Interview mit iranischem Unternehmensberater: EU sollte sich US-Druck widersetzen
Dawood Nazirizadeh ist Inhaber der in Wiesbaden ansässigen Unternehmensberatung Nazirizadeh Consulting, die seit vielen Jahren deutschlandweit kleine und mittelständische Unternehmen dabei unterstützt, im Iran geschäftlich aktiv zu werden. Er berät auch iranische Unternehmen hinsichtlich eines möglichen Engagements in Deutschland. Für das Bundesland Rheinland-Pfalz vertritt Nazirizadeh die offizielle Kontaktstelle der rheinland-pfälzischen Wirtschaft im Iran.
Mit RT Deutsch sprach der Berater über die Auswirkungen der Sanktionen im Iran, Gegenmaßnahmen und die Stimmung in der Bevölkerung.
Der iranische Präsident kündigte Maßnahmen gegen die Sanktionen an. Wie diese aussehen, wurde jedoch nicht näher formuliert. Was kann der Iran gegen die Sanktionswut der USA unternehmen?
Iran hält sich da aus guten Gründen so lange wie möglich bedeckt, da jede offizielle Ankündigung Gegenmaßnahmen der USA zur Folge hat. Eine Maßnahme, die ergriffen wurde, ist der Rohölhandel an der Börse IRENEX, so dass die Privatwirtschaft, inländische und ausländische Käufer, iranisches Öl erwerben und exportieren kann. Ein lange erwarteter Schritt. Man kann also sagen, dass die USA überfällige Reformen in Iran befördern. Was wir außerdem sehen, sind sehr starke diplomatische Offensiven, vor allem in der Region. Die Türkei, der Irak werden Iran als Handelspartner erhalten bleiben, in Syrien wird Iran beim Wiederaufbau eine große Rolle spielen. Auch hat Iran eine große Menge Öl – ca. 22 Mio. Barrel – in China eingelagert, entweder um es direkt an China oder von dort aus anderswohin zu verkaufen. Damit dürfte der Öl-Handel für einige Monate auf einem für Iran erträglichen Niveau gesichert sein. China ist überhaupt Irans wichtigster Verbündeter, da es sich selbst in einem Handelskrieg mit den USA befindet. So wickelt China fast alle seine Öl-Importe über iranische Reedereien ab, die von den USA sanktioniert werden.
Iran stärkt sein internationales Ansehen durch weiteres Einhalten seiner Verpflichtungen aus dem „Atomabkommen“ (JCPoA), lässt sich seine Rechte durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag bescheinigen, arbeitet weiter daran, internationalen Standards im Finanzwesen zu entsprechen. Wir haben den Eindruck, dass man auch die Trump-Regierung „aussitzen“ will und darauf hofft, dass es in absehbarer Zeit wieder zur Aufhebung der US-Sanktionen kommen wird, die ja gegen das Völkerrecht verstoßen. Der JCPoA ist weiterhin ein durch UN-Resolution verbindlicher Vertrag.
Wir hoffen, dass es nicht zu Maßnahmen kommen wird, die das Risiko eines größeren Krieges in der Region befördern, wie die immer mal wieder angedrohte Blockade der Straße von Hormus.
Würden sie die Lage im Iran als angespannt beschreiben? Sind die jungen Menschen hoffnungslos?
Wir nehmen wahr, dass die Stimmung in Iran tatsächlich in einem Ausmaß angespannt ist, wie wir es in vergangenen Jahren nicht erlebt haben. Daran sind die Sanktionen nur zu einem Teil schuld – an diese ist die iranische Bevölkerung seit fast 40 Jahren gewöhnt. Schlimmer ist für die Menschen, dass sie ein Maß an Korruption wahrnehmen, wie es vor den Zeiten der Ahmadinejad-Regierung nicht vorhanden war, auch wenn dieses Problem schon immer bestanden hat. Grund ist, dass unter der Regierung Ahmadinejad Einnahmen des Staates bevorzugt an Unternehmen der Revolutionsgarden und an andere quasi-staatliche Organisationen gegeben wurden, die wirtschaftlich tätig sind.
Das Problem mit der wirtschaftlichen Beteiligung solcher Organisationen ist, dass es keine unabhängigen Kontrollinstanzen gibt, was die Anfälligkeit für Korruption enorm steigert.
