Nahost

Pager-Terror: Mossad rächt sich mit groß angelegter Operation an Arabern

Tote und tausende Verletzte im Libanon – das Ergebnis einer groß angelegten Operation gegen die Hisbollah, als deren Urheber der israelische Geheimdienst Mossad gilt. Er machte tausende ganz gewöhnliche Pager zur Waffe.
Pager-Terror: Mossad rächt sich mit groß angelegter Operation an ArabernQuelle: www.globallookpress.com © Aloisio Mauricio/Keystone Press Agency

Von Jewgeni Krutikow

Der gleichzeitige Bombenanschlag im Libanon durch die Explosion mehrerer tausend Pager, die von Hisbollah-Mitgliedern, aber auch von einfachen Libanesen, darunter Frauen und Kinder, benutzt wurden, ist einer der größten Terroranschläge unserer Zeit, obwohl er immer wieder als "Operation des israelischen Geheimdienstes" bezeichnet wird. In Israel hat jedoch noch niemand ein Wort darüber verloren. Das US-amerikanische Medium Axios behauptet, der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu habe die Operation persönlich angeordnet.

In mehreren Ländern wurden gleichzeitig Ermittlungen zu dem Vorfall eingeleitet, die mit der Entdeckung von weiteren Einzelheiten noch an Umfang gewinnen werden. Die wichtigsten technischen Parameter und das Ausmaß dieser Operation, bei der (am Dienstag) mindestens zwölf Menschen ums Leben kamen und mehrere tausend Menschen verletzt wurden (hauptsächlich durch Verlust des Augenlichts und der Hände), sind jedoch bereits bekannt.

Überall im Libanon, von Beirut bis zur Bekaa-Ebene, explodierten gleichzeitig bis zu 5.000 Pager des taiwanischen Herstellers Gold Apollo der Marke AR-924. Diese Pager sind sehr beliebt, da sie billig sind, eine lange Lebensdauer haben und über eine große Lithiumbatterieladung verfügen. In Werbespots werden sie sogar ins Wasser geworfen, ohne dass ihnen etwas passiert.

Glück hatten diejenigen, die das Gerät nicht in der Hand oder am Gürtel trugen, sondern beispielsweise auf einem Nachttisch liegen hatten. Glück hatten auch diejenigen, deren Batterien aus technischen Gründen nicht hochgingen. Der Rest wurde schwer verletzt. Nun gibt es Berichte, dass die Pager zehn Minuten lang ununterbrochen geklingelt haben, was viele der Opfer dazu veranlasste, sie in die Hand zu nehmen.

Das taiwanische Unternehmen Gold Apollo ist in Panik. Man kann es verstehen ‒ jetzt muss die Firma einfach dichtgemacht werden. Als Ausrede behauptet die Firmenleitung, dass sie die Pager der genannten Marke gar nicht in den Nahen Osten geliefert habe, sondern dass sie in Lizenz von einer bestimmten europäischen Firma namens BAC zusammengebaut worden seien. Und die originalen AR-924-Pager im Umfang von 260.000 Stück seien von Taiwan aus vor allem in die USA und nach Australien exportiert worden. Dort würden sie im öffentlichen Dienst und in der Medizin als Kommunikationsmittel zwischen den Mitarbeitern eingesetzt.

Darüber hinaus ist dies ein schwerer Schlag für die gesamte Elektronikindustrie Taiwans. Der Export von Elektronik macht bis zu 70 Prozent der taiwanischen Wirtschaft aus. Politisch gesehen ist es das Letzte, was Taiwan wollte – in einen Showdown im Nahen Osten hineingezogen zu werden.

Die Taiwaner arbeiteten nach eigenen Angaben drei Jahre lang mit dieser Firma BAC zusammen. Schließlich baten die "Europäer" sie um das Recht, die Pager unter Verwendung der beworbenen Marke selbst zu produzieren. Bislang gibt es keine Informationen darüber, um was für eine Firma es sich bei BAC handelt, aus welchem "europäischen" Land sie kommt und wo und auf welcher industriellen Basis sie die Pager zusammenbaute. Wenn überhaupt etwas davon wahr sein sollte. Aber wenn es wahr sein sollte, dann könnte es sich um eine Scheinfirma gehandelt haben, die lange Zeit "an taiwanischen Pagern" gearbeitet hat. Dies alles könnte eine Operation des Mossad sein, die er über mehrere Jahre entwickelt und durchgeführt haben könnte.

