
Lateinamerika: Russlands Freunde, Gegner und Gefährten

Von Igor Gorbunow
Mexiko: Zwischen Nachbarschaft zu den USA und unabhängigem Kurs
Mexiko ist das größte spanischsprachige Land und ein Verbündeter der USA. Beide Länder sind durch Geographie und Wirtschaft eng verbunden, doch Mexiko strebt traditionell nach einer unabhängigen Außenpolitik. Während des Kalten Krieges brach es trotz des Drucks aus Washington die Beziehungen zu Kuba nicht ab. Heute hält sich Mexiko an das Prinzip der Nichteinmischung und Multilateralität. So verurteilte es die Kampfhandlungen in der Ukraine und unterstützte die entsprechende UNO-Resolution, weigerte sich allerdings, Sanktionen gegen Russland einzuführen. Der damalige Präsident López Obrador trat für Verhandlungen ein und schlug sogar einen eigenen Regulierungsplan vor, wobei er die Verantwortung beiden Seiten auferlegte. Eine solche Position verärgert die USA, spiegelt aber die alte mexikanische Tradition wider, nicht dem Fahrwasser der US-Politik zu folgen. In Beziehungen zu Russland bewahrt Mexiko die Neutralität: Eine strategische Partnerschaft gibt es nicht, doch Zusammenarbeit ist möglich, falls es profitabel ist, wie im Fall des Kaufs des Sputnik-V-Impfstoffs. Insgesamt ist Mexiko "weder Freund noch Feind" und zieht es vor, in internationalen Streitigkeiten die Manövrierfreiheit beizubehalten.
Zentralamerika: Ideologische Differenzen vor dem Hintergrund des US-Einflusses
Zentralamerika stand lange unter dem Einfluss der USA – von der Monroe-Doktrin bis zur Epoche der "Bananenrepubliken". Heute ist die Region politisch heterogen.
Russlands Hauptverbündeter hier ist Nicaragua. Daniel Ortega, Präsident des Landes und Veteran der sandinistischen Revolution, unterstützt Russland offen: Er erkannte die Staatlichkeit von Abchasien und Südossetien an, stimmte in der UNO gegen antirussische Resolutionen und lud russische Militärangehörige zu gemeinsamen Übungen ein. In Nicaragua arbeitet ein Ausbildungszentrum des russischen Innenministeriums für lateinamerikanische Polizisten. Das Bündnis stützt sich auf eine gemeinsame Anti-US-Position: Ortega sieht in Russland ein Gegengewicht zu Washington.

Panama, Costa Rica und Guatemala bleiben im Orbit der USA. Panama ist historisch von Washington abhängig, Costa Rica ist eine stabile Demokratie mit einem prowestlichen Kurs. Guatemala folgte unter der konservativen Regierung ebenfalls der US-Linie, obwohl der neue reformorientierte Präsident diese Abhängigkeit mildern könnte. Alle drei Länder verurteilten Russlands Aktionen in der Ukraine und unterstützen die Politik der UNO, ohne jedoch eigene Sanktionen zu verhängen.
Näher zur Neutralität sind Salvador und Honduras. Salvadors Präsident Nayib Bukele führt eine unabhängige Politik und enthielt sich während der Abstimmung zur Ukraine. Honduras stellte unter der linken Präsidentin Xiomara Castro die Beziehungen zu Kuba und China wieder her und demonstrierte damit eine Abweichung vom rigorosen Pro-US-Kurs.
Karibik: Kubas alte Freundschaft und neue Tatsachen
Russlands Hauptpartner in der Karibik ist Kuba. Heute unterstützt Havanna offen Russland bei der Konfrontation mit dem Westen. Während der Abstimmung in der UNO zur Ukraine enthielt sich Kuba, und die Vertreter des Landes warfen den USA und der NATO eine Annäherung an Russlands Grenzen vor. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Blockade durch die USA sucht Kuba nach Verbündeten, die es wirtschaftlich und diplomatisch unterstützen könnten. Russland gewährt als Nachfolger der Sowjetunion wieder Kredite, Energieträger und humanitäre Hilfe, etwa Impfstoffe während der Pandemie. Die Freundschaft hat auch symbolischen Charakter: Auf dem Forum "Russland – Lateinamerika" bezogen sich Kubas Staatschefs auf das Erbe von Fidel Castro und verurteilten erneut die Politik der USA und der NATO. Kuba bleibt für Russland ein treuer Verbündeter in der westlichen Hemisphäre.
