Als erster amtierender Ministerpräsident: Netanjahu steht in Israel vor Gericht
Sie schützt vermutlich gegen eine Ansteckung mit Corona-Viren, aber nicht gegen die Anklagepunkte: Mit blauer Schutzmaske präsentierte sich Benjamin Netanjahu am Sonntag als erster amtierender Ministerpräsident Israels vor Gericht. Der 70-Jährige ist wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit angeklagt. Sein Anwalt bestätigt vor dem Jerusalemer Bezirksgericht, Netanjahu habe die Anklageschrift gelesen und verstanden. Es geht um drei Fälle.
Neben Netanjahu sind weitere Personen im Prozess angeklagt. Drei Kronzeugen – ehemalige enge Mitarbeiter – sollen gegen Netanjahu aussagen. Bei seiner Ankunft im Gericht holte Israels am längsten amtierender Ministerpräsident erst einmal zu einem verbalen Rundumschlag aus. Er warf Polizei und Staatsanwaltschaft vor, sie hätten die Anklage gegen ihn "fabriziert". Es handele sich um den Versuch, "einen starken amtierenden Regierungschef der Rechten zu stürzen". Die Parallelen zu dem ehemaligen skandalträchtigen italienischen Ministerpräsident Silvio Berlusconi sind unüberhörbar.
Netanjahu wird im Gericht von Leibwächtern begleitet, hinter ihm stehen zudem Minister seiner rechtskonservativen Likud-Partei. Viele von ihnen greifen das israelische Justizsystem immer wieder hart an, im Versuch, die Vorwürfe gegen Netanjahu zu entkräften. Der Oppositionspolitiker Jair Lapid wirft Netanjahu vor, er versuche, in Israel einen Bürgerkrieg zu entfachen, um einer Verurteilung zu entgehen. In Jerusalem nehmen am Sonntag Hunderte Menschen an Demonstrationen für und gegen Netanjahu teil, auch vor dem Gericht.
Kaum vereidigt und schon auf der Anklagebank
Mit dem Verfahren befassen sich drei Richter, mehr als 300 Zeugen sollen befragt werden. Die nächste Sitzung sei am 19. Juli geplant, teilte das Gericht mit. Die Vorsitzende Richterin Rivka Friedman-Feldman hat schon Erfahrung mit Korruptionsverfahren: Sie war auch Teil eines Richtergremiums, das 2015 einen von Netanjahus Amtsvorgängern, den früheren Ministerpräsidenten Ehud Olmert, verurteilt hatte.
Netanjahu war erst vor einer Woche erneut vereidigt worden. Nur wenige Stunden vor Prozessbeginn hielt er am Sonntag die erste Kabinettssitzung mit seinem Koalitionspartner Benny Gantz vom Mitte-Bündnis Blau-Weiß ab. Netanjahus fünfte Amtszeit ist wegen des Korruptionsprozesses äußerst umstritten. Kritiker befürchten, er könne versuchen, eine Verurteilung über eine systematische Schwächung des Justizsystems und Gesetzesänderungen zu verhindern.
Zurücktreten müsste Netanjahu erst im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung. Bis dahin könnten aber mehrere Jahre vergehen. Sollte er wegen Bestechlichkeit verurteilt werden, drohen Netanjahu bis zu zehn Jahre Haft. Im Falle einer Verurteilung wegen Betrugs und Untreue wäre die Höchststrafe drei Jahre Gefängnis.
Der Juraprofessor Juval Schani vom Israelischen Demokratie-Institut (IDI) sagt zu Netanjahus Anklage:
Es ist wirklich ein noch nie dagewesener Fall in Israel, dass ein amtierender Regierungschef vor Gericht steht.
Was genau wird Netanjahu vorgeworfen?
Der Ministerpräsident wird verdächtigt, als Kommunikationsminister dem Telekom-Riesen Bezeq Vergünstigungen gewährt zu haben. Mit dem Mehrheitsaktionär Schaul Elovitsch hat Netanjahu laut der Anklage eine Korruptionsbeziehung von "Geben und Nehmen" geführt und diesem Profite in Höhe von 1,8 Milliarden Schekel (rund 473 Millionen Euro) ermöglicht. Im Gegenzug soll das zum Konzern gehörende Medium Walla! positiv über Netanjahu berichtet haben. In diesem Fall geht der Generalstaatsanwalt von Bestechlichkeit sowie Betrug und Untreue aus.
"Es geht nicht nur um Einflussnahme in der Berichterstattung, sondern um komplette redaktionelle Kontrolle der Webseite durch Netanjahu und seine Leute", sagt Amir Fuchs vom Israelischen Demokratie-Institut.
Außerdem wird Netanjahu verdächtigt, von befreundeten Milliardären Luxusgeschenke im Wert von rund 700.000 Schekel (rund 184.000 Euro) angenommen zu haben. Darunter Schmuck, Zigarren und Champagner. Zudem soll er dem kritischen Zeitungsverleger Arnon Moses angeboten haben, im Gegenzug für positive Berichterstattung dessen Konkurrenzblatt zu schwächen.
Zu Netanjahus Kampf vor Gericht während seiner Amtszeit sagt Schani: "Es ist grundsätzlich höchst problematisch, wenn der Chef der Exekutive ein Angeklagter ist, der sehr aggressiv kämpft, um die Behörden zu schwächen, die ihn strafrechtlich verfolgen." Alle Entscheidungen Netanjahus als Regierungschef könnten nun in zweifelhaftem Licht erscheinen. Netanjahu führe gegenwärtig einen gefährlichen "Kreuzzug gegen das Justizsystem", sagt Schani.
Seine Verteidigung werde Netanjahu neben seinem Amt als Regierungschef viel Zeit kosten, meint der Juraprofessor. "Und es gibt auch den psychologischen Aspekt – eine Anklage bedeutet großen Stress." Neben dem Prozess muss sich Netanjahu auch mit der Bewältigung der Corona-Krise befassen. Zudem könnten Annexionspläne im besetzten Westjordanland zu größeren politischen Spannungen mit den Palästinensern und Israels Nachbarn führen.
Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit hatte im November "schweren Herzens" mitgeteilt, Netanjahu solle wegen Betrugs und Untreue sowie Bestechlichkeit angeklagt werden. Gegen ihn gab es seitdem mehrfach Morddrohungen.
Im Verfahren gegen Netanjahu sollen zahlreiche Zeugen befragt werden, darunter auch der US-Milliardär Sheldon Adelson, der Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Ronald Lauder, der Hollywood-Produzent Arnon Milchan und der australische Unternehmer James Packer. Auch Springer-Chef Mathias Döpfner erscheint in der Anklageschrift als einer von mehr als 300 Zeugen.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.