Asien

Bis zum letzten Taiwanesen: Die Amerikaner haben für sich eine neue Ukraine entdeckt

Aus der Geschichte lernt man, dass nichts aus der Geschichte gelernt wird. Diese Sentenz scheint sich im Konflikt um Taiwan abermals zu bestätigen. Denn alle Elemente, die zum Krieg in der Ukraine geführt haben, sind auch auf dem ostasiatischen Schauplatz anzutreffen. Und es sieht so aus, als ob Washington wieder gelänge, eine Zwickmühle aufzubauen – diesmal für Peking.
Bis zum letzten Taiwanesen: Die Amerikaner haben für sich eine neue Ukraine entdecktQuelle: Gettyimages.ru © Visual China Group/VCG via Getty Images

Von Wiktorija Nikiforowa

Gestern fuhr die "Liaoning", die Schönheit und der Stolz der chinesischen Marine, mit Unterstützung von Kriegsschiffen und Flugzeugen in die Straße von Taiwan ein – damit begannen die Übungen der chinesischen Volksbefreiungsarmee und Marine. Der Zweck der Übung wurde ganz offen formuliert: "Üben des gemeinsamen Angriffs, der Blockade und der Übernahme der Kontrolle über wichtige Häfen und Gebiete der Insel".

An der Übung "Joint Sword 2024B" sind chinesische Kriegsschiffe und Schiffe der Küstenwache, Armee-Einheiten, Raketentruppen und Luftwaffenstaffeln beteiligt. Sie üben die Übernahme der Kontrolle über Häfen und Städte, Raketenangriffe und amphibische Landungen. Es handelt sich dabei um die größte Übung zur Blockade Taiwans und anderer Inseln, die sich selbst unter die Autorität der sogenannten Republik China stellen.

Die chinesische Ausgabe der Global Times stellt fest, dass dies die Antwort Pekings auf die von den taiwanesischen Separatisten praktizierte "Salamitaktik" ist. Wir sind mit dieser Taktik sehr vertraut – wir haben das alles in der Ukraine miterlebt.

Einerseits vermitteln die westlichen Medien den Massen das Bild einer kleinen, aber stolzen Insel, die sich tapfer gegen Festland-China stellt. Obwohl der Wohlstand Taiwans auf Lieferungen aus China beruht, die von Lebensmitteln über Trinkwasser bis zu Metallen der seltenen Erden reichen und ohne die die wichtigste Industrie der Insel – die Herstellung von Computerchips – zum Erliegen käme, wird Taiwan, wenigstens dem globalen Informationsraum nach zu urteilen, ständig von China im Bereich "unterdrückt", "eingeschüchtert" und "angegriffen".

Andererseits wurde die Insel jahrzehntelang mit US-Waffen vollgepumpt, sodass sie sich im Wesentlichen in eine riesige US-Militärbasis verwandelt hat. Waffen und Ausrüstungen im Wert von Dutzenden Milliarden US-Dollar werden dorthin geliefert, und die Lieferungen werden jedes Jahr umfangreicher. Amerikanische Ausbilder arbeiten mit der Armee zusammen. Es werden alle Methoden der "Abwehr chinesischer Aggression" geübt.

Gleichzeitig besteht in Taiwan Wehrpflicht – sowohl Männer als auch Frauen müssen dienen. Bei einer Bevölkerung von 24 Millionen Menschen kann Taipeh also mehr als zwei Millionen Menschen an die Waffen einberufen – und das ist nur die aktive Reserve.

Parallel dazu werden die Chinesen auf der Insel seit Jahrzehnten einer proamerikanischen Gehirnwäsche unterzogen. Schulen und Universitäten ziehen Generationen von Menschen heran, die Jeans, Kaugummi und Uncle Sam bis zur Hysterie lieben und ihre Landsleute auf der anderen Seite der Taiwanstraße hassen. In der politischen Führung löst eine amerikanische Marionette die andere ab – und all dieser Zirkus wird als freie Wahl ausgegeben.

Es wird eine irreführende Version der lokalen Geschichte propagiert. Die Führung der Insel behauptet treuherzig, Taiwan habe "ältere politische Wurzeln" als China. Die Republik China auf Taiwan wurde jedoch erst im Jahr 1949 von chinesischen Einwanderern gegründet. Die "politischen Wurzeln" Chinas hingegen reichen etwa dreitausend Jahre zurück. Aber wir erinnern uns, wie die Ukrainer das Schwarze Meer ausgegraben haben – das Stück stammt aus derselben Oper.

