Widersprüche in der US-Administration hin. Trump hatte schon während des Wahlkampfes verkündet, die US-Soldaten aus Syrien abzuziehen. Zuletzt wiederholte er die Absicht Anfang 2018. Und in einer aktuellen Twitter-Botschaft heißt es:
Unsere Jungs, unsere jungen Frauen, unsere Männer – sie alle werden zurückkommen.
Syrien sei lange verloren (für die USA), so Trump bei einer Regierungssitzung am 2. Januar vor Journalisten in Washington. Syrien habe keine nennenswerten Reichtümer. Er wolle zwar die Kurden schützen, doch er wolle "nicht für immer in Syrien bleiben", sagte Trump: "Es ist Sand und Tod."
Regional gibt es unterschiedliche Reaktionen. Die Türkei schickt neues Kriegsgerät an die syrisch-türkische Grenze, um ihren angekündigten Einmarsch vorzubereiten. Iran und Irak äußerten sich zurückhaltend. In Jordanien und Libanon gab es keine offiziellen Erklärungen. Beide Länder haben seit Beginn des Krieges im Nachbarland mit erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Problemen zu kämpfen. Beide Länder sind von internationalen Krediten abhängig.
In Syrien lassen offizielle Reaktionen auf sich warten. Die syrische Regierung kommentiert Äußerungen aus anderen Staaten sehr zurückhaltend, meist gar nicht. Politisch konzentriert sich Damaskus aktuell auf die Wiederherstellung diplomatischer Beziehungen mit den arabischen Staaten und auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau.
Iran und Irak reagieren zurückhaltend
Der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif wies in einem Interview mit dem Nachrichtensender Al Mayadeen auf die Illegalität der US-Truppenpräsenz in Syrien hin. Es sei noch zu früh, Schlüsse aus der Entscheidung zu ziehen, noch seien die US-Soldaten nicht abgezogen. Statt weiteren Spekulationen nachzugehen, konzentrierten sich Teheran und Damaskus auf Gespräche über weitreichende wirtschaftliche Zusammenarbeit. Kurz vor Jahresende unterzeichneten beide Länder ein langfristiges Kooperationsabkommen in diesem Bereich.
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Der irakische Ministerpräsident Adil Abdul Mahdi äußerte sich skeptisch über den US-Truppenabzug. Für den Irak könne das "negative Folgen" haben, sagte er vor Journalisten in Bagdad. Ein Truppenabzug werde die Sicherheitslage in Syrien verschärfen, eine "Flüchtlingswelle" sei zu erwarten, und auch die Terroristen könnten versuchen, in den Irak zu gelangen. Man sei den Folgen eines US-Truppenabzugs an vorderster Front ausgesetzt, Bagdad werde die Armee zur Grenzsicherung entsenden.
Damaskus verstärkte nach einem Treffen mit dem irakischen nationalen Sicherheitsberater Falyh Al Fayad die bilaterale Zusammenarbeit mit dem Irak gegen die verbliebenen Gruppen des "Islamischen Staates" (IS). Präsident Baschar al-Assad teilte der irakischen Regierung und Armee mit, sie könne im Grenzgebiet beider Länder Angriffe auch auf syrischem Territorium durchführen, sollte es im Kampf gegen den IS erforderlich sein. Rücksprache mit der syrischen Armeeführung oder ihm, dem Präsidenten, sei dafür nicht erforderlich. Ohnehin kooperiert Syrien mit Irak, Iran und Russland im gemeinsamen militärischen Informationszentrum, das 2015 in Bagdad installiert wurde.
Syrisch-kurdische Annäherung
Die syrischen Streitkräfte bezogen auf "Einladung" der militärischen Führung der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG, YPJ) Stellungen um die Stadt Manbidsch, östlich von Aleppo, die zuvor von den Kurden gehalten worden waren. Offensichtlich sollte eine Entwicklung wie in Afrin (März 2018) vermieden werden. Damals mussten YPG und YPJ den völkerrechtswidrig vorrückenden türkischen Truppen weichen, zumal die türkische Armee auch die Luftwaffe einsetzte. Die YPG ist die wichtigste Kraft der mit den USA kooperierenden Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF).
Die eigenen Kräfte habe man aus Manbidsch abgezogen, hieß es in der YPG-Erklärung. Man werde sich auf den Kampf gegen den "Islamischen Staat" an "allen Fronten östlich des Euphrat konzentrieren". Am Ende der Erklärung heißt es:
Wir laden die syrischen Regierungstruppen ein, die verpflichtet sind, das gleiche Land, die Nation und Grenzen zu schützen, die Kontrolle über die Gebiete zu übernehmen, aus denen unsere Kräfte abgezogen sind – insbesondere Manbidsch – und diese Gebiete vor einer türkischen Invasion zu schützen.
