von Seyed Alireza Mousavi
China ging als Sieger aus der Corona-Krise hervor und stellt den Westen nun noch stärker als bisher vor geopolitische Herausforderungen. Im asiatisch-pazifischen Raum beansprucht China etwa 80 Prozent des Südchinesischen Meeres für sich. Das Gebiet erstreckt sich zwischen China, Malaysia und Vietnam, eingegrenzt durch die von China definierte sogenannte "Neun-Strich-Linie", eine der wichtigsten internationalen Handelsrouten, die sich durch das Gebiet zieht.
Südchinesisches Meer
China hat in der letzten August-Woche eine Militärübung im Südchinesischen Meer als Reaktion auf die amerikanische Präsenz in diesem Gebiet durchgeführt. Es kam mittlerweile zu einem Zwischenfall zwischen den USA und China. Zwei Mittelstreckenraketen wurden am 27. August von den Provinzen Qinghai und Zhejiang vonseiten der Chinesen abgefeuert und sind in einem Gebiet südöstlich der chinesischen Insel Hainan sowie der Paracel-Inseln gelandet, das von Montag bis Samstag für Manöver gesperrt wurde.
Raketenabschüsse folgten auf das Eindringen eines US-Aufklärungsflugzeugs während chinesischer Militärübungen in der Flugverbotszone. Peking bezeichnete die Aktivitäten der USA als "rücksichtsloses Verhalten". Der Abschuss wurde weithin als "Warnung" an Washington angesehen. Es habe sich bei den Raketen um eine nuklear bestückbare Mittelstreckenrakete vom Typ DF-26B mit einer Reichweite von 4.000 Kilometern und eine Anti-Schiffsrakete vom Typ DF-21D mit einer Reichweite von 1.800 Kilometern gehandelt, heißt es auf South China Morning Post.
Nach diesem Zwischenfall mit einem US-Aufklärungsflugzeug hat Peking erklärt, Chinas Militär werde sich dem US-Druck in der Region nicht beugen. Washington solle seinen derzeitigen außenpolitischen Kurs aufgeben, hieß es in der Erklärung. Das Kommando werde die chinesischen Gewässer und den Luftraum weiterhin genau beobachten, um ähnliche Vorfälle, die die nationale Sicherheit Chinas beeinträchtigen könnten, zu verhindern, und um die nationale Souveränität zu gewährleisten.
Auf die Militärübung antworteten die USA mit Einreisesperren und Exportbeschränkungen. Am 26. August verhängten die USA bereits Sanktionen. Chinesinnen und Chinesen, die an der Aufschüttung und "Militarisierung" künstlicher Inseln in dem umstrittenen Seegebiet beteiligt seien, würden mit Einreisesperren belegt, teilte Pompeo mit.
China hatte im Südchinesischen Meer an mehreren Riffen Land aufgeschüttet und Militäranlagen gebaut, was in der westlichen Hemisphäre für Empörung sorgte. China wurde vorgeworfen, dass es versucht, durch die Aufschüttung der künstlichen Inseln die Hoheitsrechte seiner Nachbarländer zu verletzen. Der Streit um Gebietsansprüche zwischen Peking und Washington geht weiter.
China beansprucht im Grunde 80 Prozent des rohstoffreichen Südchinesischen Meeres. Die USA sehen Pekings Ansprüche als illegal an. Sie haben wiederholt Kriegsschiffe in die Region entsandt, was Peking als Provokation betrachtet. Im Juli führten zwei US-Flugzeuge mit ihren Verbündeten im Südchinesischen Meer militärische Übungen durch, was eine wütende Reaktion Pekings auslöste. Für die Anrainerstaaten ist das Südchinesische Meer strategisch und wirtschaftlich sehr wichtig. Auch Brunei, Indonesien, Malaysia, die Philippinen und Vietnam reklamieren Teile des Seegebiets für sich.
