Bericht: Israelische Angriffe in Gaza waren Kriegsverbrechen

Human Rights Watch hat anhand von Satellitenbildern, Videos und Augenzeugenberichten die verheerenden Kriegshandlungen im Frühjahr im Gazastreifen untersucht. Anders als von der israelischen Armee behauptet, wurden Ziele angegriffen, in denen sich gar keine militanten Palästinenser befanden.

Laut der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wurden bei Kriegshandlungen im Gazastreifen in diesem Frühjahr Kriegsverbrechen begangen, die bisher von den zuständigen Stellen nicht untersucht worden seien. In einem am Dienstag veröffentlichten Bericht heißt es, während der Kämpfe im Mai 2021 im Gazastreifen und in Israel haben israelische Streitkräfte und militante palästinensische Gruppen Angriffe verübt, die gegen das Kriegsrecht verstoßen und offensichtlich Kriegsverbrechen darstellen.
Die Organisation veröffentlichte ihre Schlussfolgerungen nach der Untersuchung von drei israelischen Luftangriffen, bei denen 62 palästinensische Zivilisten getötet wurden.
Israel hat nach eigenen Angaben während der Kämpfe mehr als 1.000 Ziele angegriffen. In dem Bericht heißt es, dass es keine offensichtlichen militärischen Ziele in der Nähe der Angriffe gab. Zahlreiche bei den Angriffen Getötete waren wehrlose Zivilisten, wie zwei Frauen und acht ihrer kleinen Kinder im Flüchtlingslager al-Shati, einem der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt, die im Schlaf durch eine von den USA hergestellte gelenkte Bombe getroffen wurden. Von jeder Familie überlebte nur ein Kind.


Wie Human Rights Watch in einem Video zu dem Bericht erklärt, begannen die elftägigen Kämpfe am 10. Mai vor dem Hintergrund einer Politik der Unterdrückung und Eskalation im Gazastreifen. Diese habe seitens der israelischen Regierung ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dargestellt.

Auch militante Palästinenser werden in dem Bericht beschuldigt, Kriegsverbrechen begangen zu haben, indem sie mehr als 4.000 ungelenkte Raketen und Mörser auf israelische Bevölkerungszentren abgefeuerten. Solche Angriffe verstoßen gegen das Verbot von absichtlichen oder wahllosen Angriffen auf Zivilisten, so Human Rights Watch. Der aktuelle Bericht konzentrierte sich jedoch auf die israelischen Aktionen während der elftägigen Kampfhandlungen im Mai. Im August soll ein separater Bericht über die Aktionen der Hamas und anderer militanter palästinensischer Gruppen folgen, wie die Organisation ankündigte. Über die Anzahl der Opfer unter palästinensischen Zivilisten zeigten sich internationale Beobachter wie auch der UN-Generalsekretär António Guterres entsetzt.

"Die israelischen Streitkräfte haben im Mai Angriffe im Gazastreifen durchgeführt, die ganze Familien verwüsteten, ohne dass ein offensichtliches militärisches Ziel in der Nähe war", so Gerry Simpson, stellvertretender Direktor für Krisen und Konflikte bei Human Rights Watch.

"Die anhaltende Unwilligkeit der israelischen Behörden, mutmaßliche Kriegsverbrechen ernsthaft zu untersuchen sowie die Raketenangriffe der palästinensischen Streitkräfte auf israelische Bevölkerungszentren unterstreichen die Bedeutung der Untersuchung durch den Internationalen Strafgerichtshof", betonte Simpson.

Die israelische Armee (IDF) hatte erklärt, ihre massiven und enorm zerstörerischen Angriffe hätten militärischen Zielen gegolten und sie habe Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um zu vermeiden, dass Zivilisten zu Schaden kommen. Demnach sei die Hamas für die Opfer unter der Zivilbevölkerung verantwortlich, da sie sich vorsätzlich in Wohngebieten aufhalte und von dort aus Angriffe durchführe, gegen die die IDF sich und die Israelis lediglich verteidige.


"Während die Terrororganisationen im Gazastreifen ihre militärischen Einrichtungen bewusst in dicht besiedelten zivilen Gebieten platzieren, ergreift die IDF alle erdenklichen Maßnahmen, um den Schaden für die Zivilbevölkerung und ziviles Eigentum so gering wie möglich zu halten", hieß es in einer Mitteilung der israelischen Streitkräfte.

Eine Perspektive, welche auch deutsche Regierungsaussagen und Berichte stark geprägt hatten. So klangen verschiedene Aussagen von Regierungssprecher Seibert sowie einiger Medien im Mai doch sehr ähnlich. So, als seien zivile Opfer unter den Palästinensern allein auf palästinensischen Terrorismus zurückzuführen. Die Behauptung, dass bei den Luftangriffen auf gefährliche, militante Palästinenser gezielt wurde, ist nunmehr schwer haltbar.

Die Vereinten Nationen berichteten, dass während der Kämpfe im Mai bei Angriffen des israelischen Militärs 260 Palästinenser getötet wurden, darunter mindestens 129 Zivilisten, unter ihnen 66 Kinder. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza verletzten die israelischen Streitkräfte 1.948 Palästinenser, darunter 610 Kinder.

Human Rights Watch hat seit Ende Mai 30 Palästinenser persönlich befragt, die Zeugen der israelischen Angriffe, Angehörige von getöteten Zivilisten oder Bewohner der angegriffenen Gebiete waren. Darüber hinaus suchte die Organisation auch den Ort von vier Angriffen auf, untersuchte Munitionsreste und analysierte Satellitenbilder, Videomaterial und Fotos, die nach den Angriffen aufgenommen wurden. Beispielsweise schlug am 10. Mai bei Beit Hanoun, im Norden des Gazastreifens, eine aus Israel abgefeuerte Lenkrakete in vier Wohnhäuser der Familie el-Masri ein. Ein Augenzeuge schildert gegenüber der Organisation, wie er mit eigenen Augen zusehen musste, wie seine Kinder in wenigen hundert Meter Entfernung getroffen, getötet und in Stücke gerissen wurden. Zu diesem Angriff behaupteten israelische Behörden, dass eine fehlgeleitete Rakete aus dem Westen gekommen sei – auch zu dieser Behauptung wurde noch immer keinerlei Beweis vorgelegt.
Im Mai veranlasste der UN-Menschenrechtsrat eine internationale Untersuchung zu Kriegsverbrechen, die während des elftägigen Konflikts zwischen Israel und der Hamas in Gaza begangen wurden.
Die Chef-Anklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes, Fatou Bensouda, betonte kurz nach Ausbruch des Krieges, dass sie die Entwicklungen im Westjordanland, in Ostjerusalem und im Gazastreifen genau verfolgen werde. Schon vor den akuten Kriegshandlungen im Mai, welche zahlreiche Beobachter mit Entsetzen ob ihrer Brutalität verfolgten, hatte der Internationale Strafgerichtshof Untersuchungen zu Kriegsverbrechen Israels im besetzten Westjordanland und im blockierten Gazastreifen gefordert. Diese verbaten sich die israelische Regierung und ihre Verbündeten jedoch. Allein das Vorhaben von Untersuchungen in den besetzten Gebieten bezeichnete Israel als "Anti-Semitismus".

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