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SDF-Kommandeur Redur Khalil sagte am Freitag der Nachrichtenagentur AFP , es sei "unvermeidlich", dass die "autonome Administration und die syrische Regierung" miteinander eine Lösung finden müssten. "Unsere Gebiete sind Teil Syriens." Eine Lösung für Manbidsch setze voraus, dass die Rechte der Einwohner der Stadt geschützt würden, so Khalil. Dann wäre eine ähnliche Lösung auch für die Gebiete möglich, die derzeit von den SDF in der Provinz Deir ez-Zor, östlich des Euphrat, kontrolliert würden.
Denkbar sei zudem die Stationierung der syrischen Regierungstruppen entlang der Grenze zur Türkei. Für die Verhandlungen mit Damaskus sei internationale Unterstützung hilfreich, so der SDF-Kommandeur weiter. Russland könnte als Garantiemacht fungieren. In Zukunft könnten die militärischen kurdischen Kräfte andere Aufgaben übernehmen, denkbar sei auch eine Integration in die syrische Regierungsarmee. "Wir werden uns aber nicht von unserem Territorium zurückziehen."
Medien berichteten am 3. Januar erstmals über den Abzug eines Konvois mit kurdischen Kampfverbänden aus Manbidsch. Es hieß, die Einheiten hätten sich in die Gebiete östlich des Euphrat zurückgezogen. Aus syrischen Sicherheitskreisen war derweil zu hören, dass die französischen und US-amerikanischen Truppen Manbidsch noch nicht verlassen hätten. Dadurch werde ein Vorrücken der syrischen Regierungsarmee in die Stadt noch behindert.
In Städten östlich des Euphrat wie Qamischli, al-Hasaka und Raqqa protestierten Einwohner gegen die von der Türkei geplante Invasion und forderten, dass die syrische Armee sie schützen solle. Die kurdischen Institutionen der "Demokratischen Föderation Nordsyrien" organisierten eigene Veranstaltungen in Orten entlang der Grenze, wo "menschliche Schutzschilde" einen Einmarsch der Türkei abwenden sollen. In Kobanê (Ain al Arab) zogen Menschen auch zum Hauptquartier der kurdischen Armee (Hêzên Parastina Civakî, HPC). Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) und die kurdische Armee mobilisieren im Norden Syriens, während die Türkei auf der türkischen Seite der Grenze seit Tagen schwere Waffen und Munition auffährt.
Türkei uneinig über Einmarschpläne
Trotz des martialischen Aufmarschs türkischer Truppen entlang der Grenze zu Syrien ist die Androhung aus Ankara, in die Gebiete östlich des Euphrat einzumarschieren, leiser geworden. Das dürfte auf Gespräche in Moskau auf Ebene der Verteidigungs- und Außenminister zurückzuführen sein, die kurz vor dem Jahreswechsel stattfanden. Russland lehnt einen weiteren Vormarsch der Türkei in Syrien ab, während US-Präsident Donald Trump seinen türkischen Amtskollegen zum Einmarsch ermuntert hatte. Mit einem Bein im Lager der NATO, mit dem anderen Bein im Bündnis mit Russland und Iran, wirkt die Türkei manövrierunfähig.
Ein Einmarsch in Syrien wird in der Türkei von vielen abgelehnt. Aleviten, Kurden und Christen sind eng mit ihresgleichen in Syrien verbunden. Geschäftsleute haben seit Beginn des Krieges große Verluste hinnehmen müssen. Zudem gibt es in den Reihen des aktiven und pensionierten türkischen Militärs Kritik an den Plänen Erdoğans, in den Gebieten östlich des Euphrat Krieg zu führen. Der Viersterne-General Ismail Metin Temel, zuständig für die 2. Türkische Armee an den Fronten im Irak und Syrien, Kommandeur der Operationen "Euphratschild (Jarabulus 2016) und "Olivenzweig" (Afrin 2018), wurde zusammen mit einem weiteren Offizier vermutlich deswegen "an den Schreibtisch" versetzt.
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Türkische Medien berichteten, Temel und Brigadegeneral Mustafa Barut hätten sich gegen einen Einmarsch ausgesprochen. In der Tageszeitung Sözcü (Motto: Wenn Sözcü schweigt, schweigt die Türkei) wurde der Widerspruch der hochrangigen Militärs in drei Punkten benannt: 1. Die Volksverteidigungskräfte (YPG) würden von den USA unterstützt, seien besser ausgerüstet und trainiert. 2. Die internationale Unterstützung für einen Einmarsch fehle. Russland und die USA reagierten unterschiedlich, die klimatischen und topographischen Bedingungen widersprächen der eigenen Zielsetzung, so wenig Opfer wie möglich zu haben. 3. Die USA wollten, dass die Türkei gegen den "Islamischen Staat" Krieg führe. Für die Türkei sei es aber nicht erforderlich, weit entfernt von der eigenen Grenze einen Kampf gegen den IS zu führen.
