Die neue "Afrikapolitik" der Bundesregierung: Ein bunter Strauß aus Plastikblumen
von Kani Tuyala
"Das Wohlergehen Europas ist mit dem unseres Nachbarn Afrika untrennbar verbunden", heißt es auf den Seiten der Bundesregierung zur deutschen "Afrikapolitik" – wieder einmal, ließe sich ergänzen. Einen neuen Ausdruck verlieh man der alten Binsenweisheit vor wenigen Tagen durch eine "Aktualisierung und Weiterentwicklung" der sogenannten afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung durch das Bundeskabinett.
Mit einem bunten Blumenstrauß neuer Initiativen beabsichtigt man, die "Partnerschaft mit Afrika" erneut zu "vertiefen". Aus einem Guss soll sich die entsprechende Politik gegenüber dem Riesenkontinent in direkter Nachbarschaft jetzt präsentieren.
Wir wollen einen umfassenden afrikapolitischen Ansatz verfolgen, der in sich kohärent, innerhalb der Bundesregierung koordiniert und in den europäischen und multilateralen Kontext eingebettet ist", heißt es dazu im Papier.
Für dieses Ziel wird die Bundesregierung "ihre Afrikapolitik künftig auf fünf Ziele ausrichten". An oberster Stelle steht die Förderung von "Frieden, Sicherheit und Stabilität". Hinzu kommen auf Platz zwei "nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, Wohlstand und Beschäftigung für alle".
Moment, für alle? Freibier für alle, okay. Aber Entwicklung, Wohlstand und Beschäftigung für alle? Wie will man denn Afrika bei etwas "unterstützen", das sich selbst hierzulande oder auf EU-Ebene als vielleicht gut gemeinte, aber absolut unrealistische Utopie erweist? Wenn also schon bei der Formulierung des hehren Zieles der Wurm drin ist, wie sieht es dann wohl in der Praxis aus, zumal etwa die bisherigen Handelsabkommen der EU zwar den Wohlstand hierzulande strukturell sichern helfen mögen, den Nachbarkontinent aber ausbluten lassen?
Auch der erste und offensichtlich wichtigste Punkt lässt aufhorchen. Dem millionenfachen Sterben, vor allem im Osten des Kongo, sieht man bis heute im Grunde tatenlos zu. Und im Falle Libyens wurden "Frieden, Sicherheit und Stabilität" durch Frankreich und die NATO zerstört und nicht gefördert, um nur zwei der augenscheinlichsten Beispiele zu nennen. Welche neuen Strategien verfolgt man also, nachdem sich die bisherigen Maßnahmen als, diplomatisch ausgedrückt, kontraproduktiv erwiesen haben? