Nahost

Interview: Hisbollah wird immer stärker - Israel fürchtet Mehrfrontenkrieg mit Gaza und Libanon

Israel fürchtet einen Zweifrontenkrieg und möchte Konflikte im Gaza lieber nicht eskalieren. Stattdessen fokussieren sich die IDF auf die Hisbollah, die im Syrien-Krieg militärisch erstarkt und so zu einer erheblichen Herausforderung für Israel geworden ist.
Interview: Hisbollah wird immer stärker - Israel fürchtet Mehrfrontenkrieg mit Gaza und LibanonQuelle: AFP

von Ali Özkök

RT Deutsch hat mit Joe Truzman gesprochen. Er ist Sicherheitsanalyst mit Fokus auf bewaffnete Konflikte zwischen Israel und nicht-staatlichen Akteuren wie der Hisbollah und der Hamas. Er betreibt unter anderem den Nahost-Analyse-Newsletter GroundBrief.

Am Montag begann das israelische Militär eine Operation gegen Hisbollah-Tunnel im israelisch-libanesischen Grenzgebiet. Wie umfangreich ist diese Operation, und könnte sie zu militärischen Aktivitäten auf libanesischem Boden führen?

Die Operation "Northern Shield" ist nur ein Teil der von der IDF entwickelten Gesamtstrategie zur Bekämpfung der Hisbollah. Es ist wahrscheinlich, dass die IDF viele Wochen lang entlang der libanesischen Grenze operieren werden, um Tunnel zu lokalisieren und diese zu neutralisieren. Die Anti-Tunnel-Operationen Israels entlang der libanesischen Grenze werden sehr ähnlich sein zu die Operationen an der Grenze zu Gaza. Was wir nicht sehen werden, sind einige der Methoden, mit denen die IDF bereits Tunnel im Gaza zerstört haben - insbesondere Luftangriffe gegen den Anfangsort der Tunnel. Im Gegensatz zu den Luftangriffen, die wir in der Vergangenheit gegen palästinensische Tunnel gesehen haben, würde jede Art von Bombardierung durch die IDF auf libanesischem Boden wahrscheinlich eine Reaktion der Hisbollah auslösen.

Die IDF streben nicht danach, aus dieser Operation einen Konflikt entstehen zu lassen, und es ist deshalb offensichtlich, dass die IDF die Operation nur auf israelischem Boden durchführen. Die Hisbollah veröffentlichte Bilder und Videos von den Tunnel-Operationen der IDF entlang der Grenze in den letzten Tagen als Botschaft an die israelische Armee, dass sie diese Aktivitäten sehr genau im Auge behält. Ich glaube, solange die IDF auf israelischem Boden bleiben, wird sich aus dieser Operation kein Konflikt ergeben.

Es gibt Hinweise darauf, dass Israel seit 2013 nach Aktivitäten der Hisbollah sucht. Zu dieser Zeit wurden keine Tunnel gefunden. Was hat sich geändert und welche militärischen Folgen für Israel könnte die Nutzung solcher Tunnel in einem Krieg haben?

Neue Technologien, die aus den Erkenntnissen der IDF bei der Zerstörung von Tunnelsystemen der Al-Kassam-Brigaden und des Palästinensischen Islamischen Dschihads in Gaza entwickelt wurden, sind der Hauptgrund für den Wandel. Die IDF erfuhren aus erster Hand, wie effektiv Tunnelsysteme während des Krieges 2014 waren. Bei einem Vorfall konnten al-Kassam-Kämpfer durch einen Tunnel aus dem Gaza einen IDF-Militärposten in Israel angreifen. Sie töteten fünf IDF-Soldaten.

Die Hisbollah kann Tunnel nutzen, um ähnliche Operationen gegen IDF-Posten entlang der libanesischen Grenze durchzuführen. Tunnel können auch verwendet werden, um gefangene IDF-Soldaten unbemerkt in den Libanon zu bringen, um sie dann als Verhandlungsmasse zu nutzen. Die israelische Armee hat auch behauptet, dass die Hisbollah die Tunnel benutzen könnte, um einen zukünftigen Krieg gegen Israel auszulösen, indem sie eines der israelischen Dörfer entlang der libanesischen Grenze einnimmt.

