Lateinamerika

Ein Thinktank schlägt dem Pentagon vor, wie es Venezuela angreifen sollte

Eine der einflussreichsten US-amerikanischen Denkfabriken gibt ihre Einschätzung über einen Militäreinsatz in der Karibik ab. Was im Ton bewusst neutral gehalten ist, und Krieg operativ erklärt, dient primär nur einem Zweck: Entscheidungen vor außenpolitischen Gremien in den USA und bei Verbündeten zu legitimieren.
Ein Thinktank schlägt dem Pentagon vor, wie es Venezuela angreifen sollte© urheberrechtlich geschützt

Von Misión Verdad

Das Center for Strategic & International Studies (CSIS) hat einen Bericht veröffentlicht, der eine technische und kalkulierte Einschätzung des US-Militäreinsatzes in der Karibik seit August 2025 enthält.

Das CSIS ist einer der einflussreichsten Thinktanks für nationale Sicherheit in Washington mit engen Verbindungen zum Pentagon, zum Außenministerium und zum Militärisch-Industriellen-Komplex.

Der Ton ist bewusst neutral, aber der analytische Rahmen offenbart eine für das US-Establishment typische operative Logik: Krieg als Problem von Streitkräftemanagement, Eskalationsschwellen und Siegtheorien.

Der Bericht kann zwar als Propagandadokument bezeichnet werden, aber genauer gesagt handelt es sich um eine Vorbereitung des kognitiven Terrains, nicht um die venezolanische Öffentlichkeit zu überzeugen, sondern um Entscheidungen vor außenpolitischen Gremien in den USA und bei Verbündeten zu legitimieren.

Dies ist eines der Hauptziele der US-amerikanischen Denkfabriken bei der Veröffentlichung ihrer Berichte, insbesondere solcher wie die des CSIS, also von Organisationen, die fest in den Entscheidungsstrukturen Washingtons verankert sind.

Die Daten: selektive Genauigkeit und strukturelle Auslassungen

Das CSIS rühmt sich damit, "Daten" zu verwenden, und liefert tatsächlich konkrete Zahlen über den US-Einsatz:

  • 2.200 Marines der 22. Marine Expeditionary Unit
  • 10 F-35-Kampfjets in Puerto Rico
  • 150 Mitglieder der Special Operations Forces auf der "Ocean Trader"
  • 4.500 Besatzungsmitglieder auf der "USS Gerald R. Ford" plus 960 auf ihren Begleitschiffen
  • rund 170 Tomahawk-Raketen, die mit der Ankunft der Carrier Strike Group in das Gebiet gebracht werden sollen

Der Bericht enthält auch Daten über die Einsatzbereitschaft der Bolivarischen Nationalen Streitkräfte. Es handelt sich um plausible Zahlen, die aus offenen Quellen, Satellitenbeobachtungen, offiziellen Mitteilungen und Aufzeichnungen über Luft- und Seeverkehr stammen. Insgesamt gibt es keine Hinweise auf Fälschungen, wohl aber auf eine selektive Auswahl: Das CSIS lässt systematisch alle Daten weg, die das Bild der absoluten Asymmetrie verkomplizieren könnten:

  • Der Stand bei den elektronischen Kriegssystemen Venezuelas, die die Präzision von GPS-gesteuerter Munition wie Joint Direct Attack Munition beeinträchtigen könnten, wird nicht erwähnt.
  • Die Fähigkeit zur Streuung und Tarnung kritischer Anlagen (Kommandozentralen, Radaranlagen, SAM-Batterien), eine Taktik, die aus den Konflikten in der Ukraine und Syrien gelernt wurde, wird nicht thematisiert.
  • Die Anfälligkeit von US-Oberwasserschiffen – speziell Flugzeugträgern – gegenüber asymmetrischen Bedrohungen wie Anti-Schiffs-Raketen, See-Drohnen oder intelligenten Minen wird nicht erörtert.

