Lateinamerika

Prozess gegen Kartellchef "El Chapo": Hochrangige Staatsvertreter in Drogenschmuggel involviert?

Im Rahmen des Verfahrens gegen den mexikanischen Kartellchef Joaquín Guzmán ("El Chapo") kommen immer mehr Fakten ans Licht, die eine Verwicklung staatlicher Stellen in den Drogenhandel belegen. In den Drogenschmuggel in die USA sollen sogar Ex-Präsidenten involviert gewesen sein.
Prozess gegen Kartellchef "El Chapo": Hochrangige Staatsvertreter in Drogenschmuggel involviert?Quelle: Reuters © Tomas Bravo/Reuters

von Maria Müller 

Seit Wochen überstürzen sich in Lateinamerika und den USA die Meldungen über Bestechungsmillionen aus der Drogenwelt, die in die Taschen von Präsidenten, Militärs und hohen Polizeibeamten wanderten. Auch Mitarbeiter der DEA, der US-amerikanischen Agentur zur Drogenbekämpfung, und selbst Interpol sollen aktiv oder passiv mitgeholfen haben, tonnenweise Kokain aus Kolumbien und Mexiko in die USA zu befördern.

Solche Informationen kommen seit Beginn des Prozesses in New York gegen Joaquín "El Chapo" Guzmán, den Chef des mexikanischen Sinaloa-Kartells, ans Tageslicht. Joaquín Archivaldo Guzmán Loera wurde dort in erster Instanz zu lebenslänglich verurteilt, weil er in 25 Jahren über 155 Tonnen Kokain in die USA exportierte.

Mexikos oberster Sicherheitsbeauftragter Genaro García Luna wurde im Dezember verhaftet und steht heute vor dem gleichen New Yorker Gericht wie Joaquín "El Chapo" Guzmán. Als er vor 20 Jahren den Krieg gegen das organisierte Verbrechen unter Einsatz der Streitkräfte propagierte, soll er bereits mehrere Millionen Dollar Schmiergelder aus der Drogenwelt erhalten haben. Im Laufe der Jahre seien es insgesamt 50 Millionen gewesen. Dieser Krieg verursachte in Mexiko über 250.000 Todesopfer, darunter 27.000 Kinder und Jugendliche. Rund 10.000 Kinder und Jugendliche sind verschwunden.

Vor allem die Kronzeugenregelung motivierte bis jetzt 14 hochkarätige Verurteilte aus dem Drogenmilieu auszupacken, um ihre Gefängnisstrafen runterzuhandeln. Angesichts der zahllosen Morde und Menschenrechtsverbrechen dieser Täter verwundern ihre relativ niedrigen Strafen durch die US-Justiz. Einer der Chefs des Sinaloa-Kartells, der "König Zambada", wurde sogar am 15. Februar wegen seiner umfassenden Mitarbeit im Prozess freigelassen. 

Die politische Prominenz Mexikos steht im Rampenlicht der Untersuchungen

Mehrere bereits Verurteilte lieferten unter Eid mit zahlreichen Details angereicherte Berichte, nach denen sie selbst oder namentlich identifizierte Mittelsmänner den früheren Präsidenten Mexikos Fox, Calderon und Peña Nieto über hundert Millionen Dollar überbrachten. Allerdings hat die Prozessführung eine Eigenheit, die in jedem anderen Land der Welt als nicht rechtsstaatlich denunziert würde. Die Verteidigung darf nur eine begrenzte Zahl von Fragen stellen, wenn es um Korruption geht. In manchen Fällen bleiben die Prozessakten versiegelt, ihr Inhalt ist geheim.

Angesichts der horrenden Beschuldigungen von früheren Präsidenten seines Landes forderte der gegenwärtige Präsident Mexikos, Andrés Manuel López Obrador, dass alle hohen Beamten sowohl Mexikos als auch der Vereinigten Staaten schonungslos angezeigt werden müssen.

Es gab Drogen-Operationen, die gemeinsam durchgeführt wurden. Nicht nur mexikanische Beamte, sondern auch Beamte und Regierungsautoritäten der Vereinigten Staaten waren damit befasst”, so López Obrador.

Er sagte, dass die Untersuchungen das Verhältnis zwischen Mexiko und den USA verändern könnten.

Alles über den Kampf gegen den Drogenhandel, den Waffenhandel und das organisierte Verbrechen muss schonungslos aufgeklärt werden. Diesmal darf es keine Deals im Keller der Macht geben.

Die Staatsanwaltschaft von New York verhandelt gegenwärtig mit García Luna. Er will ein Gerichtsverfahren und damit eine Verurteilung verhindern. Die Preisgabe seines umfassenden Wissens über internationale Mittäter auf hohen Posten von Regierungen, Militärs und Polizei könnte er dafür in die Waagschale werfen.

Mexikos Ex-Präsidenten weisen die Anschuldigungen zurück

Ex-Präsident Fox bestritt in einem Interview mit CNN jede Verbindung mit den Anschuldigungen.

Ich habe niemals finanzielle Angebote von Drogenleuten erhalten und hätte sie auf jeden Fall zurückgewiesen. Die Kronzeugenregelung ist die eigentliche Ursache der Anschuldigungen gegen mich.

Ähnlich reagierte Vicente Calderón auf seiner Twitter-Seite:

Weder Guzmán noch das Sinaloa-Kartell noch irgendjemand sonst hat Zahlungen an mich überbracht.