Peking geht im Grunde von einem historischen Recht aus, wonach seine Territorialansprüche praktisch das ganze Seegebiet umfasst, insgesamt 350.000 Quadratkilometer und damit größer als Indien. Diese Ansprüche hatte das Schiedsgericht in Den Haag vor etwa vier Jahren für ungültig erklärt. Geklagt hatten die Philippinen, die sich von China bedrängt fühlten. Mittlerweile suchte der neue starke Mann der Philippinen, Rodrigo Duterte, Pekings Nähe, weil er sich vom traditionellen Partner, den USA, distanzieren wollte. Damit verzichtete er auf eine Anklage.
Hier ist anzumerken, dass es an einer anderen Front im Ostchinesischen Meer einen Streit um die Inseln zwischen China und Japan gibt. Der japanische Verteidigungsminister Tarō Kōno sagte kürzlich, dass er sich mit seinem US-Amtskollegen Mark Esper abgestimmt habe, dass die von Japan und China umstrittenen Inseln im Ostchinesischen Meer unter den Sicherheitsvertrag zwischen den USA und Japan fallen.
Die Schifffahrtsstraßen und Taiwan
China hat insbesondere deswegen Territorialansprüche auf weite Teile des Südchinesischen Meeres, weil die strategischen Schifffahrtsrouten wie die Straße von Taiwan durch das Meer verlaufen. Die Vereinigten Staaten haben mehrfach Kriegsschiffe durch die Straße von Taiwan fahren lassen. Die Volksrepublik fordert die USA nachdrücklich auf, das "Ein-China-Prinzip" in Bezug auf Taiwan zu respektieren, um die Beziehung der beiden Länder und "den Frieden und die Stabilität in der Straße von Taiwan nicht zu untergraben". Peking sieht Taiwan, das sich 1949 von China abgespalten hatte, als abtrünnige Provinz, die eines Tages wieder mit dem Festland vereinigt werden soll.
China hat bereits mehrfach gedroht, Unabhängigkeitsbestrebungen Taiwans mit militärischer Gewalt entgegenzutreten. Insofern betrachtet Peking ausländische Schiffe in der Meerenge als Verletzung seiner Souveränität, während die USA die Straße von Taiwan als "internationales Gewässer" bezeichnen.
Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen hat vor Kurzem ihren ersten offenen Appell an den chinesischen Führer Xi Jinping gerichtet, als das chinesische Militär in mehreren Militärübungen über den Golf von Bohai, das Gelbe Meer sowie das Ost- und Südchinesische Meer seine Muskeln spielen ließ, so Asia Times am 28. August.
Die Konfliktrisiken erfordern ein sorgfältiges Management aller Beteiligten. Wir erwarten und hoffen, dass Peking im Einklang mit seinen Verpflichtungen als regionale Großmacht weiterhin Zurückhaltung üben wird ", sagte Tsai.
Die Vereidigung von Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen für ihre zweite Amtszeit im Mai hatte den Konflikt zwischen China und Taiwan weiter angeheizt. In ihrer Vereidigungsrede forderte Tsai seinerzeit die Volksrepublik zu einer friedlichen Koexistenz und Chinas Staatschef Xi Jinping zu einem Dialog auf. Dabei bekräftigte sie die Unabhängigkeit Taiwans von China, was für Aufregung bei der chinesischen Führung sorgte. China pocht auf "ein Land, zwei Systeme" im Fall Taiwans. Die USA gratulierten Tsai zur Vereidigung für ihre zweite Amtszeit und zogen damit weiteren Ärger mit Peking auf sich.
Am 29. August besuchte der tschechische Senatspräsident Taiwan. China kritisierte die tschechische Delegation wegen der Reise auf die Insel und drohte mit Konsequenzen. Tschechien und Taiwan wollen die Wirtschaftskooperation ausbauen, so heißt es im Spiegel.
China warnte, dass einige tschechische Politiker die nationalen Interessen ihres Landes für "ihren kurzfristigen politischen Gewinn" opfern würden. "Die Behörden der USA und der separatistischen Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) in Taiwan nutzen die Meinungsspaltungen in der Tschechischen Republik, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen und die Beziehungen zwischen China und Tschechien zu schädigen", so Global Times am 26 August. Der chinesische Staatsrat und Außenminister Wang Yi sagte auch am 31. August bei seinem Besuch in Deutschland, dass jeder, der das Ein-China-Prinzip in Frage stelle, einen hohen Preis zahlen werde.