Der Bericht nimmt eine uneingeschränkte Seehoheit als gegeben an, als hätte das Konzept US-Marine namens "Littoral operations in contested environments" (LOCE/*) nicht bereits die Grenzen der Carrier Strike Group gegenüber kostengünstiger Anti-Access Area Denial (A2AD/**) anerkannt.

Darüber hinaus behandelt das CSIS die "150 Special Operations Forces auf der 'Ocean Trader'" als neutrale Information, ohne zu kontextualisieren, dass dieses Schiff – ein umgebautes Logistik-Versorgungsschiff – seit Jahrzehnten für verdeckte Operationen in Afrika und der Karibik eingesetzt wird. Sein Einsatz ist strategisch: Er erleichtert Operationen der Einflussnahme, Sabotage und Unterstützung nichtstaatlicher Akteure, ohne eine diplomatische Spur zu hinterlassen.

Wir haben es also nicht mit einem Aufgebot für einen "konventionellen Krieg" zu tun. Es ist ein hybrider Krieg in Reinform.

Das CSIS erkennt dies implizit an, indem es erwähnt, dass die eingesetzten Streitkräfte für eine Invasion nicht ausreichen, aber für "Luft- und Raketenangriffe" ausreichend sind.

Diese Unterscheidung ist entscheidend: Die Schwelle des "Realistischen" ist nicht mehr die Invasion, sondern die Ausübung von massivem Druck aus der Luft und systematische Destabilisierung.

Die Metapher vom "Bogenschützen mit gespanntem Bogen"

Eine der aufschlussreichsten Metaphern des Berichts ist die vom "Bogenschützen mit gespanntem Bogen": Die USA bereiten sich nicht mehr vor, sie treffen Entscheidungen.

Die Ankunft der Gerald R. Ford Carrier Strike Group (CSG-12) der US Navy – eines Kampfverbandes, der für die Machtprojektion in Szenarien hoher Intensität konzipiert ist – wird als symbolischer "point of no return" dargestellt:

"Schlecht strukturiert für die Drogenbekämpfung, ideal für Angriffe auf Venezuela."

Diese Deutung ist nicht unschuldig: Das CSIS weist darauf hin, dass der Einsatz bereits über seine offizielle Rechtfertigung (Bekämpfung des Drogenhandels) hinausgeht und in eine Phase der gewaltsamen Abschreckung eingetreten ist, zumindest in der Karibik, während er im östlichen Pazifik fortgesetzt wird.

In diesem Sinne ist das Ziel – noch – nicht, Präsident Maduro mit Gewalt zu stürzen – weil es keine Möglichkeit gibt –, sondern die Voraussetzungen zu schaffen, damit er unter dem Druck zusammenbricht. Der Bericht macht dies deutlich: Die ersten Angriffe würden "dazu dienen, ihre Wirkung zu testen".

Es handelt sich um eine Logik des "Shock and Assess" (Schock und Bewertung), nicht des "Shock and Awe" (Schock und Ehrfurcht, wie im Irak).

Hier offenbart das CSIS seine Nähe zur Planung des Pentagons:

  • Es werden drei Zielgruppen in Betracht gezogen: Kartelle (rechtliche Rechtfertigung), die Regierung Maduro (politisches Ziel) und Einrichtungen mit doppeltem Verwendungszweck (Brücke zwischen beiden).
  • Priorität haben Ziele, die die interne Kontrolle aufbrechen: Sicherheitskräfte, militärische Telekommunikation, Kasernen.
  • Zivile Wirtschaftsziele (Raffinerien, Energie) werden nicht aus humanitären Gründen gemieden, sondern aus Kalkül: Ein "kurzer Krieg" erfordert einen praktikablen "Tag danach".

Es ist bemerkenswert, wie das CSIS Angriffe auf zivile Infrastruktur nicht aus ethischen Gründen ablehnt, sondern weil "das BIP zwischen 2013 und 2020 bereits um 80 Prozent geschrumpft ist". Das heißt, nach seiner eigenen Darstellung gibt es nichts zu zerstören, was nicht bereits zerstört ist, und was übrig bleibt, ist für den "Übergang nach Maduro" notwendig.

