Neue Untersuchung: Es gab keine Wahlfälschung in Bolivien – OAS arbeitete mit falschen Statistiken
Es waren neben der ultrarechten evangelikalen Opposition in Bolivien auch insbesondere die US-amerikanische und die deutsche Regierung, die mit Verweis auf die Berichte der Wahlüberprüfungsmission der Organisation Amerikanischer Staaten den Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Boliviens, Evo Morales, rechtfertigten. Regierungssprecher Steffen Seibert begrüßte am 11. November 2019 den wohlgemerkt vom Militär erzwungenen Rücktritt des ersten indigenen bolivianischen Präsidenten in diesem Zusammenhang "als wichtigen Schritt" und betonte:
Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass die Organisation Amerikanischer Staaten von weit verbreiteten, schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten spricht, dass sie davon spricht, dass es in beinahe jedem untersuchten Wahlbezirk Unregelmäßigkeiten bei der Stimmauszählung gegeben habe und dass sie deswegen empfehle, zu Neuwahlen zu kommen.
Davon abgesehen, dass, wie RT Deutsch seinerzeit bereits nachgewiesen hatte, die Aussage des Regierungssprechers von "Unregelmäßigkeiten in fast jedem Wahlbezirk" schon damals selbst in Bezug auf die OAS-Berichte nicht haltbar war, kommt eine aktuelle und unabhängige Untersuchung zu dem eindeutigen Ergebnis:
Die These eines Wahlbetrugs beruht auf falschen Daten und ungeeigneten statistischen Techniken.
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Selbst die New York Times, die im November 2019 noch unhinterfragt die Berichte der OAS zu angeblichem Wahlbetrug referierte, kommt in einem aktuellen Artikel zum selben Schluss:
Die Schlussfolgerung, dass Morales' Stimmenanteil in den letzten Wahlgängen unerklärlicherweise sprunghaft angestiegen ist, beruhte auf falschen Daten und ungeeigneten statistischen Techniken [der OAS].
Erinnert Ihr Euch noch an Wahl #Boliva 10/19 + Putsch gegen #EvoMorales? Für @RegSprecher war es damals "ein großer Schritt". Er, #EU + #USA rechtfertigen Absetzung mit den @OAS_official-Berichten. Jetzt kommt raus, #OAS agierte mit falschen Statistiken:https://t.co/p0STqa0ZKm
— Florian Warweg (@FWarweg) June 8, 2020
Der Artikel der New York Times basiert auf den Erkenntnissen der bereits erwähnten neuen wissenschaftlichen Analyse durch die Politikwissenschaftler und Statistiker Nicolás Idrobo, Dorothy Kronick und Francisco Rodríguez von der University of Pennsylvania und der Tulane University in New Orleans.
Diese Auswertung detaillierter Wahldaten, die Forschern außerhalb der OAS bisher nicht zur Verfügung standen, widerlegt eindeutig den Betrugsvorwurf. Wie unter anderem das deutschsprachige Fachportal zu Lateinamerika, amerika21, ausführt, ist der neue Bericht äußerst heikel für die zum großen Teil von den USA finanzierte OAS, die sich seit Monaten gegen Forderungen nach der Veröffentlichung ihrer Daten und Methoden wehrt.
Wer die Wahl 2019 genau verfolgt hat, hatte nie einen Zweifel daran, dass die Betrugsbehauptungen der OAS gefakt waren", erklärt in diesem Zusammenhang Jake Johnston vom US-amerikanischen Center for Economic and Policy Research (CEPR).
Mark Weisbrot, Co-Direktor des CEPR, gibt in diesem Zusammenhang der OAS eine direkte Mitschuld an der sich massiv verschlechternden Menschenrechtslage nach dem Putsch und der Machtübernahme durch die ultrarechte Opposition in Bolivien:
Die OAS trägt die Verantwortung für die deutliche Verschlechterung der Menschenrechtssituation in Bolivien seit Morales' Sturz", sagte Weisbrot. Es sei nicht das erste Mal, dass die OAS eine negative Rolle in einer Wahlkrise spiele, dies sei auch bei den Wahlen 2010 in Haiti der Fall gewesen.
Der für OAS-Datenanalyse hauptverantwortliche Berater, Professor Irfan Nooruddin von der Georgetown-Universität, erklärte, die neue Analyse würde seine Arbeit nicht korrekt darstellen und sei grundsätzlich falsch. Allerdings lieferte er trotz mehrmaliger Nachfragen keinerlei Beleg für seine These und weigert sich zudem vehement, seine Methoden und Datensätze offenzulegen.
Die im Zuge des OAS-Agierens an die Macht gelangte "Interimspräsidentin" Jeanine Añez hat bis zum heutigen Tag noch keinen ernsthaften Versuch unternommen, ihre in der Verfassung festgelegte und streng geregelte Aufgabe, die sich auf die Organisation von Neuwahlen beschränkt, umzusetzen. Im Gegenteil, sie versucht mit allen möglichen Tricks, sich langfristig und verfassungswidrig an der Macht zu halten, und nutzte dafür auch die Corona-Pandemie. Sie erließ weitgehende Ausgangsbeschränkungen, Grenzschließungen und die Militarisierung zahlreicher Regionen.
Doch gegen den Widerstand der Interimspräsidentin verkündete der Direktor der Obersten Wahlbehörde Boliviens, Salvador Romero, am 2. Juni in La Paz, dass sich die Mehrheit der Kandidaten gemeinsam auf einen Gesetzesentwurf und ein Datum für die Wiederholung der Präsidentschaftswahlen geeinigt hat. Die Wahl soll nun am 6. September 2020 stattfinden. Bei dem Treffen waren die aussichtsreichsten Kandidaten im Rennen um die Präsidentschaft anwesend: Luis Arce von der Bewegung zum Sozialismus (MAS), Carlos Mesa von der Bürgergemeinschaft (Comunidad Ciudadana) sowie Tuto Quitoga (Libre 12). Der Gesetzesentwurf soll dem Parlament nächste Woche zur Diskussion vorgelegt werden.
Die Interimspräsidentin der De-facto-Regierung, Jeanine Áñez, und ihre Partei Gemeinsam (Juntos) hielten sich ostentativ von diesem Treffen und der Übereinkunft fern. Ihr mag bewusst sein, dass sie bei einer demokratischen Wahl keinerlei Aussicht auf Erfolg hat. In den letzten repräsentativen Umfragen lag der Kandidat der einstigen Regierungspartei MAS von Evo Morales, Luis Arce, mit weit über 30 Prozent vorne. Áñez kam lediglich auf 15 bis 16 Prozent.
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