Nahost

Syrien zwischen Kriegstrommeln und Hoffnung auf Wiederaufbau

Die 60. Internationale Messe zieht Zehntausende Besucher nach Damaskus. Der starke Andrang spiegelt den Wunsch der Syrer nach Normalität wider. Aber auch die Zuversicht, dass der Wiederaufbau ihres Landes trotz westlicher Sanktionen bewältigt werden kann.
Syrien zwischen Kriegstrommeln und Hoffnung auf WiederaufbauQuelle: Reuters © Omar Sanadiki/ Reuters

von Karin Leukefeld

Sieben Jahre standen die Züge still. Der Bahnhof al-Qadam, unweit des palästinensischen Flüchtlingslagers Jarmuk im Süden von Damaskus, war 2012 von bewaffneten Gruppen eingenommen worden. Die Zivilisten flohen, und das Viertel wurde zur Kampfzone.

Doch nun sind der Bahnhof, die Schienen und die Züge wieder repariert, und rechtzeitig zur Internationalen Messe von Damaskus wurde al-Qadam wieder in Betrieb genommen. Das Transportministerium hatte geplant, dass die Züge täglich 36 Mal zwischen al-Qadam und der Messe hin- und herfahren sollten, um Tausende Besucher zu transportieren. Die ersten drei Tage funktionierte der Transport, doch dann blieben die Züge „wegen technischer Schwierigkeiten“ wieder stehen. Stattdessen wurde ein kostenloser Pendelverkehr mit Bussen eingerichtet, die Busse sind überfüllt.

Zum 60. Mal hat die größte Handelsmesse des Mittleren Ostens in diesem Jahr ihre Tore geöffnet. Wie im vergangenen Jahr ist der Andrang so groß, dass manche Besucher im Verkehrsstau stecken bleiben. Hussam M. wollte mit Frau und Kindern die Tanzvorführung einer berühmten tscherkessischen Tanzgruppe aus Qutsaiya, einem westlichen Vorort von Damaskus, besuchen. Doch der Verkehrsstau sei so dicht gewesen, dass er nicht einmal die Parkplätze am Messegelände erreichen konnte. Die Familie beschloss schließlich umzukehren.

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Als die Messe 2017 erstmals nach sechs Jahren Krieg wieder stattfand, waren die Menschen zu Fuß, mit Fahrrädern, Autos und sogar Lastwagen gekommen, um einen Tag auf der Messe zu verbringen. Und auch in diesem Jahr drängeln sich Jung und Alt, Frauen und Kinder vor den Eingangstoren der Messe. Der Eintritt ist ebenso frei wie der Besuch täglicher Kulturveranstaltungen. Für viele Familien ist ein Messeausflug eine willkommene Abwechslung in ihrem schweren Alltag, der von hohen Preisen, der Suche nach Arbeit und Wohnraum und der ständigen Sorge um das Wohl der Kinder geprägt ist.

Großes Interesse syrischer und ausländischer Firmen

Mehr als 1.700 syrische und ausländische Firmen aus 48 Ländern stellen auf der Damaskus-Messe aus, die noch bis zum 15. September 2018 dauern wird. 24 Länder, darunter Russland, der Iran, China, Weißrussland, Pakistan, der Irak und der Libanon, seien offiziell durch die Botschaften vertreten, erklärte Messedirektor Fares al-Kartally vor Journalisten. Aus Lateinamerika seien Argentinien und Venezuela vertreten. Italien, Frankreich, Deutschland und Großbritannien nähmen durch Partnerfirmen teil. Seit 2011 hat die Europäische Union ein Wirtschaftsembargo gegen Syrien verhängt, die vor dem Krieg intensiven Handelsbeziehungen liegen brach.

Russland sei mit einer großen Delegation von Geschäftsleuten vertreten, die eine Kooperation mit Syrien beim Wiederaufbau, bei der Ressourcenförderung, im medizinischen Bereich und in der Landwirtschaft anstrebten, so al-Kartally. Darüber solle auch bei einem russisch-syrischen Wirtschaftsforum gesprochen werden.

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Der Iran ist mit 54 Firmen vertreten, die medizinische Geräte, Medikamente, Kosmetika und Lebensmittel ebenso anbieten wie Busse und Autos. Auch im Bankenwesen und im Informationssektor wollen Syrien und der Iran zusammenarbeiten. Zusammenarbeit gibt es bereits beim Wiederaufbau der zivilen syrischen Infrastruktur, vor allem im Transportwesen und im Stromsektor. Der syrische Wirtschaftsminister Mohammad Samer al-Khalil sprach von einer „entscheidenden Phase für Syrien und den Iran“, man stehe an der Schwelle des Wiederaufbaus von Syrien, „die Kenntnis iranischer Firmen auf diesem Gebiet sollte genutzt werden“.

