Asien

Militärische Aufrüstung: Indiens geopolitische Herausforderung

Indiens Premierminister Narendra Modi hat die militärische Aufrüstung seines Landes zu einem seiner Schwerpunkte im Wahlkampf gemacht. Allerdings werden die Nachbarländer diese nicht so einfach hinnehmen und ihren Einfluss bei Lieferanten geltend machen.
Militärische Aufrüstung: Indiens geopolitische HerausforderungQuelle: AFP

Indien befand sich in seiner modernen, postkolonialen Geschichte in einem schwierigen sicherheitspolitischen Umfeld. Auf der einen Seite ist der "Erzfeind" Pakistan, mit dem man aufgrund des Kaschmirkonflikts blutige Kriege und kleinere militärische Scharmützel erlebte, zuletzt im Frühjahr dieses Jahres. Auf der anderen Seite ist China, ein mächtiger regionaler Herausforderer, mit dem Neu-Delhi ebenfalls Grenzstreitigkeiten hat.

Um die Dinge noch etwas komplizierter für Indien zu machen, haben China und Pakistan eine ziemlich enge militärische Beziehung und entwickelten sogar gemeinsam einen Kampfjet, den JF-17 Thunder (in China als FC-1 Xiaolong bekannt). Zudem verfügen beide Nachbarländer über Atomwaffen, wie auch Indien selbst.

Angesichts dieser militärischen Nähe zwischen Islamabad und Peking ist es wenig überraschend, dass Indien mit fast 1,5 Millionen Soldaten über die zweitgrößte stehende Armee der Welt verfügt. Auch wenn nur China über eine noch größere Armee verfügt, stellt für Premierminister Modi der Anteil an älteren Kampfsystemen ein Sicherheitsproblem dar.

Gerade bei der Luftwaffe macht sich dieses Problem besonders bemerkbar. Obwohl sie schon längst ausgemustert sein sollten, unterhält Indien noch immer 125 MiG-21-Bison-Kampfjets, die – obwohl modernisiert – aus den 1960er-Jahren stammen. Auch wenn nicht ganz so alt, gilt dasselbe für die 69 MiG-29-Luftüberlegenheitsjäger oder 60 Mirage-2000-Mehrzweckkampfflugzeuge aus französischer Produktion.

Das sind zwar nach wie vor sehr gute Kampfjets, aber die aus US-Produktion stammenden F-16, die Pakistan in großer Zahl betreibt, oder die hochmoderne Chengdu J-20 aus China stellen im Ernstfall eine Bedrohung dar. Zwar verfügt Indien über 250 moderne russische Su-30-Luftüberlegenheitsjäger, doch gegenüber der zunehmenden Ausrüstung der chinesischen Luftwaffe erscheint das Modi zu wenig.

Bei den Landstreitkräften sieht es bedeutend besser aus. Die Armee verfügt über eine große Anzahl moderner russischer T-90-Kampfpanzer sowie auch ältere, noch aus Sowjetzeiten stammende Modelle. Doch auch die Nachbarn verfügen jeweils über eine große Anzahl an Kampfpanzern. Während Pakistan hauptsächlich chinesische Kopien sowjetischer Panzer und gemeinsam mit China entwickelte Systeme nutzt, modernisiert Peking die Volksbefreiungsarmee systematisch mit eigenen Kampfsystemen.

Premierminister Modi hat den ehemaligen Innenminister Rajnath Singh ins Kabinett geholt, um sich dieses Problems anzunehmen. Grundsätzlich bieten sich Indien drei Möglichkeiten: die Entwicklung und Produktion eigener Systeme; alles im Ausland zu kaufen; oder einen Mittelweg zu finden und zu versuchen, bei ausländischen Produzenten eine Lizenz für die Produktion in Indien zu erwerben.

Zwar versucht Neu-Delhi seit Jahren, auf diesem wichtigen sicherheitspolitischen Gebiet eine strategische Unabhängigkeit zu erreichen, doch die Resultate waren bestenfalls überschaubar. Der von Hindustan Aeronautics gebaute HAL-HF-24-Kampfjet war immerhin der erste in Asien hergestellte Kampfjet, den die Armee 1967 in Betrieb genommen hatte. Doch bereits 1990 wurde das Flugzeug außer Dienst genommen, da es nicht die gewünschte Leistung im Überschallbereich bringen konnte und sich als leichtes Opfer für die besser werdenden Luftwaffen der Nachbarländer erwiesen hätte.

