Nach neun Jahren: Libanesen wählen erstmals wieder ein neues Parlament
von Karin Leukefeld, Beirut
Am Sonntag wird im Libanon ein neues Parlament gewählt. 3,6 Millionen wahlberechtigte Libanesen sind aufgerufen, unter 597 Kandidaten und Kandidatinnen auszuwählen, wer sie im nächsten Parlament vertreten soll. Angetreten sind 77 Listen, darunter eine Liste ehemaliger Militärs und eine Frauenliste. Auch 50 landesweit und international bekannte Geschäftsleute und Millionäre kandidieren und haben den Wahlkampf – mit Unterstützung vor allem aus Saudi-Arabien – mit bis zu einer Milliarde US-Dollar zum teuersten Wahlkampf der libanesischen Geschichte aufgebauscht. Einer der 128 Parlamentssitze wird demnach etwa sieben Millionen US-Dollar kosten. Die großen Familien, die im Libanon schon seit Generationen eine Rolle spielen, sind im Rennen um die Sitze im zukünftigen Parlament mit der jüngeren Generation weiter vertreten.
Gewählt wird nach einem 2017 verabschiedeten Wahlgesetz, das die Rechte der Minderheiten stärken soll. Erstmals ist die Abgabe von zwei Stimmen möglich. Eine Stimme wird für eine Liste abgegeben, eine weitere Stimme für einen speziellen Kandidaten. Bei dem bisher gültigen Mehrheitswahlrecht gingen die Stimmen ausschließlich an die Kandidaten mit den meisten Stimmen. Erstmals können in diesem Jahr auch Libanesen wählen, die im Ausland leben. Bisher haben sich 82.000 Libanesen weltweit dafür registriert. Die Wahlen werden durch eine Oberste Wahlbehörde überwacht, die von einem Richter geleitet wird. Mögliche Beschwerden werden hier bearbeitet.
Weiterhin gilt allerdings die Verteilung der wichtigsten Ämter im Land an Vertreter der drei großen Religionsgruppen: Der Präsident wird von den maronitischen Christen gestellt, der Ministerpräsident von den sunnitischen und der Parlamentspräsident von den schiitischen Muslimen. Geregelt wird diese Verteilung durch das 1990 in Saudi-Arabien abgeschlossene Taif-Abkommen, mit dem der 15 Jahre währende Bürgerkrieg im Libanon (1975-1990) beendet wurde. Erhalten bleibt auch die parlamentarische Sitzverteilung der Konfessionen: 64 Sitze sind für Muslime, 64 Sitze für Christen reserviert.
Gewählt wird nicht auf nationaler Ebene, sondern in 15 Wahldistrikten, mit denen die bestehenden Provinzen im Libanon weiter aufgeteilt werden. Die bisherigen Partner "Allianz des 8. März" und "Allianz des 14. März" treten auf den Listen mal gemeinsam, mal gegeneinander an. Die beiden Lager waren nach dem gewaltsamen Tod des früheren Ministerpräsidenten "Mister Libanon" Rafik Hariri entstanden.
Die Allianz des 8. März um die Hisbollah will den Libanon in der Region des Nahen Ostens mit den arabischen Nachbarn und dem Iran in klarem Widerstand zu jeder westlichen und/oder israelischen Einmischung positionieren. Die Allianz des 14. März um die Zukunftspartei sucht dagegen die Allianz mit Europa, den USA und Saudi-Arabien – das mittlerweile mit Israel kooperiert – in klarem Widerstand zum Iran. Beide Lager unterstützen in dem achtjährigen Krieg in Syrien gegensätzliche Akteure. Die Allianz des 14. März stand hinter der bewaffneten Opposition gegen die Regierung von Baschar al-Assad. Der 8. März hingegen und insbesondere die Hisbollah unterstützen bis heute die syrische Armee. Eine pragmatische Annäherung der beiden Lager führte zu einer Regierung der nationalen Einheit, wodurch ein Übergreifen des Krieges auf den Libanon verhindert werden konnte.
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Gesprächspartner der Autorin in Beirut gingen davon aus, dass die Wahlen die Politik im Libanon nicht wesentlich verändern werden. Alle sagten Verluste für die Zukunftspartei und vermutlich leichte Gewinne für die Hisbollah voraus. Der Wahlanalytiker Abdo Saad wies darauf hin, dass inhaltliche Ziele im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt hätten. Außer der Kommunistischen Partei – die keine Chance auf Einzug ins Parlament habe - sei lediglich die Hisbollah mit einem Wahlprogramm angetreten. Der ehemalige Umweltminister Mohamad Machnouk kritisierte den Wahlkampf als "konfessionell bis auf die Knochen". Das Ziel, aus dem Libanon einen säkularen, demokratischen Staat zu machen, sei in weite Ferne gerückt. Auch Hanna Gharib, Generalsekretär der Libanesischen Kommunistischen Partei, kritisierte den konfessionellen Charakter des Wahlkampfes. Säkulare Parteien wie die KP und andere linke Parteien hätten keine Möglichkeit, ins Parlament einzuziehen, da das Wahlgesetz nicht auf nationaler Ebene Geltung habe. Gharib bezeichnete die Konfessionalität als "Basis der anhaltenden Krise im Libanon".
Die Wahlbeteiligung dürfte dennoch hoch sein. Etliche Parteien belohnen die Stimmabgabe mit Bargeld, was die Hisbollah allerdings kategorisch abgelehnt hat. Nicht zuletzt der gesellschaftliche Druck treibe die Menschen an die Urne, sagte Mustafa M., der in einem Hotel arbeitet. Er werde seine Frühschicht am Sonntagmorgen unterbrechen, um "vermutlich der Erste zu sein, der in seinem Dorf seinen Wahlzettel abgibt", sagte er der Autorin. Danach werde er gleich wieder zur Arbeit zurückkehren.
Erste Ergebnisse werden für Sonntagabend erwartet.
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