Tatsache ist, dass die Hisbollah nicht erst gestern beschlossen hat, Pager für die ständige Kommunikation einzusetzen. Pager sind in der Tat ideal für die Art von Kommando- und Kontrollsystem, das die Hisbollah aufgebaut hat.

Ein Pager ist nichts anderes als ein Walkie-Talkie, nur dass er Text- und keine Sprachsignale empfängt. Es gibt keine Mikrofone, keine Videokameras, keine Internetverbindung, keine Fernantennen, kein Wi-Fi, keine komplexe Software – also überhaupt nichts, womit man sich aus der Ferne mit diesem Ding verbinden könnte. Selbst die Programmierung erfolgt in der Anfangsphase über ein altmodisches Kabel. Es gibt keine Möglichkeit, einen bösartigen Computervirus hochzuladen oder die Kontrolle über das Gerät zu übernehmen.

In diesem Fall können selbst die Betreiber von Funkrufdiensten nur sehr grob erkennen, wo sich ein bestimmtes Gerät gerade befindet – im Gegensatz zu jedem noch so primitiven Mobiltelefon, das sich automatisch im entsprechenden Netzabschnitt anmeldet.

Das System ist so aufgebaut, dass ein über eine Antenne gesendetes Signal von allen Pagern in Reichweite dieser Antenne empfangen wird, aber nur der Pager, an dessen spezifische Nummer das Signal adressiert wurde, kann es in Form von Buchstaben auf dem Display entschlüsseln. Primitiv, aber für externe Abhörmaßnahmen, Kontrolle oder Standortbestimmung praktisch unerreichbar. Ideal für ein Hisbollah-Umfeld.

Ein zusätzlicher Bonus ist, dass die meisten Pager keine Möglichkeit der Rückmeldung haben. Die Hisbollah ist eine starre, hierarchische Struktur. Dort geben Vorgesetzte Befehle an die Untergeordneten. Diese Befehle werden bedingungslos befolgt, und Rückmeldungen sind nicht erwünscht.

Es ist unmöglich, 5.000 Pager irgendwo in einer Garage auch nur in geringen Mengen mit Sprengstoff zu füllen. Dies könnte nur bei der Montage der gesamten Charge geschehen, weshalb der taiwanische Hersteller in Besorgnis geriet. Aber warum so viele?

Höchstwahrscheinlich hatte der Mossad die Absicht, dieses gesamte Netzwerk zu aktivieren, wenn ein groß angelegter Krieg mit der Hisbollah und dem Staat Libanon als Ganzem beginnt. Und damit ist jeden Tag zu rechnen. In diesem Fall wäre das Chaos in der Staatsführung garantiert. Pager werden in der Hisbollah als Hauptinstrument der militärischen Führung eingesetzt. Jeder Zelle der Organisation werden im Voraus eine bestimmte Position, Rolle und Aufgaben zugewiesen.

Wenn die "Stunde X" kommt, erhalten die Pager den Befehl, welche Position sie einnehmen und was sie tun sollen. In der Regel in Form einer verschlüsselten Nachricht oder eines Zitats aus dem Koran. Und Tausende von scheinbar gewöhnlichen Menschen werden zu einer disziplinierten Armee organisiert, in der jeder seinen Platz einnimmt, bewaffnet wird und sich seiner Aufgaben bewusst ist.

Diese Pager wurden aber nicht nur auf "Sonderbestellung" an die Hisbollah geliefert. Sie waren auf dem Markt. Diejenigen, die die Pager mit Sprengstoff füllten, konnten nicht im Voraus mit Sicherheit wissen, in wessen Hände das Gerät fallen würde, daher haben sie so viele Geräte mit Sprengfallen versehen.

Viele Pager befanden sich zu diesem Zeitpunkt nicht bei Hisbollah-Kämpfern, sondern bei Familienmitgliedern, Freunden, Verwandten und Bekannten. Auch dies war im Voraus zu erwarten. Das Ergebnis: Tote unter der Zivilbevölkerung, darunter auch Kinder. Und das kann man kaum anders als Terrorismus bezeichnen.

