Geopolitische Bewegungen im Nahen Osten: Bin Salman besucht erstmals seit Khashoggi-Mord die Türkei
von Seyed Alireza Mousavi
Nach Stationen in Kairo und Amman ist Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman am Mittwoch in Ankara eingetroffen. Die Türkei und Saudi-Arabien erklärten ihre Entschlossenheit, eine "neue Ära der Zusammenarbeit" einzuläuten, nachdem sich ihre Beziehungen in den letzten Jahren wegen der grausamen Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi am 2. Oktober 2018 im saudischen Generalkonsulat in Istanbul massiv verschlechtert hatten.
Ein US-Geheimdienstbericht kam später zu dem Schluss, dass Kronprinz bin Salman die Ermordung von Khashoggi abgesegnet habe. Die türkische Verlobte des ermordeten Journalisten verurteilte inzwischen den Besuch des Kronprinzen in der Türkei.
Die Staatsanwaltschaft in Istanbul sprach sich im Fall Khashoggi kürzlich für eine Einstellung des dortigen Verfahrens aus. Die türkische Regierung verlegte den Prozess, in dem 26 Verdächtige aus Saudi-Arabien angeklagt waren, dann nach Saudi-Arabien. Mit diesem Schritt wurde der Weg für Erdoğans Besuch in Saudi-Arabien im April geebnet.
Die Spannungen zwischen Riad und Ankara gehen eigentlich auf die Zeit des sogenannten "Arabischen Frühlings" zurück. Seit 2013, als sich mit dem Putsch in Ägypten die Hoffnungen der Türkei zerschlagen hatten, in der islamischen Welt eine führende Rolle zu übernehmen, haben sich die Beziehungen der Türkei zu konterrevolutionären Staaten wie Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten verschlechtert.
Die Bemühungen der zwei regionalen Mächte, ihre Beziehungen zu verbessern, erfolgen, da die Türkei mit der schlimmsten Wirtschaftskrise seit zwei Jahrzehnten konfrontiert ist und versucht, Investitionen aus wohlhabenden arabischen Golfstaaten anzuziehen. Im März 2021, als der Sinkflug der türkischen Lira begann, gab die Türkei bekannt, man sei mit Ägypten wieder im Gespräch. Die Türkei kann sich in einer Wirtschaftskrise nicht mehr so viele Feinde leisten. Erdoğan, der sich in der letzten Zeit gern auch als Fürsprecher palästinensischer Anliegen in Szene gesetzt hat, traf sich unlängst in einem überraschenden Schritt mit dem israelischen Präsidenten Isaac Herzog. Der türkische Präsident hält sich auf der geopolitischen Ebene an keine klaren Regeln. Er ist bereit, auf Geschäftsbasis alle Linien nach aktuellen Interessen seines Landes neu zu debattieren.
Saudi-Arabien hat in letzter Zeit versucht, seine Bündnisse in einer Zeit angespannter Beziehungen zu Washington zu erweitern. Die Gespräche des Kronprinzen Anfang der Woche in Ägypten und Jordanien zielten darauf ab, Positionen zu Schlüsselfragen der Staaten vor der anstehenden Biden-Reise in den Nahen Osten zu koordinieren. US-Präsident Joe Biden reist im Juli nach Israel, in die Palästinensergebiete und nach Saudi-Arabien. Die Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien haben in letzter Zeit den tiefsten Punkt seit Jahrzehnten erreicht, insbesondere nach der Betitelung Saudi-Arabiens als "Paria-Staat" durch Biden und dessen Ankündigung, das Königreich für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft ziehen zu wollen.
Die steigenden Ölpreise und die Furcht vor dadurch verursachte wirtschaftliche Folgen im Westen haben das Weiße Haus im Zuge des Ukraine-Krieges jedoch dazu bewogen, die US-Außenpolitik wieder neu zu bewerten. Die Biden-Regierung hatte allerdings bereits vergeblich versucht, die Saudis davon zu überzeugen, mehr Rohöl zwecks Senkung der weltweiten Ölpreise zu fördern und in den Markt zu pumpen. Nun gibt es in Washington auf einmal das Feindbild Russland, und "Menschenrechtsfragen" stehen für die US-Amerikaner nicht mehr im Vordergrund.
Israel verstärkt inzwischen seine Beziehungen in der Golfregion und arbeitet an einer regionalen "Verteidigungsallianz" gegen Iran. Mit der möglichen Verabschiedung eines neuen Gesetzentwurfs im US-Kongress würde das Pentagon die Luftverteidigung Israels und mehrerer arabischer Staaten in ein gemeinsames Abwehrsystem integrieren, um "Bedrohungen" vonseiten Irans abzuwenden. Dieses Thema steht bei der Reise Bidens in den Nahen Osten auf der Tagesordnung. Es bleibt allerdings erst einmal unklar, inwieweit die Golfstaaten bereit sind, eine Militärallianz gegen Iran zu riskieren.
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