In Umfragen unter der iranischen Bevölkerung kommt regelmäßig heraus, dass die allgegenwärtige Korruption als das größte Problem für die Wirtschaft und das tägliche Leben angesehen wird. Die derzeitige Regierung setzt sich für echte Privatisierungen und für Reformen im Bankwesen ein, aber der Prozess verläuft angesichts dieser Problematik schleppend. Auch bekämpft die Justiz inzwischen gezielt Wirtschaftskriminalität. Man kann sich jedoch angesichts des massiven Problems vorstellen, dass kein Bereich des Landes von Korruption frei ist.
Gerade drängen sehr viele junge Menschen auf den Arbeitsmarkt, die trotz guter Ausbildung kaum Chancen haben. Da ist die Enttäuschung groß, sowohl über die Regierung Rouhani, die ihre Versprechungen nicht halten kann, als auch über das internationale Geschehen. Man hat sich vom JCPoA viel mehr versprochen. Jetzt ziehen sich die großen internationalen Unternehmen angesichts der US-Sanktionen weitgehend aus Iran zurück. Da das zivile Atomprogramm in Iran sehr populär ist, fragen sich jetzt viele, ob es den Preis wert war, sich einem solch umfassenden Kontrollregime zu unterwerfen, wenn die angekündigten Erleichterungen für die wirtschaftliche Entwicklung nicht umgesetzt werden.
Die wieder rapide angestiegene Inflation bereitet den Menschen Probleme, ebenso wie man sieht, dass es durch Klimawandel und Missmanagement verursachte Umweltprobleme gibt, bei deren Bewältigung unterschiedliche Interessengruppen nicht an einem Strang ziehen.
Iran hat also einiges an intern und extern verursachten Problemen zu bewältigen. Im Gegensatz aber z. B. zum Irak, der mit den Sanktionen in der Vergangenheit nicht fertig wurde, gibt es in Iran eine funktionierende Grundversorgung, ein gutes Bildungssystem, Verbesserungen bei der Infrastruktur und das trotz anhaltender Sanktionen.
Was wird im November geschehen, wenn die USA weitere Sanktionen gegen den Iran erlassen? Oder sind bereits alle Möglichkeiten ausgeschöpft?
Die spannendsten Fragen sind, wie weit der Öl-Handel aufrechterhalten werden kann und wie die jetzt ja schon sehr schwierigen Finanztransaktionen. Die USA könnten theoretisch das internationale Zahlungssystem SWIFT, jedenfalls vorübergehend, vom Netz nehmen, da ein großes Rechenzentrum dieses genossenschaftlich organisierten Unternehmens in den USA liegt. Damit würden die USA sich aber auch selbst vom internationalen Zahlungsverkehr abkoppeln und damit ihrer eigenen Wirtschaft massiv schaden. Viel wahrscheinlicher ist, dass die USA Sanktionen gegen Personen des gehobenen Managements von SWIFT verhängen, um die Arbeit von SWIFT damit zu behindern.
Längst nicht alle Geschäfte mit Iran fallen formal unter die US-Sanktionen. Allerdings ist der Zahlungsverkehr der Hebel, mit dem die USA am meisten Druck ausüben können. Und natürlich ist das Iran-Geschäft für viele Unternehmen nicht so wichtig, wie das in den USA, so dass Firmen da aus wirtschaftlicher Sicht kaum eine Wahl haben, als ihr Engagement in Iran aufzugeben.
Hassan Rohani kündigte an, das Nuklearabkommen aufrechtzuerhalten: Ist die von der EU angestrebte Clearingstelle zum Handel mit dem Iran umsetzbar? Oder werden die USA dieses Vorhaben ebenfalls unterbinden?
Die EU hat zugesagt, dass das „Special Purpose Vehicle“ im November installiert wird, wir gehen aber davon aus, dass es noch Monate braucht, um praktisch zu funktionieren. Wenn die USA es nun schaffen, auch Tauschgeschäfte mit Iran zu unterbinden, indem sie z. B. Zahlungen an diese Zweckgesellschaft sanktionieren, dann wäre das SPV nicht funktionsfähig.
Bislang ist ja wenig darüber bekannt, wie diese Zweckgesellschaft arbeiten soll. Für uns aus der Praxis stellt sich die Frage, wie Unternehmen Zahlungen aus dieser „Clearingstelle“ an ihre Hausbanken erhalten sollen, wenn diese keine Gelder aus Iran-Geschäften annehmen wollen. Das Thema beschäftigt uns tagtäglich. Wir haben Wege, unsere Klienten beim Zahlungsverkehr mit Iran zu unterstützen und sind also gespannt, wie das „SPV“ diesen Zahlungsfluss zukünftig sicherstellen soll.
