
Japans geheimer Weg zur Flotte von Atom-U-Booten

Von Alexander Timochin
Weniger als einen Monat, nachdem Südkorea Andeutungen über mögliche Atom-U-Boote gemacht hatte, erklärte der japanische Verteidigungsminister Shinjiro Koizumi, Japan solle den Einsatz von Atom-U-Booten anstelle von dieselelektrischen in Betracht ziehen. In einer Rede gab Koizumi zum Besten:
"Die Lage um Japan herum wird so komplex, dass wir uns überlegen müssen, ob wir weiterhin Dieselkraftstoff verwenden oder die Wahl zugunsten von Atom-U-Booten treffen."

Über Atom-U-Boote denken die Japaner schon lange nach. Es ziemt sich nur nicht, darüber zu sprechen. Dasselbe gilt für die japanische Überwasserflotte, die schon heute in der Lage ist, die Marinen Großbritanniens oder Frankreichs zu schlagen. Ebenso wie für ihre weltweit zweitstärkste Flotte an U-Boot-Abwehrflugzeugen. Und eine Luftwaffe, die es mit den Chinesen Kopf an Kopf aufnehmen kann.
Die Japaner sind Meister der kognitiven Verzerrung. Sie lügen nicht und verheimlichen nichts. Aber sie stellen es so geschickt an, dass die Menschen sich schlichtweg nicht für japanische Militärpläne interessieren und stattdessen das Bild eines friedliebenden Landes mit Anime, Reiskuchen und einer hochentwickelten Autoindustrie im Kopf behalten.
So haben die Japaner ihre Experimente mit Feststoffraketen nicht geheim gehalten – sie führten sie einfach unter dem Deckmantel des M-V-Raketenprogramms durch, das auch dem Schießen von Satelliten in den Orbit gewidmet war. Nun können sie bei Bedarf eine Rakete bauen, die in der Lage ist, zehn Gefechtsköpfe an jeden beliebigen Ort im Umkreis von Tausenden Kilometern zu bringen. Doch das entgeht dem öffentlichen Bewusstsein eben.
Auch die japanischen geophysikalischen Raketen, die Hunderte von Kilogramm Nutzlast ins All befördern können, haben mehr als nur wissenschaftliche Bedeutung. Als die Japaner ihre "hubschraubertragenden Zerstörer" etwa der Izumo-Klasse bauten, war sofort klar, dass es sich bei diesen eigentlich um Flugzeugträger handelte, aber auch das wurde nicht hervorgehoben. Jetzt, da bereits F-35B (zugegebenermaßen ist dies "bloß" die Version der F-35 mit Kurzstart und senkrechter Landung) von diesen Flugzeugträgern aus starten, wird es ebenfalls nicht betont.
Ebenso weiß jeder, dass Japan im Bereich der Kernreaktoren autark ist. Alle wissen auch, dass Japan nur wenige Monate von Atombomben trennen, sobald Tokio die Entscheidung fällt, diese zu bauen. Doch all das läuft nur irgendwie im Hintergrund der medialen Berichterstattung und wird nicht berücksichtigt. So funktioniert kognitive Verzerrung. Dasselbe gilt für Atom-U-Boote.
Im Jahr 1952 endete die Besatzung Japans offiziell. Japan und die Vereinigten Staaten wurden offiziell Verbündete, und die Japaner standen vor der Frage des Wiederaufbaus ihrer militärischen Stärke. Dies war ein langwieriger Prozess, der bis heute läuft – langsam, gerade so, dass niemand beunruhigt wird.
Atomkraftwerke für Schiffe waren Teil dieses Prozesses, doch hier geht Japan besonders vorsichtig vor. Im Jahr 1955 wurde in Japan das halbstaatliche Japanische Atomenergie-Forschungsinstitut gegründet, das heute Teil der Japanischen Atomenergiebehörde ist. Im selben Jahr begann das Institut, nicht nur Reaktoren zum Erzeugen elektrischer Leistung zum Einspeisen ins Landesnetz, sondern auch Fahrzeugreaktoren zu erforschen. Zu diesem Zweck wurde die "Forschungsgruppe für Atomschiffe" gegründet.
Im Jahr 1963 verabschiedete das Institut den "Grundlagenforschungsplan für die Entwicklung und den Bau eines Schiffes mit Atomantrieb". Ein Jahr später begannen die Japaner mit der Entwicklung und dem Bau eines solchen Erprobungsschiffs – des Frachtschiffs Mutsu, das später in ein Forschungsschiff umgebaut wurde.
Hier ist eine wichtige Anmerkung angebracht: Ein Atomkraftwerk auf einem zivilen Schiff bedeutete nicht einmal damals zwangsläufig dessen militärische Nutzung (siehe die Flotte der Sowjetunion, später Russlands an nuklear angetriebenen Eisbrechern). Die UdSSR baute zu jener Zeit bereits atomgetriebene Eisbrecher; in den Vereinigten Staaten lief 1959 die Savannah, ein kommerzielles Atomschiff, das gleichzeitig als Frachter und Passagierschiff dienen sollte, vom Stapel; in Westdeutschland wurde das nuklear angetriebene Erprobungs- und Frachtschiff Otto Hahn gebaut und bis zum Jahr 1979 mit einem Atomkraftwerk betrieben.
