Nach dem mutmaßlichen Selbstmordanschlag am Flughafen von Kabul hat am Donnerstagabend der RT-Reporter Murad Gazdiev zur Lage vor Ort berichtet. Laut Aussagen von Zeugen sei nur eine Explosion zu hören gewesen. Sie soll sich zwischen dem Baron-Hotel und dem Kontrollpunkt am östlichen Ende des Flughafens ereignet haben.
Gerüchte über Zusammenstöße zwischen Taliban und US-Soldaten entsprächen wahrscheinlich nicht den Tatsachen. Laut Gazdiev halten sich die NATO-Truppen nur auf dem Gelände des Flughafens auf. Außerhalb des Flughafens halten die Taliban eine Reihe von Kontrollpunkten. Um auf den Flughafen zu gelangen, muss ein Selbstmordattentäter erst die Kontrollpunkte der Taliban passieren.
Am selben Tag hatte der von den Taliban eingesetzte Informationsminister in einem Interview mit Gazdiev erwähnt, dass es Hinweise auf Angriffe auf den Flughafen gebe. Die Taliban hätten die NATO vor Angriffen gewarnt und darauf hingewiesen, dass sich die Bedrohungslage nicht ändern werde, solange sich ausländische Truppen auf dem Flughafen aufhalten.
Die Situation bleibt schwer kontrollierbar. Am Mittwoch feuerten Taliban am Flughafen wiederholt Schusssalven ab, um die Massen zu kontrollieren, die darauf hoffen, das Land zu verlassen.
Sicherheitsanalyst: Taliban haben keine Kontrolle über islamistische Gruppen
Auch der ehemalige leitende Analyst für Sicherheitspolitik im Büro des US-Verteidigungsministers, Michael Maloof, äußerte sich am Donnerstag zum Anschlag in Kabul. In einem Interview mit RT sprach Maloof von zwei Explosionen. Das Hotel, von dem er ausging, dass sich dort die Explosion ereignet hat, befinde sich weniger als 200 Meter vom Flughafen entfernt und sei voll mit Leuten.
Maloof zufolge hätte der mutmaßliche Anschlag gezeigt, dass die Taliban keine Kontrolle über islamistischen Milizen wie ISIS-K oder Al-Qaida ausüben können. Zuvor hatten Anführer der Taliban garantiert, dass sie in Zukunft Angriffe dieser Gruppen auf die USA und ihre Verbündete verhindern werden.
"Sogar die Taliban sind besorgt über die Situation, besonders, da sie mit den Amerikanern eine Abmachung getroffen haben."
Maloof wies in dem Zusammenhang darauf hin, dass ISIS-K und die Taliban verfeindet sind. Im Gegensatz zu den Taliban, die in der Regel ausschließlich militärische und polizeiliche ziele angriffen, übten die Kämpfer von ISIS-K Selbstmordanschläge auf Zivilisten aus.
Nun sehe man, wie sich andere Milizen formieren, die gegen die Taliban sind. Oppositionelle Kräfte organisierten sich und forderten die Taliban heraus, so der Analyst. Sie hätten Kabul eingenommen, aber das ganze Land zu sichern, sei für die Taliban ein großes Problem. Das könnte in einem weiteren Bürgerkrieg enden.
Die Nachrichtendienste der USA seien laut Maloof über die Gefahr eines Angriffs informiert gewesen. ISIS-K selbst habe mitgeteilt, dass sie Angriffe planten.
Zusammenarbeit gegen Dschihadismus mit Russland und China
Was die Aktivität dschihadistischer Gruppen betrifft, so geht Maloof davon aus, dass sie zunehmend Probleme machen werden. Diese Gruppen würden sehen, wie schwach die USA seien. Die USA haben China und Russland als ihre Feinde ausgemacht. Bei dem wachsenden Terrorproblem müsse man aber zusammenarbeiten.
Maloof plädierte zudem dafür, dass die US-Truppen die nicht weit von Kabul entfernte Stadt Bagram wieder unter ihre Kontrolle nehmen sollen, um die notwendigen Korridore für die Evakuierung zu schaffen. Die Bagram Air Base war das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Afghanistan und ihr wichtigster Militärflugplatz.
Für das Wochenende erwartet Maloof Reaktionen vonseiten des US-Militärs. Die Situation verlange nach drastischen Handlungen. Amerikaner und Ortskräfte, die immer noch in Afghanistan sind, könnten bei einer Verschlimmerung der Situation sofort zu Geiseln werden.
Die USA haben sich selbst besiegt
Zur Führung in Washington sagte Maloof, dass man erst acht Monate der Biden-Regierung hinter sich habe. Er könne sich nicht vorstellen, wie die USA oder sogar die Welt die sogenannte Führung Bidens noch über drei Jahre aushalten kann.
"Das ist eine Wunde, die Joe Biden den USA hinzugefügt hat, eine selbst herbeigeführte Niederlage. Die Taliban haben die USA nicht besiegt. Die USA haben sich selbst besiegt."
Im Unterschied zu Biden habe Trump bestimmte Bedingungen an die Taliban bei einem Rückzug gestellt. Trump habe auch nicht den übereilten Abzug aus Afghanistan gewollt, wie er jetzt geschehen ist. Ausrüstung im Wert von 85 Milliarden US-Dollar seien einfach zurückgelassen worden. Maloof ist sich sicher, dass die Ausrüstung am Ende nicht bei den Taliban bleiben wird, sondern auch in die Hände von ISIS-K und anderen Terrorgruppen gelangt.
"Das ist eine abgründige Situation, die der USA mehr als alles geschadet hat. Ich denke, dass ist das Ende der NATO, wie wir sie kennen. Denn niemand kann den USA länger als Anführer vertrauen."
Maloof zufolge könne man das Entstehen einer neuen Weltordnung erwarten, die anders werde als während der letzten 75 Jahre.
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