Es gibt Gerüchte, dass die Operation von der israelischen Regierung als Vorwand genommen wurde, um sich in der Innenpolitik als fähig und stark darzustellen. Wie beurteilen Sie solche Aussagen?

Es ist kein Geheimnis, dass der israelische Premierminister viel Kritik von der israelischen Gesellschaft einstecken musste, nämlich über die Art und Weise, wie er mit der Situation im Süden des Landes umgegangen ist. Der palästinensische Rückkehrmarsch, das Aufsteigenlassen von Brand- und Sprengballons gegen israelische Gemeinden und die Raketenangriffe palästinensischer Gruppen aus dem Gaza wurden zum zermürbenden Alltag für israelische Bürger an der Südgrenze.

Schließlich wurde es sogar für Netanjahu selbst gefährlich, als sein Verteidigungsminister Avigdor Lieberman wegen der Differenzen mit dem Premierminister über die Art und Weise der Beherrschung der Sicherheitslage im Süden zurücktrat. Die Tunnel-Operation hilft Netanjahu nun sicherlich, aber es ist noch zu früh beurteilen zu wollen, ob die Operation eine nachhaltige Wirkung zur Beruhigung der Bürger haben wird. Viele haben ihn aufgrund seiner Leistung gegen die verschiedenen palästinensischen Gruppen im Gaza in den letzten neun Monaten als schwach angesehen.

Noch vor wenigen Wochen gab es militärische Auseinandersetzungen im Gazastreifen. Manche glauben, dass Israel keinen Zweifrontenkrieg führen will und deshalb letztendlich in Gaza vorsichtig reagiert hat. Wie bewerten Sie solche Schlussfolgerungen?

Die Israelis handelten vorsichtig, weil sie keine weitere Bodenoperation in Gaza durchführen wollten. Sie betrachten die Bedrohung durch die Hisbollah im Libanon und durch die schiitischen Milizen im Süden Syriens als eine viel größere Bedrohung.

Vor ein oder zwei Jahren hätte Israel wahrscheinlich eine begrenzte Bodenoperation in Gaza durchgeführt, ohne die Angst, an zwei Fronten kämpfen zu müssen. Israel war auch nicht mit der Gefahr einer pro-iranischen Miliz in der Nähe der Golanhöhen konfrontiert, wie sie es heute sind. Die israelische Regierung zieht es deshalb vor, Gaza stabil zu halten, indem sie katarisches Geld und Treibstoff legal in die Enklave hineinlässt, auch wenn sie Gefahr läuft, die Hamas dadurch siegreich erscheinen zu lassen. Alles, was Israel getan hat, um einen Krieg in Gaza in den letzten neun Monaten zu verhindern, ist das Ergebnis ihrer Sorge um den Konflikt gegen die Hisbollah und deren Verbündete. Die palästinensischen Gruppen in Gaza haben zeitgleich Verbindungen zur Hisbollah und zum Iran aufgebaut.

Die Hisbollah gründet ihre Unterstützung als nichtstaatlicher Akteur auf die schiitische Minderheit im Libanon. Könnte die Hisbollah in einem direkten Konflikt mit dem israelischen Militär auch auf die volle Unterstützung aller Elemente im Libanon zählen, einschließlich des Staates?

Die Hisbollah ist 2018 eine andere Entität im Vergleich zu dem, was sie während des Libanonkriegs 2006 war. Sie hält mehr Sitze in der libanesischen Regierung und profitiert von einer zunehmenden Popularität nach dem Sieg im syrischen Bürgerkrieg. Sie genießt zwar nicht die volle Unterstützung der Bevölkerung, wie wir sie in Gaza bei den palästinensischen Fraktionen sehen. Die libanesische Armee würde sich nur ungern einem Konflikt gegen Israel anschließen. Ein Grund dafür ist die finanzielle Hilfe, die sie von den Vereinigten Staaten erhält. Rund 1,5 Milliarden US-Dollar seit 2006, so laut einem Bericht von Reuters vor einigen Wochen. Jeder Angriff der libanesischen Armee auf israelische Positionen würde die Hilfe, die sie von den USA erhält, gefährden.

