Nahost

Syriens Außenminister im Interview: "Syrer können aus Deutschland zurückkehren"

Im Gespräch mit der Nahostkorrespondentin Katrin Leukefeld bekräftigte der syrische Außenminister den Willen seines Landes zu Frieden und Wiederaufbau. Auch die Kriegsflüchtlinge seien "ohne Vorbedingungen" willkommen, in ihr Land zurückzukehren.
Syriens Außenminister im Interview: "Syrer können aus Deutschland zurückkehren"© Karin Leukefeld

von Karin Leukefeld

Die Syrer, die ihre Heimat während des Krieges verlassen haben, sind in Syrien willkommen. Das sagte der syrische Außenminister Feisal Mekdad im Gespräch mit der Nahostkorrespondentin Karin Leukefeld in Damaskus. Syrien arbeite dafür mit internationalen humanitären Organisationen und Ländern zusammen, in denen die Syrer Zuflucht gefunden hatten. Man wünsche sich für die Rückkehr mehr internationale Unterstützung, so Mekdad.

"Was wir wirklich sehen wollen, ist, dass die Vereinten Nationen die Menschen zur Rückkehr ermutigen."

In dem ausführlichen Gespräch ging Mekdad auf die Beziehungen Syriens zu Europa ein und erläuterte, was Syrien erwarte, damit die Beziehungen sich wieder verbesserten. Er sprach über die Möglichkeit der Rückkehr der Syrer und die Auswirkungen der Sanktionen auf das Land.

Die Türkei verhalte sich wie ein Kolonialstaat und versuche, Teile Nordsyriens unter ihre Kontrolle zu bringen. Auch die USA versuchten, im Nordosten des Landes einen neuen Staat auf syrischem Territorium zu errichten. Die Besatzung weiter Teile Syriens durch diese beiden Länder sei inakzeptabel und völkerrechtswidrig und müsse beendet werden. Allerdings wolle Syrien keinen neuen, endlosen Krieg beginnen und setze auf die Kraft des Dialogs, der Charta der Vereinten Nationen und des internationalen Rechts.

Mekdad sprach über die syrischen Pläne des "Fünf-Meeres-Projekts" aus der Zeit vor dem Krieg, mit dem zahlreiche Länder der Region wirtschaftlich, kulturell und politisch zusammengebracht werden sollten. Alle guten Ansätze aus der damaligen Zeit seien durch den Krieg zerstört worden. Weitere Themen waren die mögliche Rückkehr Syriens in die Arabische Liga und die Bedeutung der bilateralen Beziehungen Syriens zu anderen arabischen Staaten.

Auf die Frage, ob Syrien sich künftig vom Westen weg in Richtung Osten auf Russland, China und Iran orientieren werde, sagte Mekdad:

"Wo kann unser Platz sein, wenn alle (westlichen) Länder sich gegen Syrien positionieren? Unsere Politik muss sich an den Interessen des syrischen Volkes orientieren, am internationalen Recht und am Charakter der Vereinten Nationen. Wenn Länder das alles nicht respektieren und einen Regime Change in Syrien wollen, wo sollen wir dann hin? Können wir der US-Administration zustimmen oder der französischen Regierung, die Syrien besetzen wollen, die Kampfjets schicken, um Syrien anzugreifen? Während die Russische Föderation sagt, wir verstehen die rechtmäßige Position Syriens und unterstützen das Land? In so einer Lage werden wir natürlich an der Seite Russlands, Chinas, Irans und anderer Länder sein."

Die Welt brauche ein multipolares System, um die bestehende Balance zu verändern, in der die westlichen Länder versuchten, die Länder der ganzen Welt gegen deren Willen zu dominieren und zu beherrschen, so Mekdad. Wenn der Westen auf Kosten anderer, sich entwickelnder Länder nur die eigenen Interessen verfolge, dann wandten sich immer mehr Länder von ihm ab.

Respekt vor UN-Sicherheitsratsresolutionen

Die humanitäre Hilfe, die grenzüberschreitend aus der Türkei in den Norden Syriens und in die syrische Provinz Idlib geschickt wird, kontrollieren Organisationen, die von der UNO als terroristisch gelistet sind,  sagte Mekdad. Der "Islamische Staat" und die Nusra-Front verkauften die Hilfsgüter oder gäben sie an die mit ihnen verbündeten Gruppen weiter.

