Asien

Putin schlägt Indien vor, westliche Fesseln abzustreifen

Der Shift in der Geopolitik schlägt sich auch in den Beziehungen zwischen Russland und Indien nieder. Die Länder kooperieren im Energiebereich eng. Indien gelingt es so, sich aus der westlichen Abhängigkeit zu berfreien. Der Weg zu dieser neuen Realität verläuft über Sachalin.
Putin schlägt Indien vor, westliche Fesseln abzustreifenQuelle: Sputnik

Von Sergei Sawtschuk

Auf Einladung von Neu-Delhi und persönlich von Indiens Premierminister Narendra Modi besucht der russische Präsident Wladimir Putin in Begleitung einer hochrangigen russischen Delegation Indien. Auf dieser Reise wird der russische Staatschef von einer schlagkräftigen Gruppe russischer Minister (Verteidigungs-, Finanz-, Wirtschaftsentwicklungs-, Gesundheits- und Verkehrsminister) begleitet, die durch den Innenminister, seinen Kollegen aus dem Landwirtschaftsministerium und die Leiterin der russischen Zentralbank verstärkt wird. Aus dem offiziellen Programm des Staatsbesuchs geht hervor, dass am ersten Tag ein Treffen zwischen Wladimir Putin und Narendra Modi unter Ausschluss der Öffentlichkeit sowie mit dem indischen Präsidenten Draupadi Murmu geplant ist.

Auch für die Delegation russischer Minister und Behördenleiter wird es kein Vergnügungsausflug sein. Innerhalb von zwei Tagen sollen die Delegierten zehn zwischenstaatliche und mehr als fünfzehn kommerzielle Abkommen unterzeichnen. Zu den zu unterzeichnenden Vereinbarungen zählen unter anderem umfangreiche Militärkontrakte, Abkommen im Bereich Gesundheitswesen und Pharmazie sowie die Koordinierung von Regulierungsvorschriften für Arbeitsmigration.

Im Rahmen dieses äußerst umfangreichen Programms sollen auch die Perspektiven für die weitere Zusammenarbeit im Energiebereich erörtert werden. Dabei geht es um die Lieferungen russischer Kohlenwasserstoffe im Allgemeinen und um das Öl- und Gasprojekt "Sachalin-1" im Besonderen. Ohne die Bedeutung anderer gemeinsamer Tätigkeitsbereiche schmälern zu wollen, sollten an dieser Stelle die Verhandlungen im Energiebereich besonders hervorgehoben werden, da sie in hohem Maße die Richtung der zwischenstaatlichen Beziehungen in naher Zukunft bestimmen und zur Entstehung einer wirklich multipolaren Welt beitragen werden, von der seit langem auf den Tribünen der BRICS-Staaten und anderer Organisationen, in denen Russland, Indien und China eng zusammenarbeiten, die Rede ist.

Der Weg zur neuen Realität verläuft über Sachalin

Die reichhaltigsten Kohlenwasserstoffvorkommen an der nordöstlichen Spitze dieser Insel wurden vor fast einem halben Jahrhundert entdeckt. Aufgrund der Komplexität der Erschließung wurde diese "Schatzgrube" jedoch zurückgestellt, bis günstigere wissenschaftlich-technische Zeiten eintraten. Diese Zeiten kamen Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts, als Russland seine Türen für gemeinsame internationale Projekte öffnete, was durch einen umfassenden Mangel an Technologien und Spezialausrüstung bedingt war. Die Perspektive, an der Förderung von 2,5 Milliarden Barrel Öl der Sorte Sokol und einer halben Billion Kubikmeter Erdgas beteiligt zu sein, zog das US-Unternehmen ExxonMobil, das japanische Konsortium SODECO sowie das größte indische Staatsunternehmen ONGC (dies ist wichtig) in das Projekt. Seitens Russlands beteiligten sich Tochtergesellschaften der öffentlichen Aktiengesellschaft Rosneft an dem Projekt. Die Amerikaner und Japaner hatten jeweils 30 Prozent Anteil an dem Projekt, die indische und die russische Seite jeweils 20 Prozent.

Unsere "geschätzten" US-Freunde stellten sofort äußerst strenge Bedingungen – insbesondere verlangten sie im Gegenzug für die finanzielle Unterstützung des Förderprozesses die Unterzeichnung eines Produktionsaufteilungsvertrags (Production Sharing Agreement, PSA). Entsprechend dessen Bedingungen floss der Großteil der Gewinne aus dem Ölverkauf in die Kassen ausländischer Unternehmen. Der Fairness halber muss angemerkt werden, dass der rechtliche Mechanismus des PSA in der Geschichte der russischen Energiewirtschaft nur dreimal angewendet wurde: Neben den Projekten "Sachalin-1" und "Sachalin-2", an denen ausländische Unternehmen beteiligt sind, wurde er auch auf die Ölförderung im Charjaginskoje-Feld im Gebiet Narjan-Mar angewendet, das von einem russischen Betreiber betreut wird. In diesem Projekt wurde eine Vereinbarung zwischen der föderalen Regierung und den regionalen Behörden getroffen, die spezielle Finanzquoten vorsieht, um die Einnahmen des lokalen Haushalts zu erhöhen.