Was muss von Seiten der EU geschehen, um die Lage im Iran zu verbessern?
Am wichtigsten ist aus unserer Sicht, dass der Zahlungsverkehr aufrechterhalten wird. Dazu sollte die EU ihre Ankündigungen umsetzen: Z. B. könnte sie mittels ihrer Blockierungsverordnung gegen die Sekundärsanktionen der USA das Zahlungssystem SWIFT zwingen, die Iran-Geschäfte aufrecht zu erhalten, denn SWIFT ist ja in der EU angesiedelt, EU-Recht unterworfen und die US-Banken sind nur normale Mitglieder der Genossenschaft. Dann sollte natürlich die Zweckgesellschaft der EU ihre Funktionstüchtigkeit baldmöglichst beweisen.
Dass Iran weiterhin sein Öl verkaufen kann, von dem die Staatseinnahmen weitgehend abhängen, ist der nächste wichtige Punkt.
Und ganz wichtig: Die EU sollte eine klare Friedensdiplomatie im Mittleren Osten betreiben. Die Konflikte in der Region binden finanzielle und zeitliche Ressourcen, die man besser für die Entwicklung der betroffenen Länder im Interesse der Bevölkerungen aufwenden könnte. Dass die EU den JCPoA so vehement verteidigt, ist ja ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Und im Übrigen auch im Interesse Europas, denn die ständigen Kriege in der Region bedeuten auch immer mehr Flüchtlinge in Europa.
Die geplante Vertretung der EU in Iran wäre sicherlich hilfreich. Die EU sollte auch gezielt Entwicklungsprojekte in Bereichen fördern, die der Zivilbevölkerung zugute kommen, wie im Bereich des Umweltschutzes, der Landwirtschaft, der erneuerbaren Energien. Auch die wissenschaftlichen Kooperationen sind noch ausbaufähig.
Von solchen Projekten profitiert die Bevölkerung Irans, aber ebenso die europäische Wirtschaft.
Welche neuen wirtschaftlichen Bemühungen gibt es von Seiten der Regierung in Teheran mit anderen Ländern?
China entwickelt sich, wie bereits erwähnt, zum wichtigsten Partner Irans, was aber auch eine gefährliche Abhängigkeit bedeuten kann. Iran ist über das Projekt „Neue Seidenstraße“ ein wichtiger Bestandteil internationaler Beziehungen Chinas. Iran will sich als „Transport-Hub“ im Mittleren Osten etablieren und tätigt große Investitionen in den Ausbau von Häfen, Flughäfen, Schienenwegen und Straßen. Dafür ist das Land natürlich auf ausländische Investitionen angewiesen. Die US-Sanktionen zielen deshalb auch nicht ohne Grund auf Irans Reedereien und private Luftfahrt. Russland ist sowohl Mitbewerber auf dem internationalen Öl- und Gasmarkt als auch milliardenschwerer Investor in Irans Öl- und Gasindustrie. Dass es unter den Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres in diesem Jahr nach Jahrzehnten der Streitigkeiten eine Einigung gegeben hat, wird Irans Position in der Region stabilisieren.
Iran baut seine Wirtschaftsbeziehungen weltweit aus und pflegt eine rege Wirtschaftsdiplomatie. Mit der Eurasischen Wirtschaftsunion (Russland, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Armenien) gibt es einen Zeitplan für einen Beitritt innerhalb von drei Jahren. Das Land hat eine diversifizierte Wirtschaft, ist allerdings in den Exporten immer noch viel zu sehr von Öl und Gas abhängig. Die petrochemischen Produkte sind aber sehr gefragt auf dem Weltmarkt, beim Stahl ist Iran der zehntgrößte Produzent weltweit. US-Sanktionen werden diese Entwicklung aber mit Sicherheit verlangsamen. Die iranische Autoindustrie z. B., die große Pläne nach Inkrafttreten des JCPoA hatte, kommt jetzt schon kaum voran. Dabei könnten in Iran gebaute Autos internationaler Marken auf dem Markt der Region Erfolge erzielen.
Wir bedanken uns für das Interview.
Das Interview führte RT Deutsch Redakteurin Olga Banach
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