Auch Indien hofft auf gute Geschäfte in Syrien. Der Vorsitzende der Vereinigung indischer Exportorganisationen (FIEO), Ganesh Kumar Gupta, war mit einer 84-köpfigen Delegation indischer Exporteure angereist. Bis 2020 soll das Geschäft zwischen beiden Ländern auf 500 Millionen US-Dollar (USD) anwachsen, so Gupta. Derzeit liegt es bei 175 Millionen USD. Indische Firmen werben für Aufträge im Auto- und Maschinenbau sowie im Bereich der Stromversorgung und der Stahlproduktion.

Auf einem syrisch-indischen Wirtschaftsforum am Rande der Internationalen Messe wurde auch darüber diskutiert, wie man mit den von der Europäischen Union (EU) und den USA verhängten finanziellen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen Syrien umgehen solle. Die Sanktionen, die sich laut EU gegen diejenigen in Syrien richten, die „das Regime unterstützen, das Volk zu unterdrücken“ und die „an der Produktion chemischer Waffen“ beteiligt sein sollen, treffen nach verschiedenen UN-Berichten „jeden einzelnen Syrer“. Betroffen sind auch Staaten wie Indien, deren Handel mit Syrien und deren Investitionen in das Land unter den EU- und US-Sanktionen erheblich gelitten haben. 

Man habe ausführlich darüber gesprochen, wie man die Sperrungen von Bankgeschäften und den Bezahlmodus verändern könne, so der FIEO-Vorsitzende Gupta. Die Möglichkeit, zukünftig in lokalen Währungen anstatt in US-Dollar zu bezahlen, sei erörtert worden. Erfahrungen hat bereits die indische UCO-Bank, die für den Iran Bankgeschäfte anbietet. Auch mit europäischen Ländern ist Indien im Gespräch, um angekündigte US-Sanktionen gegen den Iran abzufedern, die sich gegen europäische Firmen richten, die weiter mit dem Iran Geschäfte machen.

Der syrische Ministerpräsident Imad Khamis zeigte sich bei der Eröffnungsfeier der Internationalen Messe überzeugt, dass Syrien den Krieg um den Wiederaufbau des Landes ebenso gewinnen werde wie „den Krieg gegen den Terror“. Khamis traf mit Firmen aus arabischen und anderen Ländern zusammen, um Projekte im öffentlichen und privaten Sektor zu besprechen, berichtete die syrische Nachrichtenagentur SANA. Dabei sei es um Fragen des Transports, um Zölle und Steuern beim Export syrischer Waren und Rohstoffe gegangen. Umgekehrt wollten ausländische Firmen über die syrischen Zölle und Steuern informiert werden. Khamis deutete an, dass die Regierung 50 Infrastrukturprojekte habe, für die sie Partner suche.

Investitionen im dreistelligen Milliardenbereich nötig

Verbündete und Gegner Syriens sprechen über den Wiederaufbau des Landes. Nach UN-Schätzungen könnte er bis zu 388 Milliarden US-Dollar kosten, doch unklar ist, wie er finanziert werden soll.

Die USA und westliche Partner, die mit den Golfstaaten sieben Jahre lang versuchten, die syrische Regierung zu stürzen, machen Hilfe zum Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes davon abhängig, dass ein nachhaltiger politischer Transformationsprozess stattfindet, an dessen Ende der jetzige Präsident Baschar al-Assad „keine Rolle mehr spielen“ soll.

Damaskus will vor allem Firmen aus dem Iran und den BRICS-Staaten den Zuschlag geben. Das sind die Länder, die Syrien in den letzten sieben Kriegsjahren politisch, wirtschaftlich und militärisch unterstützt haben. Der Libanon wird eine wichtige Plattform für den Wiederaufbau werden, denn die Häfen Syriens – Latakia und Tartus – sind schon jetzt überlastet. Die Häfen von Beirut und Tripoli haben sich auf die Anlandung großer Containerschiffe vorbereitet. Chinesische Firmen haben in Tripoli große Kähne installiert, der libanesische Hafen war schon vor dem Krieg auf der Liste der Häfen, die in das chinesische Projekt der Neuen Seidenstraße integriert werden sollen. Auch Jordanien wird vom Wiederaufbau profitieren, seit mehr als einem Jahr warten jordanische Geschäftsleute darauf, dass der Grenzübergang zu Syrien wieder geöffnet wird.

Syrien hat eine zentrale geostrategische Lage zwischen Europa und Asien, zwischen der Türkei und der Arabischen Halbinsel. Für alle ist Syrien Tor und Drehscheibe zu den Märkten der jeweils anderen Seite zugleich. Nicht zuletzt diese Bedeutung hat dem Land den noch anhaltenden Krieg, Besatzung, Drohungen und Isolation gebracht. Damaskus war und ist bis heute nicht bereit, sich den Forderungen der westlichen Welt unterzuordnen und will seine politischen, militärischen und wirtschaftlichen Partner selbst bestimmen.