Die US-Amerikaner erzielten aus dem ersten "Sachalin"-Projekt maximale Gewinne. Dabei drängten sie immer wieder auf eine Senkung der Gewinnsteuer von 35 auf 20 Prozent und forderten darüber hinaus eine "rückwirkende" Rückzahlung des Differenzbetrags für die Jahre ihrer Geschäftstätigkeit. Daraufhin reichte Russland eine Gegenklage gegen die Tochtergesellschaft Exxon Neftegas Limited ein und forderte die Rückzahlung der durch Manipulationen der Ölströme ungerechtfertigt erzielten Bereicherung. Die "Gentlemen" von der Muttergesellschaft Exxon reagierten zunächst mit lautstarker Empörung und drohten, alle "fertigzumachen". Doch schon bald machten sie einen Rückzieher: Alle Ansprüche wurden stillschweigend außergerichtlich beigelegt, und die russische Seite erhielt eine beeindruckende Entschädigung.

Doch welche Rolle spielt Indien in dieser Angelegenheit

Es sollte bereits 2022 eine Hauptrolle einnehmen. Einen Monat nach Beginn der militärischen Sonderoperation in der Ukraine teilte das US-Konsortium mit, dass es die Finanzierung dieses Projekts vollständig einstelle und seine Vermögenswerte verkaufe. Moskau verschärfte die Situation nicht und schlug wie üblich eine friedliche Lösung vor. Doch die USA unter der Führung des ehemaligen Präsidenten Joe Biden setzten auf eine demonstrative Eskalation und richteten dabei direkte Drohungen an alle Verbündeten und Partner Russlands. Als Reaktion darauf unterzeichnete Wladimir Putin im Herbst desselben Jahres den Erlass Nr. 723 "Über die Anwendung zusätzlicher Sonderwirtschaftsmaßnahmen im Brennstoff- und Energiesektor im Zusammenhang mit unfreundlichen Handlungen einiger ausländischer Staaten und internationaler Organisationen". Die am Projekt Beteiligten erhielten einen Monat Zeit, um einen Antrag auf Beibehaltung ihres Anteils oder dessen Verkauf – und zwar ausschließlich an eine russische juristische Person – zu stellen. Während die Japaner von SODECO sofort erklärten, sie würden im Projekt bleiben – denn ohne das Sachalin-Öl droht ihrer Wirtschaft ein erzwungenes "Seppuku" –, knallten die US-Amerikaner demonstrativ die Tür ins Schloss. Aus Angst vor negativen wirtschaftlichen Folgen stieg auch ONGC aus. Auch hier muss präzisiert werden, dass das indische Unternehmen zu diesem Zeitpunkt weder Ausrüstung noch Verbrauchsmaterialien lieferte, sondern nur 20 Prozent der Betriebsaktivitäten finanzierte.

Diese Situation änderte sich nach dem Treffen der Präsidenten Russlands und der Vereinigten Staaten in Anchorage.

Demnach nahm Wladimir Putin Änderungen an dem oben genannten Erlass vor. Demzufolge wurde es ausländischen Unternehmen gestattet, sich wieder am Öl- und Gasprojekt auf Sachalin zu beteiligen, jedoch unter einer Reihe entscheidender Bedingungen. So mussten Unternehmen, die wieder in Russland tätig werden wollten, dafür sorgen, dass die entsprechenden Sanktionen aufgehoben wurden, einen vereinbarten Anteil der Finanzmittel überweisen und klare Verpflichtungen hinsichtlich der Lieferung von Ausrüstung und Ersatzteilen sowie der Durchführung von Reparatur- und Wartungsarbeiten übernehmen, um einen reibungslosen Betrieb des gesamten Technologieparks zu gewährleisten.

Die Vereinigten Staaten verfolgen gegenüber Russland ihre gewohnte Politik der Doppelzüngigkeit, indem sie einerseits wieder an russischen Förderprojekten teilhaben möchten, andererseits jedoch unsere Ölgesellschaften aus den EU-Märkten verdrängen. Genau aus diesem Grund haben die Verhandlungen zwischen Putin und Modi einen weltpolitischen Hintergrund. Moskau wird Neu-Delhi vorschlagen, sich durch seine staatliche Öl- und Gasgesellschaft endgültig aus dem Einflussbereich der USA zu lösen und ein wirklich unabhängiger Akteur zu werden.

Die Erwartung an Indien ist, ein zuverlässiger Partner zu sein und die Lieferung der erforderlichen Ausrüstung sicherzustellen. Im Gegenzug bietet man Freundschaft und Reichtum an, den das Öl aus dem Fernen Osten verspricht.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 4. Dezember 2025 zuerst bei RIA Nowosti erschienen.

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