"Oder sie behalten sie für sich selbst. Das akzeptieren wir nicht. Die westlichen Staaten haben gesagt, dass sie das überwachen, aber es wurde kein Überwachungsmechanismus aktiviert."

Die UN-Sicherheitsratsresolution 2585 war im Juli 2021 verabschiedet worden und sieht neben den Grenzen und Frontlinien überschreitenden humanitären Aktivitäten auch "frühzeitige Erholungsprojekte" vor. "Die Europäer verweigern die Umsetzung dieser Resolution", kritisierte Mekdad. Die Türkei habe keine Lieferungen zugelassen, "die Frontlinien überschreitend von Syrien in den anderen, besetzten Teil Syriens geschickt werden sollen". Was die Türkei an humanitärer Unterstützung zulasse, lande bei "den terroristischen Gruppen". Auch die "frühzeitigen Erholungsprojekte" würden nicht umgesetzt, sagte der syrische Außenminister:

"Die Europäer weisen das kategorisch zurück. Darum habe ich gesagt, sie setzen die Resolution nicht um. Weder die 'frühzeitigen Erholungsprojekte' noch die anderen Prinzipien."

Syrien verlange ein Minimum an Respekt vor UN-Resolutionen.

Der UN-geführte politische Prozess in Genf, wie er von der Sicherheitsratsresolution 2254 (Dezember 2015) vorgesehen sei, werde von der syrischen Regierung unterstützt. Die Sache sei "nur, dass sich manchmal Länder in diesen Prozess einmischen, und das verstößt gegen das Prinzip, dass Syrer sich mit Syrern treffen und eine Vereinbarung unter Syrern finden, ohne ausländische Einmischung". Man höre "Erklärungen hier und da gegen Syrien, manchmal auch gegen die Vereinten Nationen", so Mekdad.

Syrien in der UNO

Syrien war einer von 50 Staaten, die bei der Gründung der Vereinten Nationen (Juni 1945) dabei waren. Heute sieht sich das Land massiven Angriffen westlicher UN-Mitgliedsstaaten ausgesetzt.

Sowohl im UN-Sicherheitsrat als auch bei der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) wird Syrien vorgeworfen, chemische Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt zu haben. Mekdad ging als Vorsitzender des Nationalen Komitees für die Umsetzung der Vereinbarung zwischen Syrien und der OPCW über die chemischen Waffen auf Fragen zu diesem Thema ein. Er versicherte, dass Syrien zu einer Ablehnung von chemischen Waffen und der Unterzeichnung des entsprechenden OPCW-Protokolls stehe. Das Arsenal habe aus einer anderen Zeit gestammt, "in der es ganz andere Entwicklungen in dieser Region gab. Die internationalen Kräfte kämpften um Einfluss, wir suchten nach Waffen, um uns verteidigen zu können. Gegen die Amerikaner, gegen die Israelis, gegen die Türkei und andere. Niemals hatten wir vor, unser Volk damit zu töten". Im September 2013 hatte Syrien die Chemiewaffenkonvention unterzeichnet, und im Juni 2014 bestätigte die OPCW Syrien, sein Chemiewaffenarsenal gemeldet und zur Vernichtung übergeben zu haben. Dennoch halten sich Vorwürfe, wonach Syrien weiter chemische Waffen eingesetzt habe und über "geheime" Vorräte von Chemiewaffen verfüge.

In den Jahren zwischen 2013 und 2016 seien die Bedingungen in Syrien sehr schwierig gewesen, erläuterte Mekdad.

"Die Kontrolleure und Ermittler der OPCW kamen, (...) und (...) gemeinsam haben wir alles besprochen, erklärt und abgeschlossen."

Die OPCW habe geholfen, die Erklärung zu verfassen. Dabei sei klar gewesen, dass die Regierung zu einigen Orten keinen Zugang hatte und diese nicht erreichen konnte, "weil sie von den bewaffneten Gruppen besetzt waren", so Mekdad.

"Darüber konnten wir keine abschließenden Angaben machen oder wirkliche Beweise vorlegen, was dort geschehen war. Aber es war ganz klar, dass die syrische Regierung vollständig zur Zusammenarbeit bereit war."

Tonnen des gefährlichen Materials seien aus der syrischen Wüste zum Mittelmeer transportiert worden, "um es dort auf Schiffe aus den USA, Norwegen, Finnland und Frankreich zu laden", erläuterte Mekdad.