Jeden Zentimeter wieder einnehmen
Für die syrischen Streitkräfte ist es selbstverständlich, dass sie "jeden Zentimeter syrischen Territoriums" wieder einnehmen werden, wie es Präsident Assad als strategisches Ziel ausgegeben hat. Das entspricht dem Völkerrecht, das allen UN-Mitgliedsstaaten die territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit zusichert (UN-Charta Artikel 2, Absatz 4). Bevorzugt solle das durch Verhandlungen geschehen, sagte der syrische Außenminister Walid Mouallem im September am Rande der UN-Vollversammlung in New York. Sollte eine Verhandlungslösung nicht möglich sein, werde man militärisch vorgehen.
Diese Linie entspricht der Linie Russlands, das Syrien bei seinem Kampf um die Rückgewinnung seiner Souveränität und territorialen Integrität unterstützt. Zum angekündigten US-Truppenabzug äußerte sich der russische Außenminister Sergei Lawrow zurückhaltend:
Jeder Abzug von Truppen, die sich gesetzeswidrig in einem bestimmten Land befinden, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Man müsse abwarten, "ob der Truppenabzug überhaupt umgesetzt wird." Ansonsten setzt Russland weiter auf seine bewährte diplomatische Arbeit. So wurde die Türkei von Moskau angemahnt, ihre Zusagen umzusetzen, eine Pufferzone um Idlib einzurichten, die sie im Rahmen der Vereinbarung vom September 2018 gemacht hatte. Dazu gehört, dass die Kämpfer ihre schweren Waffen aus der bis zu 25 Kilometer breiten Pufferzone abziehen müssen. Alle "radikalen Kämpfer", auch die der Nusra-Front, müssten ganz aus Idlib entfernt werden. Ankara, das zu den Kampfverbänden teilweise engste Beziehungen unterhält, ist seit September dieser Verpflichtung nicht nachgekommen. Lediglich einige Hundert Kämpfer wurden in die Türkei gebracht, um sie auszubilden und in den Kampf gegen die syrischen Kurden östlich des Euphrat zu schicken.
Zum Jahreswechsel kam es zu heftigen Kämpfen zwischen verschiedenen Fraktionen der Kampfverbände um strategisch wichtige Verbindungsrouten im Norden Idlibs. Hintergrund dürfte auch sein, dass Ankara seinen engeren Verbündeten (Freie Syrische Armee /Nationale Befreiungsfront, Nur al Din al Zenki) signalisiert hat, die weniger engen Verbündeten der Nusra Front anzugreifen. Vermittlungsversuche von Faylaq al-Scham, einer weiteren radikalen Gruppe, schlugen fehl.
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Eine innerarabische Annäherung
Die Ankündigung des US-Truppenabzugs könnte die innerarabische Annäherung an Syrien beschleunigen, die vor allem von Ägypten vorangetrieben wird. Die arabischen Staaten zeigten sich alarmiert angesichts der türkischen Pläne, in die Gebiete östlich des Euphrat einzumarschieren. Militärisch werden sie das nicht verhindern können, wie es von Militärstrategen in Washington Anfang 2018 noch angedacht worden war. Stattdessen wollen nun die arabischen Staaten durch die "Wiederaufbau-Tür" nach Syrien zurückzukehren. Allen voran die Golfstaaten.
Die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain haben ihre Botschaften in der syrischen Hauptstadt Ende Dezember offiziell wieder geöffnet. Der Berater des tunesischen Präsidenten Lazhar al-Qorawi al-Chabi sagte am Sonntag in Beirut, die Arabische Liga prüfe, ob die Mitgliedschaft Syriens wiederhergestellt werden könne. Es gebe "positive Zeichen" dafür, nachdem einige arabische Staaten ihre Botschaften in Syrien wieder geöffnet hätten. "Syrien sollte nicht länger außerhalb der Arabischen Liga sein", so Al-Chabi weiter. "Dort ist sein normaler Platz."
Im November 2011 war die Mitgliedschaft des Landes suspendiert worden, auf dem nächsten Gipfeltreffen der Liga im März 2019 in Tunis könnte nun der Beschluss aufgehoben werden. Ägypten hat sich seit Jahren dafür stark gemacht, inzwischen fordern immer mehr arabische Staaten, die Mitgliedschaft Syriens in der Arabischen Liga zu erneuern.
Nicht erfreut über die innerarabischen Annäherungen zeigt sich indes die Europäische Union. Anlässlich eines Treffens der EU mit Ägypten in Brüssel hieß es, im Hinblick auf die "aktive Rolle Kairos in der Arabischen Liga, möchte die EU (….) wiederholen, dass jetzt weder die Zeit ist, die Beziehungen mit Syrien zu normalisieren, noch Syrien wieder in internationale Gremien zu integrieren."
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