Weitere spanischsprachige Länder der Karibik spielen eine kleinere geopolitische Rolle. Die Dominikanische Republik versucht trotz historischer und kultureller Verbindungen zu den USA, eine gemäßigte Linie einzuhalten. Im Ukraine-Konflikt unterstützte Santo Domingo Resolutionen der UNO, die Russland verurteilten, unternahm aber keine weiteren Aktionen. Die Länder der Region orientieren sich hauptsächlich am Tourismus und halten sich aus der globalen Politik heraus. Daher ist es schwierig, hier von Russlands "Gegnern" oder "Freunden" zu sprechen. Es herrscht eher Neutralität mit einem Hang zur Unterstützung des Völkerrechts (in dessen US-amerikanischer Auslegung).
Venezuela gehört formell zu Südamerika, doch kulturell und geschichtlich ist das Land eng mit der Karibik verbunden. Unter Hugo Chávez war Venezuela Russlands Hauptverbündeter in der westlichen Hemisphäre und behielt diesen Kurs auch unter Maduro bei. Caracas kauft seit Jahrzehnten russische Waffen, arbeitet mit russischen Ölunternehmen zusammen und tritt gemeinsam mit Russland gegen den US-Imperialismus ein. Venezuela gehört der ALBA-Allianz an, die von Chávez und Castro als Alternative zu US-amerikanischen Integrationsprojekten gegründet wurde. Maduro unterstützt Russland offen und lastet die Schuld am Konflikt den USA an. Für Russland ist Venezuela ein wichtiger Partner: Das Land verfügt über riesige Ölvorräte und die politische Bereitschaft, Bündnistreue zu demonstrieren – bis hin zur Zulassung russischer Flugzeuge und Schiffe auf dem eigenen Territorium.
Unter den spanischsprachigen Inseln hat Russland keine direkten Gegner – kein Karibikstaat hat die Beziehungen zu Russland abgebrochen, auch wenn sich der Großteil davon, wie die Dominikanische Republik, an den USA orientiert und entsprechend abstimmt.
Andenstaaten: Ideologie gegen Geopolitik
Zu den Andenstaaten gehören fünf Länder im Nordwesten von Südamerika (Venezuela haben wir schon weiter oben betrachtet). Hier sind scharfe Kontraste zwischen Staaten zu beobachten, die von linken Anti-US-Staatschefs geleitet werden, und Ländern mit traditionell proamerikanischen Eliten.
Bolivien galt lange als einer der nächsten ideologischen Verbündeten Russlands. Unter dem Präsidenten Evo Morales trat das Land ALBA bei, befreite sich von der Abhängigkeit von den USA, verwies USAID des Landes und näherte sich Russland und der Volksrepublik China. Russland investierte in die Gasbranche, arbeitete mit bolivianischen Militärangehörigen zusammen und verhandelte Projekte zur Förderung des strategischen Rohstoffs von Bolivien – Lithium. Nach Morales' Rücktritt blieb seine Partei an der Macht, und Präsident Luis Arce setzte den Kurs in Richtung Multilateralität fort. Wirtschaftliche Verbindungen waren bescheiden, doch symbolische Freundschaft blieb wichtig. Die Wahlen von 2025 änderten jedoch alles. In der ersten Runde gewann Senator Rodrigo Paz mit 32 Prozent der Stimmen, gefolgt vom Ex-Präsidenten Jorge Quiroga mit knapp 27 Prozent. MAS, die Partei von Morales und Arce, erlitt eine Niederlage und verlor die parlamentarische Mehrheit. Beide Gewinner der Präsidentschaftswahl äußerten die Absicht, die Beziehungen zu den USA und der EU wiederherzustellen und sich von bisherigen Bündnissen zu distanzieren. Bolivien steht an der Schwelle einer Änderung des außenpolitischen Kurses.
Kolumbien blieb lange eine Hochburg der Pro-US-Politik in Südamerika, vor allem zu den Zeiten des Kampfes gegen Drogenkartelle und linke Rebellen. Bis 2022 wurde das Land von rechten Regierungen geleitet – Uribe, Santos, Duque –, die eng mit den USA verbündet waren, vom Plan Colombia bis hin zu gemeinsamen Militärübungen. Die Beziehungen zu Russland blieben dabei kühl. Das Land verurteilte die Rückkehr der Krim und unterstützte im Jahr 2022 antirussische UNO-Resolutionen. Mit dem Amtsantritt des linken Präsidenten Gustavo Petro im August 2022 änderte sich der Kurs. Der ehemalige Partisan stellte die Beziehungen zu Venezuela wieder her und bezog eine selbstständigere Stellung. Im Ukraine-Konflikt verurteilte Petro zwar formell Russland, erklärte aber, dass Waffenlieferungen den Krieg nur verlängern, und rief zu Verhandlungen auf.