Auch Peña Nieto wies die Behauptung des Rechtsanwalts von Joaquín "El Chapo" Guzmán über den Erhalt von 1,8 Millionen US-Dollar für seine Wahlkampagne 2012 zurück. Gegenwärtig liegt jedoch eine Strafanzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft Mexikos gegen Peña Nieto vor.

Weitere Untersuchungen sind indessen gegen die vormaligen mexikanischen Präsidenten im Gange. In ihrer Regierungszeit sollen hohe Beamte den Privatfirmen von García Luna aus Staatsquellen illegale Gelder in Millionenhöhe überwiesen haben. Gegen keinen der drei Prominenten liegt bisher ein Haftbefehl vor.

Sondereinheit unter Führung der DEA und des CIA war infiltriert

Nach deklassifizierten Dokumenten der Obama-Regierung arbeitete García Luna, der berüchtigte Sicherheitschef Mexikos, an höchster Stelle in einer zwischenstaatlichen Geheimdienst- und Polizeiorganisation der USA und Mexikos unter Leitung der DEA und des CIA. Zu deren Aufgaben gehörten taktische Operationen, um das organisierte Verbrechen zu infiltrieren und es von innen heraus aufzurollen. Bereits damals war García Luna Komplize der Drogenkartelle und konnte Top-Secret-Informationen an sie weiterleiten. Mehrere eingeschleuste Geheimdienstagenten wurden dann erschossen. Die Hinweise von oben führten auch dazu, die blutigen Konkurrenzkämpfe der Mafias untereinander anzuheizen.

Die Sondereinsatzgruppe war Teil der Nationalen Organisation zur Drogenkontrolle (ONDCP), die direkt dem US-Präsidenten unterstand. Generäle, Geheimdienstspitzen und regionale Polizeichefs waren auf der Seite Mexikos beteiligt, von denen einige im Laufe der Jahre als korrupte Mittäter der Kartelle dingfest gemacht wurden. Sie kamen meist nach wenigen Jahren wieder auf freien Fuß.  

Schwager von Kolumbiens Ex-Präsident Uribe sagt gegen El Chapo aus

Eine der früheren Schlüsselfiguren des Sinaloa-Kartells macht heute im Prozess gegen "El Chapo" Aussagen. Es handelt sich um Alexander Cifuentes, Schwager des Ex-Präsidenten Kolumbiens (2002-2010) und heutigen Senators Álvaro Uribe. Dolly, die Schwester von Cifuentes, war mit dem verstorbenen Bruder Uribes, Jaime Alberto Uribe Vélez, über 15 Jahre lang verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Die Familie Cifuentes-Villa ist in Kolumbien als der "unsichtbare Klan" bekannt. Die USA halten sie für die wichtigste strategische Verbindung des Sinaloa-Kartells in Kolumbien.

Laut Angaben der DEA hätte diese kriminelle Vereinigung in enger Zusammenarbeit mit Joaquín "El Chapo" Guzmán zwischen 2009 und 2011 rund 30 Tonnen Kokain in die USA verbracht. Geldwäscheoperationen in Kolumbien, Ecuador, Panama, Uruguay und Mexiko gehörten ebenfalls zu ihrer Praxis. Alexander Cifuentes und Dolly wurden 2014 in Mexiko verhaftet und 2015 in die USA ausgeliefert. Auch sie bemühen sich nun um einen Kronzeugen-Straferlass. Der kolumbianische Spitzenpolitiker Álvaro Uribe behauptete stets, diesen Teil seiner Familie nicht zu kennen.

Álvaro Uribe soll Export von zehn Tonnen Kokain ermöglicht haben

Just zum Zeitpunkt der brisanten Aussagen im Prozess gegen Guzmán haben US-amerikanische und britische Medien Informationen über das direkte, persönliche Mitwirken von Álvaro Uribe am Export von zehn Tonnen Kokain aus Kolumbien nach Mexiko veröffentlicht. In den Berichten kommt der ehemalige Agent der kolumbianischen Ermittlungsabteilung der Staatsanwaltschaft (CTI), Richard Maok Riaño, zu Wort. Aufgrund seiner Recherchen in Kolumbien erhielt er mehrfach Todesdrohungen und befindet sich heute im kanadischen Exil.

Laut Maok soll Álvaro Uribe zwischen 2006 und 2008 eine Million Dollar vom Sinaloa-Kartell erhalten haben – als Preis, um den Transport von zehn Tonnen Kokain vom internationalen Flughafen von Bogotá nach Mexiko zu ermöglichen.

Der Eigentümer der kolumbianischen Frachtflugzeuggesellschaft Air Cargo Lines, Raúl Jiménez, soll darüber persönlich mit Álvaro Uribe verhandelt haben. Uribe veranlasste damals den Bau einer Sondergefrierhalle am Flughafen von Bogotá, um die heiße Ware von "El Chapo" zu lagern. Des Weiteren autorisierte Uribe die Ein- und Ausreise eines Frachtflugzeuges DC-8 ohne Zollkontrolle. Das Flugzeug hätte sich wegen technischer Mängel nicht im Luftraum des Flughafens bewegen dürfen. Mit dieser DC-8 hat man die Kokainladungen nach Mexiko transportiert.

Auch der Agent der US-Drogenvollzugsbehörde (DEA), Emir Abreu, habe von diesen Kokainladungen aus Kolumbien gewusst, jedoch nichts dagegen unternommen. Die Angaben stammen von einem Ex-Polizisten und Ex-Sicherheitschef der Frachtflugzeuggesellschaft Air Cargo Lines. Er behauptete auch, persönlich Zeuge von Treffen zwischen Jiménez und Abreu gewesen zu sein.

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