Die Japaner jedenfalls deklarierten ihr Schiff, genau wie die Amerikaner und Deutschen, einerseits als "experimentelles Frachtschiff". Andererseits verfügte die Mutsu über Frachträume rein symbolischer Kapazität, und es war offensichtlich, dass die Japaner nicht die kommerzielle Nutzung von Atomanlagen zu kommerziellen Transportzwecken erforschen und erproben wollten, sondern deren Einsatzmöglichkeiten für jegliche Zwecke. Dies war der grundlegende Unterschied zwischen der Mutsu und sowohl dem demonstrativ zivilen US-amerikanischen als auch dem deutschen Entwurf, der sogar Massengut transportieren konnte.
Als die Mutsu fertiggestellt war, hatten das US-amerikanische und das deutsche Beispiel bereits deutlich gemacht, dass zivile Atomschiffe keine Zukunft hatten – sie durften schlichtweg die Mehrzahl der Häfen nicht anlaufen, und die Wartung war für nichtstaatliche Organisationen zu komplex. Die UdSSR bildete keine Ausnahme, da abgesehen von Eisbrechern, die eine höhere Leistung benötigten als eine dieselelektrische Anlage sie wirtschaftlich liefern kann, zu dieser Zeit keine zivilen Atomschiffe gebaut wurden.
(Als Ausnahme sind Reaktorschiffe denkbar, die, ohne selber direkt in Häfen einzulaufen, als Fahrgastschiffe ihre Passagiere mittels Zubringerbooten empfangen und absetzen, beziehungsweise als Frachtschiffe zum Laden und Löschen ihrer Fracht Leichter einsetzen ‒ die später in der Sowjetunion gebaute und betriebene Sewmorput ist hierfür ein Beispiel ‒ oder aber, ähnlich einem schwimmenden Trockendock, Zubringer-Frachtboote in ihrem Inneren aufnehmen und sie dann be- und entladen können. Alternativ ließen sich konventionelle dieselelektrische Fracht- oder Passagierschiffe dafür auslegen, nach Verlassen des Hafens unter eigenem Antrieb an selbstbewegliche schwimmende Atomkraftwerke passender Größe anzudocken. Anschließend würden sie entweder ihre Elektromotoren zum Antrieb ihrer Schiffsschrauben vom besagten Kraftwerk speisen und/oder sich von diesem mithilfe von dessen eigener Schraubenleistung antreiben lassen; Anm. d. Red.)
Die Japaner erkannten also durchaus die überwiegende Sinnlosigkeit von Atomkraftwerken für die zivile Schifffahrt – dennoch wurde die Mutsu im Jahr 1972 vom Stapel gelassen. Das einzige "rein zivile" an den technischen Daten des Schiffes war der Urananreicherungsgrad seines Reaktors – etwa 4,44 Prozent –, und nicht einmal hier ist die Sache so einfach: Niedrig angereichertes Uran wird durchaus auch in Militärreaktoren verwendet, beispielsweise in den französischen Atom-U-Booten der Rubis-Klasse (Anreicherungsgrad 7 Prozent).
Im Jahr 1974 unternahmen die Japaner den ersten Versuch, den Atomreaktor der Mutsu in Betrieb zu nehmen, scheiterten jedoch sofort – es kam zu einem Unfall mit einem Austritt radioaktiven Kühlmittels. Der Unfall wurde behoben, und das Schiff konnte seinen Betrieb fortsetzen. Und genau hier liegt der interessante Punkt:
Unter Bedingungen der gewerblichen Schifffahrt, unter denen die Unmöglichkeit des Einsatzes von Kernkraftwerken bereits offensichtlich war, blieb die Mutsu 21 Jahre lang im Dienst. Zum Vergleich: Die US-Amerikaner und Deutschen hatten sich bereits nach zehn Jahren Experimenten mit nuklear angetriebenen Handelsschiffen vollends sattgespielt. Die Japaner hingegen perfektionierten ihren Druckwasserreaktor (im Wesentlichen derselbe wie die in U-Booten verwendeten) bis zum Erreichen von … nun, wir wissen nicht, was genau sie erreichen wollten, aber sie haben es wohl erreicht. Dass sie alle praktischen Probleme haben lösen können, ist hinlänglich bekannt. Doch warum sie ein Schiff, das in der ersten Phase seines Betriebs dauerhavariert war, sage und schreibe 21 Jahre lang betrieben, bleibt ein Rätsel. Das Schiff selbst wurde, nachdem die technischen Probleme gelöst waren, im Jahr 1995 auf einen konventionellen Antrieb umgerüstet, in "Mirai" umbenannt und zu einem Forschungsschiff umgebaut.
