Nahost

Interview: Russland kooperiert mit Türkei zu Idlib, Einigung über eine Zukunft Syriens ohne USA

Im Gespräch mit RT Deutsch hat der Syrien-Experte Ömer Özdemir über das Idlib-Abkommen zwischen Russland und der Türkei gesprochen. Beide Staaten sowie Iran sind sich auch einig, einen Frieden in Syrien ohne Beteiligung der USA an diesen Gesprächen durchzusetzen.
Interview: Russland kooperiert mit Türkei zu Idlib, Einigung über eine Zukunft Syriens ohne USA

von Ali Özkök

Ömer Behram Özdemir ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department of International Relations der Sakarya University, Türkei. Sein Schwerpunkt liegt auf dem Syrien-Konflikt und nicht-staatlichen bewaffneten Akteuren.

Erdogan und Putin haben sich am Montag in Sotschi getroffen und ein Abkommen über die Zukunft von Idlib beschlossen. War das ein Durchbruch?

Durchaus, das Abkommen von Sotschi zwischen Russland und der Türkei beweist auch, dass sowohl die politische Haltung der Türkei als auch die militärischen Schritte in Bezug auf Idlib direkte Auswirkungen auf einen möglichen Angriff von Assad und seinen Verbündeten auf Idlib hatten. Aber jetzt gibt es neue Herausforderungen für Moskau und Ankara. Der Test in Ankara wird sich mit radikalen Gruppen befassen, und dieser Test ist ein neuer und schwieriger Test für die Türkei. Auf der anderen Seite wird Russlands Test der sein, Assad und den Iran unter Kontrolle zu halten, um jegliche Eskalation gegenüber dem Sotschi-Abkommen zu verhindern. Während der Evakuierung Aleppos waren damals pro-iranische Milizen ein Problem für das seinerzeit geschlossene türkisch-russische Abkommen. Dieses Mal wird Moskau noch aufmerksamer auf die Aktivitäten der pro-iranischen Milizen reagieren.

Nach dem Teheran-Gipfel sah es noch so aus, als wenn die Türkei durch Iran und Russland in ihren Interessen an Idlib unberücksichtigt bleibt. Wie bewerten Sie den Grad der Zusammenarbeit?

Trotz der offensichtlichen diplomatischen Zusammenarbeit zwischen der Türkei, Russland und dem Iran stehen die Akteure letztlich im syrischen Konflikt auf völlig unterschiedlichen Seiten. Die gemeinsame Idee, die alle verbindet, ist eine Lösung in Syrien ohne US-Beteiligung - zumindest in den Gebieten ohne starke YPG-Präsenz.

Zu diesem Zweck haben Moskau und Ankara einen gemeinsamen Prozess eingeleitet, indem sie die Initiative zur Lösung des Syrienproblems ergriffen haben. Die eigentlichen Positionen von Russland und Iran in Sachen Idlib sind offensichtlich. Dennoch war der Dialog offen, wie beim Treffen zwischen Putin und Erdogan in Sotschi zu beobachten.

Wie es aussieht, hat Russland in Syrien eine Eskalationsübermacht. Besteht in Ankara nicht die Sorge, dass eine Kollision mit Russland die Ereignisse von 2015 wiederbeleben könnte, als Russland nach dem Abschuss eines russischen Flugzeugs durch die türkische Luftwaffe erheblichen Druck auf die Türkei ausübte und die wirtschaftliche Zusammenarbeit sogar auf ein Minimum reduzierte?

Idlib im Norden Syriens berührt eine nationale Sicherheitsfrage für die Türkei. So handelt die Türkei bei Fragen zu Idlib als auch bei ihrer militärischen Präsenz in Afrin und al-Bab sehr überlegt. Ankara wird dabei aber auch den Konflikt mit Moskau vermeiden. Der liegt nicht im Interesse der Türkei. Dafür gibt es wichtige militärische und wirtschaftliche Gründe.

Ich denke jedoch, dass auch Moskau einen ähnlichen Konflikt vermeiden wird. Sollte sich der Konflikt zuspitzen, würde das bedeuten, dass Russland angesichts der Hunderte  Kilometer langen türkisch-syrischen Grenze einen zu hohen Preis zahlen müsste, sollten beide Armeen miteinander kollidieren. Die türkische Armee hat eine moderne Infrastruktur und ist nicht zu vergleichen mit dem „Islamischen Staat“ oder Rebellen im Syrien-Konflikt.