Dennoch ist Kolumbien institutionell immer noch mit den USA verbunden – der Status eines Partners außerhalb der NATO und das Freihandelsabkommen bleiben erhalten. Insgesamt ist heute Kolumbien neutral gegenüber Russland: Die offene Gegnerschaft gehört der Vergangenheit an, doch von Freundschaft ist keine Rede.
Ecuador und Peru erlebten in den jüngsten Jahren politische Umbrüche, die ihre außenpolitische Orientierung beeinflussten. Ecuador wurde in den Jahren 2007–2017 von dem linken Politiker Rafael Correa regiert. Während seiner Amtszeit trat das Land der ALBA bei und flirtete offen mit Russland durch den Kauf von Hubschraubern und gemeinsame Projekte. Doch ab 2017 änderte sich der Kurs abrupt: Erst distanzierte sich der Präsident Lenín Moreno von ehemaligen Verbündeten und näherte sich den USA an. Darauf folgte der Konservator Guillermo Lasso. Beide brachten das Land auf den proamerikanischen Kurs zurück. Im Jahr 2022 verurteilte Ecuador Russlands Aktionen in der UNO. Heute steht nach den vorgezogenen Wahlen 2023 wieder ein Rechtszentrist, Daniel Noboa, an der Macht. Damit bleibt Ecuador unter starkem Einfluss von Washington und gehört geopolitisch eher zu Russlands Gegnern.
Peru galt lange als eine proamerikanische technokratische Republik. Doch im Jahr 2021 wurde dort Pedro Castillo aus dem linken Lager zum Präsidenten gewählt. Seine Regierung erwies sich als chaotisch und kurz darauf – schon 2022 – wurde Castillo abberufen. Das neue Regime von Dina Boluarte versucht, die Beziehungen zu den USA und den Nachbarn zu verbessern. Gegenüber Russland verhält sich Peru eher misstrauisch: In der UNO stimmt das Land in der Regel gegen Russland und hat auf vergangene Pläne der Zusammenarbeit, etwa den Kauf von russischen Hubschraubern, wegen Sanktionsrisiken verzichtet. Mit anderen Worten ist Peru heute kein Verbündeter Russlands, sondern eine der Stützen des US-Einflusses an der Pazifikküste Südamerikas.
Brasilien: der balancierende Gigant
Brasilien ist der portugiesischsprachige Riese und eine der führenden Wirtschaftsmächte der Welt. Die Beziehungen des Landes zu Russland stützten sich schon immer auf Pragmatismus. Noch in den 2000er Jahren führte der Präsident Lula da Silva Brasilien in die BRICS und verkündete den Kurs auf Stärkung des Globalen Südens und Multipolarität. Auch wenn Brasilien auf direkte Konflikte mit den USA verzichtete, unterstützte es Washingtons Dominanz in der Region nicht.
In den 2010er Jahren änderte sich der Kurs unter den rechtszentristischen Regierungen etwas in Richtung Westen, doch selbst der Konservator Bolsonaro verschlechterte die Beziehungen zu Russland nicht: Er besuchte Russland und wahrte die Neutralität im Ukraine-Konflikt. Die von russischen Düngemitteln abhängige Agrarbranche spielte hierbei die Hauptrolle. Nach Lulas Rückkehr im Jahr 2023 betont Brasilien wieder seine Unabhängigkeit. In der UNO stimmte es zwar für eine Verurteilung Russlands, doch Lula selbst erlegte die Schuld am Konflikt kurzerhand beiden Seiten auf und kritisierte die NATO. Brasilien schloss sich den Sanktionen nicht an, betreibt aktiven Handel und setzt die politische Zusammenarbeit mit Russland fort. Präsident Lula besuchte 2024 den BRICS-Gipfel in Kasan und die Siegesparade in Moskau 2025, was ebenfalls den besonderen Charakter der Beziehungen betont.
