"Volksbefragung" in Venezuela: Juan Guaidó beansprucht Mehrheit und löscht alle Abstimmungsdaten
von Maria Müller
Kaum waren die Parlamentswahlen in Venezuela vorbei, fand eine Volksbefragung gegen die Wahlen und die Regierung statt. Die Fraktion der radikalen Opposition unter Führung von Juan Guaidó hatte Venezuelas Wahlvolk dazu aufgerufen, drei Fragen mit "Ja oder "Nein" zu beantworten. Eine Stimmabgabe konnte entweder per Handy auf digitalem Weg unter der Woche oder persönlich am Samstag an einem der 3.000 auf Straßen und Plätzen aufgestellten Tische erfolgen.
Keine Kontrolle der Stimmabgaben
Weder nationale noch internationale Wahlbeobachter kontrollierten das Vorgehen, kein Mechanismus ermöglichte es, die Teilnehmerzahl und die abgegebenen Antworten transparent zu prüfen.
Die Organisatoren versicherten zudem, dass sofort nach Bekanntgabe des Ergebnisses alle Daten vernichtet würden – sowohl die digitalen als auch die handschriftlichen. Angeblich zum "Schutz" der Beteiligten vor Verfolgung. Ohne Zweifel jedoch auch als Schutz vor einer objektiven Nachprüfung.
Eine internationale Wahlbeobachtermission hätte die Probleme sicher lösen können. Angesichts der Tatsache, dass fast 60 Staaten Juan Guaidó als legitimen Präsidenten Venezuelas anerkennen, ist es nur verwunderlich, dass sie ihm keine professionellen Wahlhelfer und Beobachterteams anboten. Mehr noch: Die Anti-Maduro-Allianz verschenkte eine Möglichkeit, ihrem Schützling eine reale demokratische Legitimation zukommen zu lassen. Sonderbar ...
Worum ging es bei dieser Volksbefragung?
Die gerade abgehaltene Parlamentswahl sollte mit dieser Volksbefragung annulliert und Präsident Maduro zum Rücktritt aufgefordert werden. Ausländische Mächte sollten an einer künftigen Regierung teilnehmen können, um die Demokratie wiederherzustellen (!).
Die Organisatoren ließen am Ende nicht wissen, welchen Prozentsatz von Zustimmung oder Ablehnung die jeweiligen Themen erfuhren. Das Ganze erreichte so noch nicht einmal das Niveau einer Meinungsumfrage.
Geringe Beteiligung an den Abstimmungstischen
Nach einem Bericht der spanischen Presseagentur EFE sah man am Samstag mit wenigen Ausnahmen keine Warteschlangen an den Tischen. Die für den Nachmittag geplante Kundgebung in der Millionenstadt Caracas erhielt nur schwachen Zulauf.
Ergebnisse laut Juan Guaidó
Juan Guaidó versicherte der Öffentlichkeit am Abend, es hätten 6.466.791 Personen an der Volksbefragung teilgenommen, das sind 31,22 Prozent der registrierten Wähler.
In Venezuela selbst seien es 3.209.714 Personen und im Ausland 844.723 gewesen. Dazu kämen noch 2.412.354 Bürger, die durch zwei digitale Programme, Voatz und Telegram, ihre Stimme abgaben. Insgesamt also 6.466.771 oder 31,2 Prozent der Wahlberechtigten.
Mit diesem Ergebnis habe man die Wahlbeteiligung für das neue Parlament eine Woche zuvor knapp übertroffen, so Guaidó. Das war sein Ziel. Dort wählten 6.251.080 Personen die neuen Abgeordneten.
Guaidó verkündete sofort nach Bekanntgabe dieses Ergebnisses über Twitter:
"Die Partizipation am heutigen Tag verwandelt sich in Verpflichtung und die massive Reaktion in Hoffnung!"
Ohne Datenabgleich, Mehrfachstimmen außer Kontrolle
Doch die Methodik der Stimmabgaben rief mehrere große Fragezeichen hervor. Laut internationaler Presse gab es an den Tischen keine Kontrolle darüber, ob Personen, die bereits digital gewählt hatten, nun erneut ihre Stimme an einem oder an mehreren Stellen abgaben. Die Leute mussten nur ihren Namen aufschreiben und eine Unterschrift leisten, ohne dass ein Datenabgleich stattfand.
Die Hefte wurden am selben Wahltag vernichtet. Wenn man die Abstimmungs-App Voatz und den Messengerdienst Telegram nutzte, musste man ein Foto des Personalausweises oder Reisepasses schicken, das anschließend wieder gelöscht wurde.
Laut den Organisatoren der Befragung hat es in verschiedenen Regionen Venezuelas einen Stromausfall gegeben, als die Stimmenauszählung begann. Das Internet habe nicht durchgängig funktioniert, ein Weiterleiten der Daten sei gestört gewesen.
Unter all diesen Umständen war weder eine kontrollierte Stimmabgabe noch deren Auszählung möglich. Guaidó gab ein Ergebnis bekannt, das nun einfach alle glauben müssen. Dass er selbst damit sämtliche Regeln demokratischer Urnengänge verletzt, scheint ihm nicht aufzufallen.
Wie die Reaktion der internationalen Presse bereits zeigt, werden die von Guaidó bekannt gegebenen Zahlen als wahrhaft und gültig publiziert, ohne mit einem Wort deren Unzuverlässigkeit zu erwähnen.