Russische Analysten argumentieren, dass Russland bereit ist, mit Ankara im Norden von Idlib zusammenzuarbeiten und der Türkei freie Hand zu lassen, wenn Ankara mit Russland Terroristen im Süden von Idlib bekämpft und dieses Territorium Assad überlässt. Wäre das nicht genug, um auch Flüchtlinge zu schützen?

Die türkische Regierung ist der Meinung, dass jedes Vorrücken von Assads Kräften zu Flüchtlingswellen führen könnte. Der wichtigste Faktor dabei ist, dass Idlib bereits eine große Anzahl von Flüchtlingen aus Homs und Ghuta beherbergt. Darüber hinaus ist bekannt, dass in der südlichen Region von Idlib, wo die türkischen Streitkräfte Beobachtungspunkte etablierten, es eben auch von der Türkei unterstützte Milizen gibt.

Ankara will die Opposition von den Terroristen trennen. Russische Militärangehörige äußern ihre Zweifel an der Machbarkeit dieser Maßnahme. Wie bewerten Sie solche Aussagen, und gibt es Hinweise darauf, auf welche Art die Türkei die Terrormiliz HTS auflösen möchte?

Als erstes möchte die Türkei mittels politischen Drucks die Organistaion Haiʾat Tahrir asch-Scham, also HTS, auflösen. Wenn das nicht funktioniert, wird die Türkei mit eigenen Rebellen gegen HTS vorgehen. Ein wichtiger Punkt ist jedoch, dass Ankara und Moskau unterschiedliche Definitionen dafür haben, was "Terroristen" sind. Und diese Situation wird zu Problemen zwischen Ankara und Moskau führen, selbst wenn die Zerschlagung von HTS beschlossene Sache ist.

Kritiker sagen, dass Ankara diese Gebiete nicht an Syrien zurückgeben will. Die türkische Regierung leugnet solche Argumente, hält aber weiterhin an den staatlichen Aufbaumaßnahmen in der Region fest. Können Sie diese Haltung erklären?

Idlib ist aus zwei Motiven wichtig für die Türkei. Erstens Flüchtlinge. Ankara will keine neue Welle von Flüchtlingen aufnehmen. In dieser Frage ist die Türkei kompromisslos. Der zweite Grund ist das Halten von Afrin und al-Bab. Genau wie Russland, das seine militärische Präsenz im Zuge des Syrien-Konflikts in Latakia erhöht hat, hat auch die Türkei ihren Einfluss in der Region mittels Militäroperationen ausgebaut. Sollte die Türkei Idlib verlieren, wird sie auch Afrin und al-Bab verlieren, davon ist die Regierung überzeugt. Außerdem will die Türkei diese Gebiete nicht an die PKK-nahen YPG-Milizen abtreten. Deshalb forderte Erdoğan die Notwendigkeit der Beendigung der PKK/YPG-Bedrohung in Syrien. Er nannte dies als eine Voraussetzung für die Einkehr von politischer Stabilität im Land.

Es ist jedoch schwierig eine solche Stabilität in naher Zukunft zu erreichen. Deshalb hat die Türkei den Wiederaufbau der von ihr kontrollierten Regionen im Sinne einer stabilisierenden Maßnahme begonnen.

Auf dem Teheran-Gipfel kamen die Türkei, Russland und der Iran überein, die US-Aktivitäten in Syrien als eine besondere Bedrohung für die Integrität Syriens anzuerkennen. An wen richtet sich diese Kritik und wie könnten die drei Staaten zusammenarbeiten?

Hier ist das Hauptziel die von den USA unterstützte YPG. Iran und Russland fühlen sich mit der militärischen US-Präsenz in Syrien ebenso bedroht wie Ankara. Die Türkei reagiert noch stärker auf diesen Zustand, weil sie sich von der YPG direkt bedroht fühlt. Das können wir ganz deutlich sagen: die Türkei wird Syrien nicht verlassen, solange die YPG nicht neutralisiert ist.

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