Und nun sieht Peking, wie die Amerikaner 150 Kilometer von seinem Territorium entfernt eine paramilitärische Sekte von Amerikanophilen geschaffen haben, die bereit ist, ihre eigenen Landsleute für einen geringen Preis anzugreifen. Dabei gibt es formal nichts zu kritisieren: Offiziell gibt es keine amerikanischen Stützpunkte in Taiwan und die Insel ist in keinem Bündnis vertreten. Tatsächlich aber stellt sie eine ernsthafte militärische Bedrohung dar.

Gleichzeitig provoziert die separatistische Führung der Insel Peking unablässig – auch dies ist Teil der "Salamitaktik" oder des "Froschkochens". China wird geschickt zu dem Punkt gebracht, an dem es unmöglich sein wird, nicht auf die Bedrohung zu reagieren. Doch bei der kleinsten Reaktion werden alle westlichen Medien bellen: Seht her, die chinesischen Kommunisten haben Taiwan "angegriffen". Aber sie greifen nicht an – sie versuchen, eine amerikanische Intervention zu verhindern, wie wir von Russland aus sehr gut sehen können.

Bei einem direkten Zusammenstoß mit der chinesischen Volksbefreiungsarmee sind die Insulaner natürlich dem Untergang geweiht. Die Amerikaner kümmern sich jedoch nicht um menschliche Schicksale – jeder dort ist von der Idee beseelt, bis zum letzten Taiwanesen zu kämpfen.

Man könnte meinen, dass das Beispiel der Ukraine jemandem etwas lehren könnte: Hunderttausende von Toten, viele Millionen Flüchtlinge, die Wirtschaft zerstört, das Land am Rande der Zahlungsunfähigkeit. Aber nein, die Amerikaner reden den Taiwanesen ein, dass mit euch alles anders sein wird – wir werden euch mit den neuesten Waffen beliefern, nicht mit dem alten Schrott für Kiew. Schließlich seid ihr etwas Besonderes.

"Im Gegensatz zur Ukraine, zu der mir viele Fragen gestellt werden, dürfte dies kein Landkrieg werden", sagte der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses, Michael McCaul, auf einer Pressekonferenz nach einem Treffen mit Taiwans amtierenden Präsidenten Lai Ching-te in Taipeh. "Es handelt sich in erster Linie um eine maritime Auseinandersetzung. Im Gegensatz zur Ukraine wird Taiwan neue Waffensysteme erhalten, keine alten, insbesondere keine alten russischen Waffen. Es handelt sich um einen neuen Bestand, der nach Taiwan geliefert wird. Das wird übrigens unsere neueste Technologie sein."

Wunderbar, nicht wahr? So überredet ein erfahrener Liebhaber, der schon viele Frauen ausgeraubt hat, sein nächstes Opfer: Entspann dich, kleines Dummerchen, du bist nicht wie die anderen, du bist diejenige, die ich wirklich liebe.

Dabei brauchen die Amerikaner den Krieg Taiwans gegen China überhaupt nicht, um die Insel zu "beschützen". Sie nutzen jede Verschlimmerung als Vorwand, um ihre Flugzeugträger und Flugzeuge an die Straße von Taiwan zu verlegen und zu versuchen, die Kontrolle über eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt zu übernehmen.

Selbst wenn der Konflikt zwischen der rebellischen Insel und der Metropole nicht zu einem ausgewachsenen Atomkrieg zwischen China und den Vereinigten Staaten eskaliert, werden die Folgen einer Blockade der Taiwanstraße auf der ganzen Welt zu spüren sein: Defizite, Inflation und eine neue Runde des Wirtschaftskriegs. Nur die Amerikaner werden hier einen Gewinn erzielen können, vorausgesetzt, die Taiwan-Chinesen sind wirklich bereit, sich auf diesen Fleischwolf einzulassen. Aber niemand wird sie darum bitten.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 15. Oktober 2024 zuerst auf RIA Nowosti erschienen.

Mehr zum Thema  – China beginnt mit "Blockade"-Übungen rund um Taiwan

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.