Chinesischer Traum und die multipolare Weltordnung
China wird genauso wenig eine Unabhängigkeit Taiwans tolerieren wie eine US-Präsenz und Militärübungen im Südchinesischen Meer. Viele Experten befürchten längst, dass ein Unfall mit Flugzeugen oder Schiffen der beiden Großmächte zu einem Konflikt ausarten könnte. Die USA und China steuern insofern auf eine Phase der Kriegsgefahr zu. Bereits mehrmals kam es zu gefährlichen Annäherungen und Kollisionen im Südchinesischen Meer.
Die Raketenabschüsse beim Militärmanöver am 27. August unterstrich Pekings wachsende Bereitschaft, seine militärischen Muskeln spielen zu lassen und sogar eine Konfrontation mit den USA in den angrenzenden Gewässern zu riskieren, was zu einer Besorgnis über versehentliche Zusammenstöße und eine bewaffnete Eskalation im Südchinesischen Meer führt. Auf seiner diplomatischen Tour durch Europa warnte kürzlich Chinas Außenminister Wang Yi in Rom vor einem neuen Kalten Krieg und betonte, dass der Beginn eines neuen Kalten Krieges den Lauf der Geschichte umkehren und die ganze Welt entführen werde.
Pompeo hatte einst in einer Erklärung geschrieben, dass die Welt China nicht erlauben werde, das Südchinesische Meer als sein maritimes Imperium zu betrachten. Amerika stehe hinter seinen südostasiatischen Partnern und Alliierten, um deren "souveräne Rechte" zu schützen. Für die USA steht die freie Schifffahrtsnavigation in der Region an erster Stelle. Die geostrategische Bedeutung des Südchinesischen Meeres kann kaum überschätzt werden: Ein Drittel des weltweit verschifften Rohöls wird durch dieses Meer transportiert, ebenso rund ein Fünftel des Welthandels.
Die USA als "Weltmacht" zeigen mit der proklamierten "freedom of navigation exercises", dass sie sich das Recht herausnehmen, jederzeit und überall in internationalen Gewässern zu kreuzen. In den letzten Wochen haben die USA den militärischen Druck erhöht, um zu zeigen, dass ihre Kriegsmarine trotz des Coronavirus-Ausbruchs voll einsatzfähig ist. Die Tatsache ist jedoch, dass die USA dramatische Image-Einbußen im Zuge der Corona-Pandemie in der Welt verzeichnet hatten. Die transatlantische Beziehung war bereits vor der Pandemie angesichts der "America First"-Strategie des US-Präsidenten Donald Trump geschwächt. Die Pandemie beschleunigt allerdings Trends in Richtung der Deglobalisierung, die bereits vorher in vollem Gange waren.
Im asiatisch-pazifischen Raum prallen nun ein amerikanisch dominiertes und ein chinesisches Ordnungsmodell aufeinander, mit anderen Worten eine von den USA dominierte Weltordnung und eine asiatisch-raumbezogene Regionalordnung. Die Corona-Krise hat diese Tendenz noch verstärkt. So nutzt China derzeit die Ablenkung des Westens durch die Pandemie aus, um Taiwan verstärkt militärisch unter Druck zu setzen.
In China wächst das Militärbudget seit Jahren schneller als das Bruttoinlandsprodukt. Xi Jinping strebt die Umsetzung des "Chinesischen Traums" an, wonach er für die kommenden Jahrzehnte die "Wiederangliederung verlorener Gebiete" anvisiert. Dieser Ansatz steht der Ordnungsvorstellungen der USA gegenüber. Peking betrachtet das Südchinesische Meer als den integralen Bestandteil des chinesischen Kulturraums, der von der amerikanischen Weltvorstellung als fremdem Akteur in der Region verschont bleiben sollte. Somit gleiten die amerikanisch-chinesischen Beziehungen im Südchinesischen Meer immer mehr in eine große Konfrontation ab.
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