"Niemand hat gefragt, ob wir etwas verstecken würden, und man muss sich doch auch fragen, warum sollten wir etwas verstecken wollen, wenn wir gleichzeitig Tonnen dieser Waffen der OPCW zur Vernichtung übergeben?"

Zur Zusammenarbeit mit der OPCW bereit

Das Thema werde allerdings von einigen Staaten benutzt, um die syrische Regierung "weiter zu attackieren und ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen". Konkret nannte Mekdad das Technische Sekretariat der OPCW, das das Thema bis vor den UN-Sicherheitsrat gebracht habe. "Wir halten den Sicherheitsrat nicht für den richtigen Ort, um diese Frage zu erörtern, weil es sich um ein technisches Problem handelt", so Mekdad.

"Aber die internationalen Kampagnen gehen weiter."

Syrien habe dem Technischen Sekretariat der OPCW angeboten, OPCW- und syrische  Wissenschaftler zusammenzubringen, um gemeinsam die tatsächliche Lage zu untersuchen. "Sie haben das abgelehnt und setzen den Druck auf Syrien fort, aus politischen Gründen." Syrien sei zur Zusammenarbeit mit der OPCW bereit, betonte Mekdad. Man wolle beweisen, dass Syrien sich an seine Verpflichtungen halte.

"Wir wollen solche Waffen nicht mehr, auch wenn Israel über alle diese Waffen verfügt – nuklear, chemisch und biologisch. Für uns ist klar, dass sie unmenschlich und unmoralisch sind und unter keinem Vorwand eingesetzt werden dürfen."

Wer die Augen vor der Realität verschließt, sieht nichts

Ausführlich sprach Mekdad über das schwierige Verhältnis zwischen Syrien und den Ländern Europas. Es sei Zeit, dass die EU ihre Politik gegenüber Syrien ändere. Einige europäische Staaten hätten ihre Botschaften in Damaskus wieder geöffnet, Syrien begrüße das.

"Wir hoffen, dass unsere europäischen Ansprechpartner verstehen werden, dass Syrien ein souveräner Staat ist, mit einem eigenen Rechtssystem, einem eigenen politischen System, und dass Syrien alles verhindern wird, was das Leben unschuldiger Menschen mit terroristischen Angriffen gefährden könnte. Das ist das Recht jedes Staates."

Mekdad forderte die EU und alle Länder in Europa auf, einen neuen Umgang mit internationalen Problemen zu finden. "Sie sollten nicht auf ihren Fehlern beharren. Die syrische Regierung ist zu Gesprächen bereit", betonte er.

"Zu Gesprächen auf der Basis der UN-Charta, der  Menschenrechtscharta und dem Völkerrecht. Wir müssen uns darüber einigen, wie wir im Kampf gegen terroristische Angriffe gemeinsam reagieren können."

Hinter dem Krieg gegen Syrien hätten andere Pläne gestanden, sagte der Außenminister. "Konzepte wie 'Regime Change', die anhaltende israelische Besatzung Palästinas, die Besatzung der syrischen Golanhöhen und einiger Teile des Libanon – alles das gehörte zum realen Hintergrund dieses Konflikts in Syrien, der von westlichen Staaten unterstützt und finanziert wurde. Von den USA, Großbritannien, von Frankreich als ehemaliger Kolonialmacht, und von anderen."

Um die Vergangenheit zu überwinden, sollten die europäischen Länder ihre Botschaften in Damaskus wieder öffnen, sagte Mekdad:

"Wenn die Europäer weiter ihre Augen verschließen, sehen sie nichts. Ihre Botschaften sind ihre Augen in Syrien. Wir wollen alle syrischen Botschaften in Europa öffnen und wir wollen, dass alle europäischen Botschaften in Damaskus wieder geöffnet werden. Nur durch diese Art von Kommunikation kann man sich gegenseitig besser verstehen, und die Europäer können die Realität Syriens besser verstehen. Jetzt verfolgen sie Illusionen und Berichten, die vor der Realität keinen Bestand haben."

Einige der europäischen Länder hätten Angst vor anderen einflussreichen Staaten wie den USA, Frankreich und anderen, und wollten ihre Anwesenheit in Damaskus nur ungern bekannt geben. Zwei oder drei Länder verfolgten einen "harten Kurs". Auf die Nachfrage, ob Deutschland auch so ein Hardliner sei, antwortete Mekdad, er wolle "Deutschland nicht so beschreiben". Die syrische Botschaft in Berlin sei geöffnet, und weil es "sehr viele Syrer in Deutschland gibt, hoffen wir darauf, dass unsere beiden Regierungen bald ins Gespräch kommen".