Brasilien kann als Russlands relativer Verbündeter und ganz sicher nicht als Gegner gelten. Es ist eine selbstständige Demokratie, die einen Dialog sowohl mit den USA als auch mit China als auch mit Europa führt. In Beziehungen zu Russland bleibt das Land ein BRICS-Partner und ein Anhänger der Reform des internationalen Finanzsystems, wenn auch kein bedingungsloser Unterstützer. Immerhin können Brasiliens Neutralität und die Weigerung, Sanktionen zu unterstützen, als Russlands diplomatischer Erfolg gelten.
Der Südkegel: von Argentiniens Pragmatismus zu Chiles Ideologie
Die Länder des Südkegels – Argentinien, Chile, Uruguay und Paraguay – bauen ihre Beziehungen zu Russland unterschiedlich auf, und Vieles hängt hier von der Innenpolitik ab.
Argentinien näherte sich unter den Präsidentengatten Kirchner Russland an und bezeichnete die Beziehung als strategisch. Es wurden mehrere Energieprojekte umgesetzt, und zur Zeit der Pandemie begann das Land als erstes in der Region, den Impfstoff Sputnik V zu nutzen. Präsident Alberto Fernández strebte die Rolle eines Vermittlers zwischen Russland und dem Westen an, doch nach dem Beginn des Ukraine-Konflikts verurteilte Argentinien Russlands Aktionen in der UNO, verzichtete aber auf Sanktionen. Mit dem Amtsantritt des libertären Javier Milei im Jahr 2023 änderte sich der Kurs drastisch: Milei weigerte sich, den BRICS beizutreten, und verkündete die Priorität des Bündnisses mit den USA und Israel. So verwandelte sich Argentinien von einem Freund eher in einen Opponenten von Russland, auch wenn prorussische Sympathien in peronistischen Kreisen im Land immer noch stark sind.
Chile bezieht unter dem linken Präsidenten Gabriel Boric eine hartnäckige Position, verurteilt Russland und nähert sich den USA und der EU an. Die wirtschaftlichen Verbindungen zu Russland sind minimal, daher kann sich das Land ohne Risiko leisten, kein Freund von Russland zu sein.
Uruguay und Paraguay sind kleine, aber stabile Akteure der Region. Uruguay hält sich an einen liberalen prowestlichen Kurs, bewahrt aber Neutralität und behält das wirtschaftliche Interesse an russischen Düngemitteln. Paraguay orientiert sich traditionell an den USA und Taiwan, unterhält traditionell beschränkte Kontakte zu Russland und bewahrt eine kühle Partnerschaft. Insgesamt ist der Südkegel eine Zone des Pragmatismus ohne offene Verbündete oder Gegner von Russland.
Fazit
Russlands gegenwärtige Beziehungen zu Lateinamerika sind heterogen. Die bedingungslosen Verbündeten von Russland – Kuba, Venezuela und Nicaragua – stehen traditionell in Konfrontation zu den USA und sehen in Russland einen Partner nach dem Prinzip "der Feind meines Feindes ist mein Freund". Im Gegenlager stehen Länder, die eng mit Washington verbunden sind, wie Chile, Panama und Paraguay, die den westlichen Konsens unterstützen und die Aktionen des Kremls kritisch sehen. Dazwischen befindet sich eine breite Gruppe von "balancierenden" Mächten: Brasilien, Mexiko und andere, die es vorziehen, wegen Pragmatismus und des Strebens nach Unabhängigkeit die Neutralität zu wahren. Insgesamt vermeidet die Region eine Konfrontation im Geiste des Kalten Krieges. Selbst Verbündete der USA brechen ihre Beziehungen zu Russland nicht ab, und Russlands Anhänger unterstützen Moskaus Aktionen oft vollumfänglich. Lateinamerika spricht immer lauter mit eigener Stimme, ausgehend von eigenen Interessen.
Für Russland ist dies sowohl eine Herausforderung, als auch eine Chance. Es muss sich nicht nur als eine Alternative zum Westen, sondern auch als verlässlicher Partner beweisen. Die Schwächung des US-amerikanischen Einflusses eröffnet Möglichkeiten für pragmatische Zusammenarbeit. Die Region strebt nach Multipolarität, und bei einer ausgewogenen Politik kann Russland die eigene Präsenz stärken und neutrale Länder in Partner verwandeln.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei der Zeitung Wsgljad am 16. Oktober.
Igor Gorbunow ist ein russischer Historiker.
Mehr zum Thema – US-Politik in Lateinamerika: Trumps imperiales Getöse geht nach hinten los
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.