Es gibt zahlreiche Analysen, die besagen, dass die Hisbollah im Laufe des syrischen Konflikts entgegen den Erwartungen an militärischen Fähigkeiten und Stärke gewonnen hat. Teilt das israelische Militär-Establishment diese Ansicht?

Die IDF haben die militärischen Fähigkeiten der Hisbollah im Laufe der Zeit der Kämpfe in Syrien genau beobachtet. Die Hisbollah hat unschätzbares Wissen und praktische Erfahrung gesammelt. Sie haben in Syrien mehr Kampferfahrung gesammelt als in allen Konflikten mit Israel zusammen. Sie haben neue Fähigkeiten erworben und genau studiert, wie man in feindlichem Gebiet operiert. Auch der Iran nutzte den syrischen Krieg, um die militärischen Fähigkeiten der Hisbollah zu verbessern. Teheran rüstete die Hisbollah mit Drohnen und Präzisionsraketen aus, um nur einige Neuerungen zu nennen.

Israel bombardiert Syrien regelmäßig, um die Verbindung zwischen Iran und Hisbollah zu schwächen. Wie entwickeln sich die Aktivitäten der Hisbollah in Syrien derzeit, und welche Bedeutung hat die Angst Israels vor einer Ausweitung der Präsenz der Hisbollah auf den Golanhöhen?

Die Hisbollah und ihre Verbündeten expandieren in Syrien enorm. Aus den zahlreichen Berichten über israelische Luftangriffe gegen Hisbollah-Waffenlager und schiitische Milizbasen geht hervor, dass Israel über die wachsende Ansammlung pro-iranischer Gruppen in der Nähe seiner Grenze sichtlich besorgt ist.

Es gab erst vergangenen Monat Berichte über die Gründung einer neuen schiitischen Miliz in Busra al-Scham in der Nähe der syrischen Golanhöhen. Auch gab es unbestätigte Berichte, dass die Hisbollah sogenannte taktische ballistische SS-21-Skarab-Raketen in der Nähe des syrischen Golan einen Tag nach der Aufdeckung der Tunnel stationierte. Dies ist nur ein Beispiel für die Fähigkeiten der Hisbollah in Syrien, die eine ernsthafte Bedrohung für die IDF-Positionen im Golan darstellen.

Inwieweit glauben Sie, sollte ein großer Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah ausbrechen, dass dieser Grenzkonflikt zu einem regionalen Krieg mit dem Iran ausarten könnte?

Das ist möglich, aber eher unwahrscheinlich. Es würde katastrophale Ereignisse auf beiden Seiten erfordern, damit sich der Iran einmischen würde. Der Iran hat nur begrenzte Möglichkeiten, Israel anzugreifen. Teheran könnte Israel nur auf zwei Arten angreifen: mit ihren ballistischen Raketen aus dem Iran und dem westlichen Irak oder durch die Hisbollah mit ihren lokalen Verbündeten. Außerdem bedeutet das nicht unbedingt, dass sich die Iran-Achse nur auf israelisches Territorium fokussieren würde. Auch israelische Botschaften und Institutionen im Ausland wären gefährdet. Wir haben so etwas schon 2012 gesehen, als ein Mitglied der Hisbollah eine Bombe in einem Bus detonieren ließ, der israelische Touristen in der bulgarischen Stadt Burgas beförderte. Schon damals hat Israel deswegen keine direkten Vergeltungsmaßnahmen gegen iranische Positionen ergriffen.

Wenn ich mir das Gesamtbild ansehe, sehe ich keine Entwicklungsmöglichkeiten aus Israels aktueller Operation gegen die Hisbollah, die zu einem größeren Krieg zwischen Israel und Iran führen würde.

Vielen Dank für das Gespräch!

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