Rückkehr ausdrücklich erwünscht

Alle Syrer, die das Land während des Krieges verlassen mussten, könnten "ohne Vorbedingungen" zurückkehren, unterstrich Mekdad. 1,2 Millionen Menschen seien bereits aus verschiedenen Ländern zurückgekehrt. Allerdings seien die Zahlen in den letzten zwei Jahren stagniert, weil die COVID-19-Maßnahmen Reisen und Rückkehr beeinträchtigt hätten. "Was wir wirklich sehen wollen, ist, dass die Vereinten Nationen die Menschen zur Rückkehr ermutigen." Dazu gehöre auch, den Menschen finanzielle Unterstützung in ihrer Heimat zu gewähren, was aber von westlichen Geberländern abgelehnt werde. Viele der syrischen Flüchtlinge, die sich im Libanon aufhielten, würden nach Syrien zurückkehren, wenn sie dort die gleiche Hilfe erhielten, wie im Libanon.

Auf den Einwand, dass es Berichten zufolge nicht sicher sei, nach Syrien zurückzukehren, versicherte Mekdad, dass es keine Maßnahmen gegen Rückkehrer gebe. Alle, die lösbare Probleme hätten, sollten zurückkehren. Präsident Baschar al-Assad habe eine Reihe von Dekreten erlassen, damit alle, die das Land aus politischen Gründen verlassen hätten, ohne Probleme zurückkehren können. Gegen wen allerdings ein Strafverfahren in Syrien laufe, werde darüber informiert und müsse sich dem stellen, sollte er zurückkehren. Dass die Bedingungen in Syrien eine Rückkehr nicht erlaubten, sei absurd, so Mekdad.

"Wir haben dem Hochkommissar der Vereinten Nationen vorgeschlagen, den Rückkehrern zu helfen und ihnen einen einmaligen Geldbetrag zu geben, damit sie zurückkehren können. Das ist bei der Rückkehr in alle Länder der Welt so üblich, nur nicht im Fall Syriens. Sie geben den Rückkehrern nichts, weil die westlichen Länder, die Geberländer es nicht wollen."

Dass beispielsweise Deutschland die Rückkehr von Syrern nicht unterstütze, führt er auf eine Politik des "Brain-Drain" zurück: "Viele, die Syrien verlassen haben und heute in Deutschland leben, sind unsere besten Ärzte, Architekten, Designer, Ingenieure, Köche und andere", sagte Mekdad. Deutschland sei eine überalterte Gesellschaft und brauche Intellektuelle und gut ausgebildete Leute aus anderen Ländern, um den eigenen Verlust auszugleichen. Syrien setze auf die neue Regierung.

"Wir hoffen in Deutschland auf einen neuen Anfang, um Völker und Länder zusammenzubringen, anstatt die Unterschiede zwischen den Zivilisationen und Kulturen zu vertiefen."

Verheerend, unmenschlich, unmoralisch

Die Sanktionen der EU und der USA bezeichnete der syrische Außenminister als "verheerend, unmenschlich, unmoralisch und inakzeptabel. Weil sie die normalen Menschen treffen". Die Sanktionen führten zur Verarmung des syrischen Volkes, so Mekdad, das halte auch Flüchtlinge ab, "die sonst nach Syrien zurückkehren wollten". Anders, als die EU behaupte, könne Syrien keine direkten Finanzgeschäfte mit anderen Banken tätigen. "Wir können keine Medizin kaufen, keine Ersatzteile, nicht einmal Dünger können wir kaufen." Die Sanktionen beträfen vor allem humanitäre Güter "und verhindern, dass selbst Unternehmen aus der EU und deren Partner Syrien und die Syrer erreichen können", sagte Mekdad. Syrien glaube nicht, "dass die Völker Europas es  zulassen wollen, dass so eine aggressive Politik fortgesetzt wird, die unschuldige Syrer, Kinder, Frauen, Schutzbedürftige tötet. Nur den schwachen Menschen schaden die Sanktionen, nicht dem syrischen Staat".

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Das komplette Interview erschien in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek.

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