Nahost

Täglich grüßt das Murmeltier: USA wollen Massenvernichtungswaffen in Syrien entdeckt haben

Genau 15 Jahre ist es her, dass ein US-Außenminister im UN-Sicherheitsrat eine Show mit fatalen Folgen ablieferte. Ging es damals um Irak, so warnt Washington nun vor Chemiewaffen, die das syrische Militär neu entwickelt habe - und droht Damaskus mit Gewalt.
Täglich grüßt das Murmeltier: USA wollen Massenvernichtungswaffen in Syrien entdeckt haben© US-Regierung

Es war ein Auftritt, der nicht so schnell in Vergessenheit geraten sollte: Am 5. Februar 2003 präsentierte der damalige US-Außenminister Colin Powell den Vereinten Nationen die – angeblichen – Beweise für Massenvernichtungswaffen in den Händen des irakischen Diktators Saddam Hussein.

Effektheischend hielt Powell ein kleines Fläschchen mit weißem Pulver hoch und erläuterte, "ungefähr diese Menge, weniger als ein Teelöffel" eines Milzbranderregers habe ausgereicht, um im Herbst 2001 Teile des Regierungsapparates in Washington lahmzulegen. Damals wurden bei den so genannten Anthrax-Anschlägen mehrere Briefe mit dem weißpulverigen Milzbranderreger an Regierungsbehörden und Politiker geschickt.

Der Irak, so Powell weiter, verfüge über 25.000 Liter dieses biologischen Kampfmittels, "genug, um zehntausende Teelöffel" zu befüllen. Seine Anklage gegen den Irak untermauerte der Chefdiplomat zudem mit computer-generierten Bildern, die mobile Biowaffenlabore zeigten.

"Die Beliebtheit und Glaubwürdigkeit des Außenministers ließen alle Annahmen und Behauptungen als Fakten erscheinen, und so kippte die öffentliche Meinung in den USA endgültig zugunsten eines Krieges mit dem Irak", kommentierte Deutschlands damaliger Außenminister Joschka Fischer, der die Sicherheitsratssitzung leitete.

Wie allgemein bekannt, fand das US-Militär nach seinem Einmarsch in das arabische Land im Frühjahr 2003 keine Massenvernichtungswaffen. Jahre später bedauerte Powell seinen Auftritt vor der UN. Es habe sich um "ein massives Versagen der Geheimdienste" gehandelt, so Powell hinsichtlich der Beweisführung. Tatsächlich handelte es sich nicht um ein Versagen der US-Dienste, sondern um eine gezielte Irreführung der Öffentlichkeit zur Legitimierung eines Angriffskrieges.

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Massenvernichtungswaffen reloaded

Genau 15 Jahre später will die US-Regierung erneut Massenvernichtungswaffen entdeckt haben. Dieses Mal im irakischen Nachbarland Syrien. Unter Verweis auf namentlich nicht genannte Regierungsquellen berichtete die Washington Post vergangenen Donnerstag, die syrische Regierung entwickele neue Chemiewaffen. "Sie denkt eindeutig, dass sie damit durchkommt, wenn sie das unter einem bestimmten Niveau hält", so ein Regierungsbeamter gegenüber der Zeitung. Diese schreibt dazu:

Die Kommentare deuten darauf hin, dass die amerikanische Besorgnis wächst, die syrischen Behörden könnten trotz jahrelanger internationaler Mahnungen versuchen, ihr Chemiewaffenprogramm wiederaufzunehmen – und dass die Unterstützung durch Russland ihnen dabei helfen könnte.

Wenn die internationale Gemeinschaft jetzt nicht einschreite, "werden wir den Gebrauch von Chemiewaffen noch öfter erleben, nicht nur durch Syrien, sondern auch durch nicht-staatliche Akteure wie dem IS", so ein US-Beamter. Die Chemiewaffen könnten über die Grenzen Syriens hinaus verbreitet werden, möglicherweise sogar "bis zu den Küsten der USA". "Es wird sich ausbreiten, wenn wir nichts unternehmen", warnte er.

USA drohen mit "abschreckender" Gewalt

Am Freitag legte Reuters nach. Laut der Nachrichtenagentur, die sich offenbar auf dieselben Quellen stützt, entwickele die syrische Regierung unter Präsident Baschar al-Assad nicht nur neue Chemiewaffen, deren Herkunft schwerer zurückzuverfolgen sei. Sie habe zudem auch heimlich Teile des unter UN-Aufsicht vernichteten Chemiewaffenarsenals behalten. US-Präsident Donald Trump sei bereit, abschreckende Militäraktionen in Erwägung zu ziehen. Die Agentur zitiert eine Regierungsquelle:

Wir behalten uns das Recht vor, militärische Gewalt anzuwenden, um den Einsatz chemischer Waffen zu verhindern oder vor einem solchen abzuschrecken.