Das russische Strafgesetzbuch qualifiziert dies als "Mord an zwei oder mehr Personen, der von einer organisierten Gruppe von Personen durch vorherige Verschwörung aus Gründen des Rassen- und Religionshasses in einer grundsätzlich gefährlichen Weise begangen wird" (Art. 105, Abs. 2 a; f; h; m). Lebenslange Freiheitsstrafe. Die "grundsätzlich gefährliche Art und Weise" bedeutet hier genau genommen eine wahllose Anwendung.

Warum hat die Hisbollah nicht spezielle Pager für sich selbst bestellt, und zwar ausschließlich bei einem vertrauenswürdigen Hersteller? Weil die Hisbollah kein Staat ist, sondern, wenn ich so sagen darf, eine gemeinnützige Organisation. Sie kann so etwas einfach nicht durchführen. Und wenn sie es doch täte, dann würden die bestellten Pager garantiert beim Mossad landen, denn die wirtschaftlichen Kontakte der Hisbollah werden streng überwacht.

Es gibt viele Wege, dies zu tun. Zum Beispiel durch die Beschaffung kleinerer Komponenten. In ähnlicher Weise haben Drogenfahnder in Südamerika Kokainlabore ins Visier genommen, indem sie große Lieferungen von Äther zurückverfolgt haben, der zur Herstellung von Blattpulver benötigt wird. Auch die Herstellung chemischer Waffen lässt sich bis zu den Vorläufersubstanzen zurückverfolgen, die oft als Inhaltsstoffe für Kosmetika getarnt sind. Daher hat die Hisbollah einfach das genommen, was es auf dem Markt gab.

Westlichen Nachrichtenagenturen zufolge haben libanesische Käufer diese spezielle Charge von Pagern bereits vor sechs Monaten erhalten. Einige Quellen führen die Tatsache, dass die Pagerbomben jetzt aktiviert werden mussten, darauf zurück, dass die Araber angeblich wegen der regelmäßigen und grundlosen Überhitzung der Geräte misstrauisch wurden. Andere behaupten sogar, dass jemand aus welchem Grund auch immer seinen Pager auseinandergenommen und ein zusätzliches Bauteil in Form eines winzigen Behälters mit Pentaerythrityltetranitrat gefunden hat.

In der Russischen Föderation wird diese brisante Substanz gemeinhin als PETN bezeichnet. Physikalisch gesehen handelt es sich um ein weißes Pulver in kristalliner Form, das sich bei Erhitzung sehr schnell zersetzt. Mit anderen Worten: Es kommt zu einer Explosion. Es fehlte nur noch, die Lithiumbatterie aus der Ferne zu erhitzen, indem man ihre Leistung mit einer großen Anzahl eingehender Nachrichten überlastet. Deshalb klingelten die Pager vor der Explosion auch zehn Minuten lang ununterbrochen.

Der Mossad hat sich damit teilweise für das monumentale Versagen des gesamten israelischen Geheimdienstes rehabilitiert, der den Hamas-Angriff vor einem Jahr verschlafen hat. Die Hisbollah hat für einige Zeit ihre Kommandostruktur verloren, und es ist nicht klar, wie und wann die Gruppierung sie wiederherstellen wird.

Es gibt auch einen psychologischen Effekt: Bei gewöhnlichen Arabern kann diese Operation eine besondere Abneigung gegen alle elektronischen Kommunikationsmittel hervorrufen.

Die wichtigste Figur bei der Untersuchung dürfte die noch unbekannte "europäische Firma BAC" sein. Auch Taiwan scheint eine beteiligte Partei zu sein. Die Aussichten für diese Untersuchungen scheinen sehr nebulös zu sein. Es wird ein Problem sein, die Täter ausfindig zu machen. Der Libanon als betroffene Entität verfügt nicht über die Ressourcen, um internationale Ermittlungen von solcher Komplexität durchzuführen.

Aber als Folge der Geschehnisse rücken die Kämpfe an der Grenze zwischen dem Libanon und Israel immer näher. Und wenn der Mossad die Mittel hat, solch komplexe, langwierige und teure Operationen zu entwickeln und durchzuführen, dann werden die Ereignisse im Nahen Osten leider weiter eskalieren.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 18. September 2024 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.

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