Kriegstrommeln in Idlib

Während man auf der Internationalen Messe aktuell vor allem über den Wiederaufbau, die Rückkehr von Flüchtlingen und eine bessere Zukunft für alle Syrer nachdenkt, konzentrieren sich internationale Medien auf das Geschehen in und um die Provinz Idlib. Syrien und seine Verbündeten haben eine militärische Offensive gegen die dort agierenden Al-Qaida-nahen Kampfverbände angekündigt. Die USA und ihre Partner warnen vor einem Angriff und unterstellen Damaskus, einen solchen mit chemischen Waffen vorzubereiten.

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Aktuell wird die militärische Offensive gegen die Stellungen der dschihadistischen Gruppen wie Hay’at Tahrir asch-Scham (Front zur Befreiung Syriens, ehemals Nusra-Front) im Süden und Osten der Provinz Idlib und um die Stadt Dschisr asch-Schughur im Norden aus der Luft geführt. Aus syrischen Militärkreisen ist zu hören, dass die Bodenoffensive vorbereitet und alle beteiligten Einheiten der syrischen Streitkräfte in Stellung sind. „Wir warten nur auf den Angriffsbefehl“, so ein Offizier gegenüber der libanesischen Tageszeitung al-Akhbar. „Ob er in einer Stunde kommt, in einem Tag oder in einem Monat. Wenn wir den Befehl erhalten, werden wir jeden Zentimeter syrischen Bodens befreien.“

Syrien braucht Frieden, Geld und internationale Hilfe für den Wiederaufbau

Um wirklich mit dem sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbau voranzukommen, brauche Syrien internationale Hilfe, sagt der Ökonom Nabil Sukkar im Gespräch mit der Autorin in Damaskus. Die Zeit der humanitären Hilfe sei vorbei, nun brauche das Land Hilfe zum Wiederaufbau, Hilfe für gute Regierungsführung und Maßnahmen zum Schutz vor Korruption.

Vertreter des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) seien kürzlich in Damaskus gewesen, um sich von Nichtregierungsvertretern deren Vorstellungen für die Zukunft des Landes anzuhören. Sukkar war einer der Eingeladenen und erklärte den aus New York angereisten internationalen Diplomaten, dass Syrien unterstützt werden müsse, um die eigenen gesellschaftlichen Fähigkeiten für den Wiederaufbau zu entwickeln. Man könne nicht auf eine politische Vereinbarung der verfeindeten Seiten warten, wie der Westen es fordere, ist Sukkar überzeugt. Jetzt müsse man sich auf die Rückkehr der Flüchtlinge, ihre Unterbringung und ihre Versorgung konzentrieren, die Menschen bräuchten Arbeit. Dafür werde viel Geld gebraucht, das Syrien allein nicht aufbringen könne. Er stelle zunehmend privates Engagement von Geschäftsleuten fest, die Arbeitsplätze schafften. Das Finanzministerium habe eine „Wiederaufbausteuer“ eingeführt und überprüfe jahrzehntealte Verträge auf ihre Effizienz. Die westlichen Staaten müssten allmählich ihre Haltung gegenüber Syrien ändern und die Lage akzeptieren, wie sie sei, so Sukkar.

Ähnlich sieht es der Geschäftsmann Elia Samman. Die Internationale Messe in Damaskus sei wichtig, um Kontakte zu knüpfen, Angebote einzuholen und zu unterbreiten. Dennoch sieht er Syrien von einem organisierten Wiederaufbau noch weit entfernt. Dafür brauche man „Frieden und Geld“, sagt Samman, der die Autorin in einem vornehmen Büro im Sheraton-Hotel am Umayyaden-Platz empfängt. Beides fehle in Syrien.

An möglichen Angeboten deutscher oder europäischer Firmen zeigt der Geschäftsmann kein Interesse. Ausschlaggebend für Geschäfte seien „Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit“, beides sei von Europa nicht zu erwarten, wie man aktuell am Umgang mit dem Iran sehen könne. Er könne nicht verstehen, warum Europa so konsequent den Anordnungen der USA folge. „Man weiß doch dort, dass man sich damit ins eigene Fleisch schneidet, und dennoch ordnet man sich Washington unter.“ Für den Fall, dass die EU die Sanktionen gegen Syrien aufheben würde, könnte er sich höchstens vorstellen, Konsumgüter zu importieren. Auf keinen Fall würde er größere Investitionen vornehmen, weil vielleicht schon am nächsten Tag eine politische Entscheidung gegen Syrien getroffen werde und es dann keine Ersatzteile sowie keine Lieferungen mehr gäbe und bereits investiertes Geld verloren sei. „Das kennen wir schon.“

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