Jedenfalls unternahm Japan keine weiteren Versuche mehr, Schiffsreaktoren zu bauen. Die Forschung auf diesem Gebiet wurde jedoch fortgesetzt. Japan führte auch Unterwasserforschungen durch. Im Jahr 2015 veröffentlichte dasselbe Institut die Studie "Betriebsbedingungen und Betriebsmodus eines atomgetriebenen Unterwasserforschungsschiffs; Bericht der Arbeitsgruppe zur Anwendung eines ultrakompakten Kernreaktors für die Meeresforschung". Ein Forschungsschiff wurde natürlich nie gebaut – aber dafür wurde die Forschung dennoch fortgesetzt.
Die japanischen Bemühungen gewannen in den 2020er Jahren neuen Schwung: Im Jahr 2024 wurde bekannt gegeben, dass Mitsubishi Heavy Industries ein Kooperationsabkommen mit dem britischen Unternehmen Core Power zur Entwicklung eines Schiffsreaktors unterzeichnet habe.
In letzter Zeit häufen sich Veröffentlichungen, die nahelegen, dass atomgetriebene Handelsschiffe sehr wohl eine Zukunft haben. Heute wissen wir allerdings, dass auch Südkorea seine militärische Forschung zu nuklearen Schiffsantrieben hinter der hypothetischen Nutzung von Kernenergie für Handelsschiffe verbarg. Und wie sich herausstellen sollte, war Südkorea eben nicht das einzige solche Land.
Im Februar 2024 richtete das japanische Verteidigungsministerium das sogenannte Hauptquartier zur Umsetzung der Verbesserung der grundlegenden Verteidigungsfähigkeiten ein, das eine ständige Expertengruppe mit Wissenschaftlern und Wirtschaftsvertretern bildete. In einem Bericht vom 19. September 2025 empfahl man dort, "die Anschaffung verbesserter Langstrecken- und Langzeit-Tauchfähigkeiten für U-Boote mit Senkrechtstartraketen zu erwägen … ohne Rücksicht auf herkömmliche Einschränkungen".
Dies anders zu interpretieren als einen direkten Bezug zu Atom-U-Booten, ist schon sehr schwer, da Japan die einzige andere Alternative zu dieselektrischen U-Boot-Antrieben, anaerobe Antriebstechnologien, bereits jetzt nutzt. Doch bevor Südkorea die USA um Erlaubnis zum Bau von Atom-U-Booten bat, wartete Japan ab. Nun, unter dem Deckmantel angeblicher Bedrohungen seitens Russlands, Chinas und der Demokratischen Volksrepublik Korea, hat Tokio sein Interesse an Atom-U-Booten öffentlich bekundet. Eine Entscheidung ist damit noch nicht gefallen: Es wird wohl einige Zeit dauern, bis sich alle an die Diskussion um Japans Atom-U-Boot-Flotte gewöhnt haben und den Nachrichten darüber keine Beachtung mehr schenken.
Japans Fähigkeit, Atom-U-Boote eigenständig zu bauen, sollte jedenfalls außer Frage stehen.
U-Boot-Bauprojekte wie die Taigei-Klasse zeigen deutlich, dass Japan, abgesehen vom Antrieb, nichts Neues entwickeln muss – ihm steht bereits alles zur Verfügung. Japan fehlt lediglich das hochangereicherte Uran, wie es in US-amerikanischen und russischen U-Boot-Reaktoren verwendet wird. Wie jedoch das Beispiel Frankreichs zeigt, geht es eben auch ohne. Und Japan hatte wortwörtlich Jahrzehnte Zeit, einen Marinereaktor mit niedrig angereichertem Uran zu entwickeln, und hat diese Zeit intensiv genutzt.
Eine Präsenz von Atom-U-Booten in der japanischen Flotte eröffnet Tokio die Möglichkeit, Kampfgruppen zu bilden, die denen der US-Marine mit ihren Flugzeugträgern nur geringfügig unterlegen sind. Diese Gruppen werden zudem schlagkräftiger sein als die sogenannten Expeditionary Strike Groups (ESGs) der US-Marine, die amphibische Angriffsschiffe mit Kampfflugzeugen anstelle von "richtigen" Flugzeugträgern einsetzen.
Japan wird damit die Fähigkeit erlangen, maritime Operationen in Reichweiten durchzuführen, die lediglich durch die Ausdauer der U-Boot-Besatzung und die Bordvorräte an Verpflegung begrenzt sind. Die Japaner werden dann im Ochotskischen Meer, vor Kamtschatka sowie im Wesentlichen überall im asiatisch-pazifischen Raum operieren können. Die etwaigen Vorteile japanischer U-Boote im Kampf hängen von ihrer zukünftigen Konstruktion ab.
Russland ist sich bekanntlich der feindseligen Politik Tokios gegenüber Moskau, insbesondere auf See, bewusst. Die Aufnahme von Atom-U-Booten in die japanische Marine wird die japanische Bedrohung für Russland auf ein Niveau bringen, das mit dem vor dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar ist.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei Wsgljad am 17. November 2025.
Mehr zum Thema – Der Souveränität kein Stück näher – Tokio bereit, gegen China für US-Interessen zu kämpfen
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.




