Ende der Ära Netanjahu? Israelischer Präsident beauftragt Oppositionspolitiker mit Regierungsbildung
Der israelische Präsident Reuven Rivlin hat den Oppositionsführer Jair Lapid damit beauftragt, eine neue Regierung zu bilden, wie die Nachrichtenagentur Reuters vermeldete. Zuvor war eine Frist verstrichen, in der der amtierende israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eine Regierung bilden sollte, was ihm allerdings erneut misslang.
Israels Staatsbürger sind in einem Zeitraum von weniger als zwei Jahren bereits vier Mal zu den Wahlurnen gebeten worden, zuletzt am 23. März dieses Jahres. Es misslang den führenden Politikern jedoch stets, eine Regierung zu bilden, die sich auf eine Parlamentsmehrheit hätte stützen können.
Rivlin erklärte am Mittwoch:
"Ich habe mit Yair Lapid gesprochen und ihm gesagt, dass ich ihm das (28-tägige) Mandat (zur Regierungsbildung) gebe."
Rivlin begründete die Wahl Lapids damit, dass dieser bereits die Unterstützung von 56 von insgesamt 120 Mitgliedern des israelischen Parlaments für sich sichern konnte. Dies reicht jedoch für eine Mehrheit nicht aus. Rivlin weiter:
"Es ist klar, dass das Parlamentsmitglied Yair Lapid eine Regierung bilden könnte, die das Vertrauen der Knesset hat, obwohl es viele Schwierigkeiten gibt."
Lapid, der die zentristische Partei Yesh Atid anführt, erklärte in einer Pressemitteilung, dass er den Auftrag zur Regierungsbildung angenommen habe. Er beabsichtige, eine Regierung der Linken, der Rechten und des Zentrums zu bilden, die die Tatsache reflektieren werde, dass "wir einander nicht hassen".
Zugleich schloss Lapid jedoch aus, eine Regierung bilden zu wollen, an der Netanjahu beteiligt ist. Er begründete dies mit dem laufenden strafrechtlichen Prozess gegen den Ministerpräsidenten. Lapid sprach von einem zweijährigen "politischen Albtraum". Die israelische Gesellschaft sei "verwundet".
Israelische Medien berichteten, dass Lapid möglicherweise dem religiös-zionistischen Oppositionspolitiker Naftali Bennett, der die Aliianz rechter Parteien unter dem Namen "Jamina" anführt, anbieten wird, vor ihm zwei Jahre lang als Ministerpräsident zu dienen, um ihn für eine Koalition gewinnen zu können. Nach zwei Jahren würde dann Lapid das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen.
Eine solche Option der Machtteilung war bereits bei vorherigen Koalitionssondierungen ins Spiel gebracht worden. Bennett erklärte in einer Rede am Mittwoch, dass er eine Koalitionsregierung mit Lapid unterstützten würde, um den israelischen Wählern einen fünften Wahlgang zu ersparen. Er erklärte:
"Es gibt zwei Möglichkeiten: überstürzte fünfte und sechste und siebte Wahlen, die den Staat einfach zerstören, oder die Bildung einer breit angelegten Notstandsregierung, die, wie anspruchsvoll auch immer, den Karren aus dem Dreck ziehen wird."
Lapid muss wahrscheinlich auch die Unterstützung arabischer Parteien einholen, um eine Mehrheit zu erlangen – Eine „Seltenheit“ in der israelischen Politik, wie die Jewish Telegraphic Agency schreibt.
Netanjahu selbst warnte vor einer möglichen Regierung unter dem Vorsitz Lapids:
"Es ist eine einfache Wahrheit. Dies (eine Lapid-geführte Koalition) wird eine gefährliche linke Regierung sein."
Stattdessen müsse die Jamina-Allianz laut Netanjahu mit seiner eigenen Partei zusammenarbeiten, um eine konservative Regierung zu ermöglichen.