Das Ergebnis könnte – falls es glaubwürdig wäre – dem politischen Kräfteverhältnis der letzten zwei oder drei Jahre in Venezuela nahekommen: ein Patt zwischen Regierungsallianz und der radikalen Opposition, wohingegen über die Hälfte der Bevölkerung sich mit keiner der Parteien identifiziert.
Andererseits lässt dieser hohe Prozentsatz der Nichtwähler das Ergebnis der Guaidó-Befragung als bis zu gut zehn Prozent überhöht erscheinen. Denn ein Drittel der Wählerschaft nahm vor einer Woche an den Parlamentswahlen teil, die unter Teilnahme von 1.500 venezolanischen Beobachtern und 300 Wahlexperten – meist Parlamentarier – aus 34 Ländern aller Kontinente stattfanden.
Maduro: Volksbefragung über Internet nicht verfassungsgemäß
Venezuelas Präsident Nicolás Maduro erklärte indessen, die Volksbefragung sei juristisch nicht bindend.
"Eine Befragung über Internet hat weder einen legalen noch einen verfassungsrechtlichen Rang. Es sind lediglich Initiativen, um ein Meinungsbild in der Bevölkerung sichtbar zu machen", so Maduro.
Juan Guaidó: Volksbefragung gegen Parlamentswahlen
Juan Guaidó glaubt, dass die Volksbefragung ein Instrument sei, um die Parlamentswahlen vom 6. Dezember ungültig zu machen. Für ihn gibt es "keine gewählten Abgeordneten", wie er gegenüber der Presseagentur EFE versichert. Die gegenwärtige Nationalversammlung, deren Mandat verfassungsgemäß am 5. Januar endet, bleibe seiner Sichtweise nach weiterhin in Amt und Würden.
"Wir werden das Parlament einsetzen", betonte er gegenüber der Presse am Samstag, ohne zu erklären, wann, wie und wo. Möglicherweise spekuliert er auf eine Fortsetzung der Doppelstrategie, mit der die venezolanischen Institutionen im Ausland unter seiner Regie eine konkurrierende Zweitausführung erhalten. Nicht zuletzt hängt sein Status als Parlamentspräsident und damit seine Rolle als Interimspräsident (Dauer: drei Monate) von dem nun abgewählten Parlament ab.
Es steht zur Zeit viel auf dem Spiel. Unter anderem die enormen Vermögenswerte Venezuelas in Milliardenhöhe, die in verschiedenen Staaten wie den USA, England, Portugal, aber auch bei der Deutschen Bank blockiert wurden. Formal ist Guaidó der von den Regierungen dieser Staaten bevollmächtigte Vertreter Venezuelas, um die Reichtümer des armen Landes zu verwalten.
Russland lobte die transparenten Parlamentswahlen
Die russische Regierung lobte am Montag die Transparenz der venezolanischen Parlamentswahlen vom 6. Dezember.
"Der venezolanische Wahlprozess war verantwortungsbewusster und transparenter organisiert als in einigen Ländern, die die Gewohnheit haben, sich als Beispiel für die Demokratie zu präsentieren", sagte das russische Außenministerium in einer Erklärung, in der es auch versicherte, dass "keine einzige schwerwiegende Störung" vorgekommen sei.
"Wir gehen von dem Grundsatz aus, dass die neue Nationalversammlung die Grundlage für einen konstruktiven Dialog zwischen allen politischen Kräften sein wird" und dazu beitragen werde, "die Meinungsverschiedenheiten in der venezolanischen Gesellschaft durch Verhandlungen zu überwinden", betonte Außenminister Sergei Lawrow.
"Die Erklärungen über die Nichtanerkennung der venezolanischen Wahlen durch einige Regierungen zeigen, (...) dass sie nicht in der Lage sind, eine objektive Realität zu akzeptieren und den Willen von Millionen venezolanischer Bürger zu respektieren", so Lawrow weiter.
Abgeordnete appellieren an die Bundesregierung
Die bundesdeutschen Abgeordneten der Linksfraktion in Berlin, Heike Hänsel und Andrej Hunko, appellierten in einer Pressemitteilung an die Bundesregierung, die Parlamentswahlen in Venezuela anzuerkennen:
Eskalationskurs gegen Venezuela beenden, Anerkennung Guaidós zurücknehmen
Die Bundesregierung und die EU müssen die völkerrechtswidrige Anerkennung Juan Guaidós als Präsident Venezuelas beenden und eine Verhandlungslösung unterstützen. Durch die jüngste Parlamentswahl hat die Mär von Guaidós 'Präsidentschaft' auch den letzten Schein von Legitimität verloren. Es ist unverantwortlich, dass die Bundesregierung dennoch vorprescht und die anderen EU-Mitgliedsstaaten auf diese Eskalationslinie ohne rechtliche Grundlage bringen will", erklären Hänsel und Hunko zu den Parlamentswahlen in Venezuela. Und weiter:
"Die Nicht-Anerkennung des Wahlergebnisses durch die Bundesregierung und die EU verschärft die Polarisierung in Venezuela weiter. Die Eingriffe des Obersten Gerichtshofs in mehrere Parteien im Vorfeld der Wahl sind zu verurteilen, das technische Wahlsystem selbst entspricht jedoch hohen Standards. Es gibt keine glaubwürdigen Hinweise auf systematische Unregelmäßigkeiten oder gar Manipulationen bei der Wahl. Es ist bedauerlich, dass die EU trotz Einladung durch die venezolanische Regierung keine Wahlbeobachtungsmission nach Venezuela geschickt hat."
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.