Am Freitag warnte dann auch US-Verteidigungsminister James Mattis Damaskus vor dem Einsatz von Chemiewaffen:

Sie haben alle gesehen, wie wir darauf reagiert haben, also wäre es schlecht für sie [die syrische Regierung], wieder gegen die Chemiewaffenkonvention zu verstoßen.

Mattis spielte damit auf den Beschuss eines syrischen Luftwaffenstützpunktes durch das US-Militär im April 2017 an. Washington machte Damaskus für einen zuvor erfolgten Giftgaseinsatz in Chan Scheichun verantwortlich.

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UN-Sicherheitsrat: Moskau widersetzt sich Schulzuweisung

Nachdem US-Vertreter ihre Warnungen ausgesprochen hatten, vermeldeten – wie nach Drehbuch - am Sonntag dann die Al-Kaida nahestehenden und vom Westen finanzierten syrischen Weißhelme einen angeblichen Giftgaseinsatz der syrischen Armee. Diesen Vorfall, bei dem Chlorgas eingesetzt worden sein soll, griffen die USA dann am Montag in einer eigens anberaumten Sitzung des UN-Sicherheitsrates auf. Die US-amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley forderte Damaskus auf, den Einsatz von Chemiewaffen umgehend zu stoppen und noch vorhandene Bestände zu zerstören.

Ihr französischer Amtskollege François Delattre sorgte sich, die Waffen könnten auch in die Hände von Terroristen fallen. "Die Zukunft unserer kollektiven Sicherheit steht auf dem Spiel", sagte Delattre. Der Sicherheitsrat konnte sich aufgrund des Widerstands Moskaus jedoch nicht zu einer gemeinsamen Erklärung durchringen. Eine empörte Halley, deren Auftritte vor der UN manche bereits an Colin Powell erinnerten, sagte daraufhin:

Wenn wir nicht einmal den ersten Schritt machen können, um die Verantwortlichkeit für einen Chemiewaffeneinsatz festzustellen, dann müssen wir uns ernsthaft fragen, warum wir hier sind.

Zum Verdruss der US-Vertreterin hatte sich der russische UN-Botschafter der auf keinerlei Beweisen begründeten Schuldzuweisung verweigert. Stattdessen sprach Wassili Nebensja während der Sitzung von einer "Rufmordkampagne" der westlichen Staaten. Deren Einlassungen enthielten "nur wenig Wahrheit, vermischt mit einem Berg von Lügen". Nebensja insistierte, dass die Unschuldsvermutung zu gelten habe und ein Schuldiger erst nach und nicht bereits vor einer Untersuchung benannt werden könne.

Syrische Armee: Unglaubwürdiges Motiv

Ein Gedankengang, der den westlichen Vertretern völlig fremd zu sein scheint. Immerhin haben die USA aus dem PR-Desaster im Zusammenhang mit Powells UN-Auftritt gelernt. Washington macht sich nicht einmal mehr die Mühe, die Anschuldigungen gegen die syrische Regierung mit vermeintlichen Beweisen zu untermauern – denn diese könnten ja widerlegt werden.

Immerhin wollten die US-Vertreter der Öffentlichkeit die Antwort auf die Frage nach einem Motiv der syrischen Armee für Giftgaseinsätze dann doch nicht schuldig bleiben. Die Washington Post schreibt:

Beamte sagten, dass der behauptete Gebrauch von Chemiewaffen ein Versuch war, schwindende militärische Ressourcen zu kompensieren, während die Assad-Regierung versucht, das große Territorium, das sie in dem Bürgerkrieg verloren hat, wieder einzunehmen. […] „Die Armee hat nicht mehr die Personalstärke, um überall gleichzeitig stark zu sein", so ein Beamter.

Den US-Regierungsvertretern war offenbar entgangen, dass die syrische Armee inzwischen weite Teile des Landes wieder unter ihre Kontrolle bringen konnte und der "Islamische Staat" nahezu besiegt ist. Ausgerechnet jetzt soll sie den USA den Vorwand für eine Militärintervention liefern? Das dürften heute selbst viele jener Zeitgenossen nicht mehr glauben, die Powell die Geschichte von den irakischen Massenvernichtungswaffen noch abgekauft hatten.

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