Die strukturellen Verzerrungen der CSIS-Analyse

Obwohl der Bericht ideologische Formulierungen vermeidet, lassen seine Annahmen tief verwurzelte Verzerrungen erkennen:

  • Technokratische Sichtweise. Der Krieg wird auf Feuerkraft, Sensorreichweite und Anzahl der Flugzeugträger reduziert. Faktoren wie Moral, sozialer Zusammenhalt, Widerstand der Bevölkerung oder die Mobilisierungsfähigkeit der Regierung werden unterschätzt.
  • Militärischer Determinismus
  • Bewusste Unterschätzung von Dritten. Russland "kann nicht viel bieten", heißt es im Bericht; China wird gar nicht erwähnt. Das ist kein Fehler, sondern strategisches Wunschdenken. Das CSIS muss glauben, dass Venezuela ein beherrschbares regionales Problem ist und keine globale Konfrontationsfront. Diese Sichtweise ist jedoch strategisch falsch, denn wenn Moskau oder Teheran beispielsweise beschließen würden, direkt Dienstleistungen und Fachwissen vor Ort bereitzustellen, würden sich die Kosten für die USA drastisch ändern.

Es gibt auch eine kritische Auslassung: Die öffentliche Meinung in den USA wird nicht analysiert. Das CSIS geht davon aus, dass Trump ohne innenpolitische Kosten eskalieren kann, aber die Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der US-Amerikaner militärische Interventionen in Lateinamerika ablehnt, insbesondere nach Afghanistan.

Eine langwierige Luftkampagne mit Opfern (wenn auch minimalen) oder Fehlern der Geheimdienste (zivile Ziele) könnte zu innenpolitischem Widerstand führen, den selbst Trump nicht ignorieren könnte.

Das Dokument vom Übergang zwischen Zwangsmaßnahmen und Krieg

Der CSIS-Bericht normalisiert den Krieg; er formuliert keine Prophezeiung. Es handelt sich um ein Handbuch, um mit mehr oder weniger offenen Augen, aber mit dem Finger am Abzug Entscheidungen zu treffen.

Sein Wert liegt in seiner technischen Transparenz: Er legt die tatsächlichen Grenzen des aktuellen Einsatzes (unzureichend für eine Invasion, ausreichend, um massiv Druck auszuüben) und die Eskalationsschwellen dar (erste Angriffe, dann Abwägen, dann längere Luftangriffe) sowie die politischen Fallstricke des "Tages danach" (ein Faktor, bei dem sie nicht einmal eine Vermutung anstellen, da es keine politischen Garanten gibt).

Die Gefahr für die USA liegt in dem, was verschwiegen wird: der venezolanischen Handlungsfähigkeit, dem gesellschaftlichen Widerstand, der Fähigkeit zur Improvisation in Zeiten der Knappheit und der Tatsache, dass keine Regierung allein durch Druck von außen zusammenbricht, wenn sie ihren inneren Zusammenhalt und die Unterstützung der Bevölkerung bewahrt.

Das CSIS versteht Krieg als eine Kette rationaler Entscheidungen. Aber in Venezuela, wie an so vielen anderen Orten auch, wird Geschichte nicht nur mit Raketen und F-35 geschrieben, sondern auch mit Loyalität, Willenskraft und strategischem Denken.

Das sind Variablen, die in keine "Tabelle" der Kräfte passen.

Übersetzt aus dem Spanischen von Olga Espín.

(*) Littoral Operations in a Contested Environment (LOCE) sind laut US-Marine "ein Konzept, das die integrierte Anwendung der Fähigkeiten der Marine und des Marine Corps beschreibt, um neue Bedrohungen in Küstengebieten zu bewältigen, die sich hinsichtlich ihrer operativen Tiefe, Komplexität und Tödlichkeit rasch ausweiten". 

(**) Anti-Access Area Denial (A2AD) ist die Fähigkeit, den Zugang und/oder die Bewegungsfreiheit gegnerischer Einheiten zu Lande, zu Wasser und in der Luft in einem ausgewählten Operationsgebiet mit militärischen Mitteln zu unterbinden, mindestens aber zu erschweren.

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