Die Produktion der moderneren und deutlich besseren HAL Tejas, die eigentlich die MiG-21-Flotte hätte ersetzen sollen, wies dagegen Kapazitätsprobleme auf. Seit den frühen 2000er-Jahren wurden lediglich 30 Stück gebaut.

Ein ähnliches Bild zeigt sich auch beim eigenen Kampfpanzer Arjun. Die Entwicklung zog sich von den 1970er- bis zum Produktionsstart in den frühen 2000er-Jahren hin. Obwohl es ein heimisches Konzept ist, wurden viele ausländische Komponenten verbaut, darunter der Motor und das Getriebe. Probleme bei der Beschaffung von Ersatzteilen führten dazu, dass vor ein paar Jahren rund 75 Prozent der Arjun-Panzerflotte nicht einsatzfähig waren.

Sreeram Chaulia, ein Professor und Dekan an der Jindal School of International Affairs, sagte dazu gegenüber RT:

Seit fast 30 Jahren reden wir über die Indigenisierung der Rüstungsproduktion. Trotzdem sind wir immer noch nicht in der Lage, Flugzeugträger, U-Boote und Kampfjets der fünften Generation sowie moderne Kommunikationsplattformen selbst zu produzieren. Das ist die große Herausforderung für die nächsten Jahre.

Indien gehört seit Jahren zu den größten Rüstungsimporteuren und ist auch weiter bereit, das Waffenarsenal zu modernisieren und auszuweiten. Das zeigt sich auch an den jüngsten Bestellungen von 464 zusätzlichen T-90-Kampfpanzern aus Russland sowie der Ausschreibung für 110 Kampfjets im Wert von 18 Milliarden US-Dollar, bei der Boeing und Lockheed Martin um den Auftrag buhlen.

Doch Waffensysteme im Ausland zu kaufen, ist ein hochpolitisiertes Geschäft, was Indien jetzt auf die harte Tour erfahren musste. Die USA sind besonders darauf erpicht, dass Neu-Delhi wie im Falle der Türkei die Bestellung des russischen Luftabwehrsystems S-400 storniert. Das könnte eines der "drängendsten Dinge" werden, mit denen Rajnath Singh zu tun haben wird, sagte der ehemalige Außenminister Kanwal Sibal gegenüber RT.

Sollten die Amerikaner darauf bestehen, Druck auf Indien ausüben und (es sogar) mit Sanktionen belegen, wird es einen Rückschlag für die amerikanischen Bemühungen bedeuten, ihre Rüstungsverkäufe in Indien zu erhöhen. Sie sind sehr darauf aus, immer mehr und mehr Rüstungsgüter zu liefern, aber sie können nicht beides haben: auf der einen Seite Indien sanktionieren, uns auf der anderen aber sagen, dass wir mehr von ihnen kaufen müssen.

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Der Versuch gemeinsamer Militärprojekte mit anderen Ländern, wenn möglich wenigstens mit einer Teilproduktion in Indien, scheint der beste Weg für Neu-Delhi zu sein, um sein Arsenal aufzufüllen. Abgesehen vom Equipment selbst erhält das Land auf diesem Wege auch die Technologie, eine Industrie, die in der Lage ist, eigene Waffen herzustellen, und eine ausgebildete Arbeitskraft.

"Die erste Modi-Regierung machte deutlich, dass sie eine Indigenisierung dem uneingeschränkten Import vorzieht", sagte der ehemalige indische Top-Diplomat Rajiv Sikri. Ein Modell für diesen Weg zeigt beispielsweise die russisch-indische Kooperation beim Bau von Hubschraubern und auch eines Teils der T-90-Panzer, die in Indien fertig zusammengebaut werden.

Doch selbst gemeinsame Militärprojekte mit lokaler Produktion garantieren keinen vollen Zugang zu ausländischer Militärtechnologie oder Unabhängigkeit der indischen Streitkräfte von ausländischen Lieferanten. Aber Modi hat noch etwas Zeit, um eine Lösung für dieses Problem zu finden. Indiens Bereitschaft, die eigene Rüstungsindustrie auszubauen und neue Partnerschaften im Ausland einzugehen, paart sich mit einer neuen Bereitschaft, die militärischen Muskeln auf der Weltbühne spielen zu lassen.

Vor Modis Wiederwahl im Mai pries der Premierminister im Wahlkampf, dass "diese Wahlen [im Falle seines Sieges; Anm. d. Red.] eine Zeitenwende für Indiens Aufstieg auf der Weltbühne sein werden". Die Erlangung wahrer militärischer Unabhängigkeit wird der entscheidende Faktor dafür sein, ob das zweitbevölkerungsreichste Land der Erde auch zu einer militärischen Großmacht wird.

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