Benjamin Netanjahu, der seit 2005 die rechtskonservative Likud-Partei anführt, ist mit einer zweifachen Herausforderung konfrontiert: Einerseits ist es ihm seit 2019 mehrmals in Folge nicht gelungen, eine Mehrheit im israelischen Parlament für seine Regierung zu sichern. Andererseits läuft ein Korruptionsverfahren gegen ihn, das ihn zunehmend unter Druck setzt. Netanjahu ist seit 2009 Ministerpräsident Israels und somit der längste amtierende Regierungschef des Landes. Er führte das Land zudem bereits zwischen 1996 und 1999 an.
Die politische Krise in Israel dauert seit 2019 an. Im Parlament herrscht eine Pattsituation zwischen den rechten Unterstützern Netanjahus und seinen politischen Rivalen, die sich allerdings ideologisch kaum von seinen Unterstützern unterscheiden. Letztendlich dreht sich der politische Streit nicht um den strategischen Kurs des Landes bezüglich wichtiger Fragen – etwa die Haltung zur andauernden Besatzung Palästinas –, sondern die Personalfrage steht im Vordergrund.
Vier Wahlgänge konnten diese Pattsituation nicht auflösen. Innerhalb der letzten zwei Jahren wurde bereits zwei Mal ein politischer Opponent Netanjahus damit beauftragt, eine Regierungsmehrheit zu bilden. Dies misslang jedoch bisher und so konnte sich der israelische Ministerpräsident als Chef von geschäftsführenden Regierungen im Amt halten. Hat "Bibi" sein Glück nun verspielt?
Verschiedene Analysten warnen jedenfalls davor, bereits den Abgang Netanjahus zu verkünden. Alon Pinkas etwa warnt in der Haaretz, dass sich Netanjahus Talent und Entschlossenheit zur Zerstörung in den kommenden Tagen gegen Lapid richten werde. Der einzige Pfad für Netanjahu, an der Macht zu bleiben, sei, die Bildung einer Regierung zwischen Lapid und Bennett zu torpedieren und so eine weitere Wahl zu erzwingen. Die Gegnerschaft zu Netanjahu sei derzeit der einzige wichtige gemeinsame Nenner der verschiedenen politischen Kräfte, die eine alternative Regierung bilden könnten. Davon abgesehen gebe es wenige Gemeinsamkeiten.
"Erwarten Sie also, dass Netanjahu ab jetzt im Voll-Disruptions-Modus ist und alles von der Brooklyn Bridge bis zu erstklassigen Grundstücken auf dem Mars demjenigen verspricht, der aus einer (potenziellen) Lapid-Bennett-Regierung ausscheidet."
Die israelische Demokratie bezeichnete der Kommentator als "schwach". Nach jahrelangen Herausforderungen seitens Netanjahu sei nun der "High Noon" für sie gekommen. Netanjahu sei der einzige Ministerpräsident in der Geschichte der Demokratie, der einen Krieg gegen "sein eigenes Land, seine Verfassung, seine (politischen) Prozesse, seine Institutionen, seine Justiz und seine Checks and Balances" ausgerufen und geführt habe.
Gil Hoffman schreibt in der rechten Jerusalem Times, dass die politische Karriere Netanjahus "immer noch kein Ablaufdatum hat". Netanjahu verfüge über die Kontrolle über seine Partei, die allein auf sein Image und seine politische Karriere fokussiert sei. Auch in der Opposition werde Netanjahu diese Kontrolle ausüben und verhindern, dass in seiner eigenen Partei alternatives Führungspersonal aufkommt.
Sollte er als Oppositionsführer effektiv sein, schreibt Hoffman, könnte Netanjahu innerhalb weniger Monate eine Regierung Lapid-Bennett zum Fall bringen und so eine weitere Wahl erzwingen. Nur eine Verurteilung oder gesundheitliche Probleme könnten Netanjahu aufhalten, so Hoffman.
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