Proteste in Kolumbien: Menschenrechtler verurteilten Polizeigewalt gegen Journalisten

In Kolumbien dauern seit gut einer Woche Demonstrationen an, obwohl Präsident Iván Duque seine umstrittene Steuerreform zurückgenommen hat. Immer wieder gibt es Berichte über Fälle von Polizeigewalt gegen Jugendliche. Auch Journalisten werden von Polizisten angegriffen.

Die kolumbianische Stiftung für Pressefreiheit (FLIP) hat eine Attacke gegen drei Journalisten durch Polizeikräfte verurteilt. Der Vorfall ereignete sich am 6. April in der Gemeinde Sibaté, 27 Kilometer von der Hauptstadt Bogotá entfernt, als die Reporter des Mediums Loco Sapiens gerade eine Reportage drehten. Eine Einheit des Spezialkommandos ESMAD setzte vor Ort Tränengas ein. Obwohl die Journalisten als solche gekennzeichnet waren (sie trugen Helme mit der Aufschrift "Presse" und hatten ihre Presseausweise dabei), die Hände hoben und laut riefen, sie seien Reporter, schossen die Beamten auf sie mit Schrottwaffen.

Zwei Mitarbeiter von Loco Sapiens erlitten dadurch Verletzungen. Die ESMAD-Beamten bedrohten anschließend die Reporter und warfen ihnen vor, mit ihren Reportagen lediglich "Sensationsmache" zu betreiben. Obwohl die Journalisten den Rettungsdienst anriefen, holte sie kein Krankenwagen ab. Einer der Betroffenen führte eine Live-Übertragung auf Facebook und nahm das Geschehen mit auf.

Die FLIP veröffentlichte den Angriff auf Twitter und bezeichnete den Vorfall in einer Erklärung als "absolut inakzeptabel". Solche Attacken seien ein Beweis dafür, dass es Polizeibeamte gebe, die Gewalt nutzten, um über landesweite Demonstrationen berichtende Journalisten zu zensieren. Die Organisation führte auch Statistiken an, wonach man seit dem 28. April 115 Attacken gegen die Presse registriert habe. 52 davon (oder 45 Prozent der Fälle) seien von Beamten begangen worden.

In ihrer Stellungnahme betonte die FLIP, dass die Aufgabe der Polizei nicht zuletzt darin bestehe, den Medienschaffenden eine sichere Arbeit zu garantieren. Die Rolle der Presse sei bei sozialen Kundgebungen ausschlaggebend. Die Organisation rief die kolumbianische Generalstaatsanwaltschaft dazu auf, die Fälle von Polizeigewalt gegen Journalisten transparent zu untersuchen. Auch Präsident Iván Duque sollte die Polizeigewalt gegen die Presse öffentlich und mit klaren Worten verurteilen.

Nachdem die kolumbianische Regierung eine Steuerreform angekündigt hatte, begannen am 28. April im südamerikanischen Land massenhafte Protestveranstaltungen, die bald in gewaltsame Zusammenstöße mit der Polizei ausarteten. Nach dem jüngsten Report der nationalen Ombudsstelle kamen dabei mindestens 24 Menschen ums Leben, elf von ihnen demnach durch die Polizei. Nach Angaben der Sucheinheit für vermisste Personen (UBPD) galten zunächst 379 Personen als vermisst.

Im Rahmen der Reform wollte die Regierung unter anderem die steuerlichen Freibeträge senken, die Einkommenssteuer für bestimmte Gruppen erhöhen und die Befreiung von der Mehrwertsteuer für gewisse Waren und Dienstleistungen abschaffen. Somit hatte die Regierung vor, zusätzlich 6,8 Milliarden US-Dollar einziehen, um die von der Corona-Krise verursachten Defizite im Staatshaushalt auszugleichen. Nach landesweiten Protesten und Streikaktionen zog Präsident Duque die geplante Reform zurück.

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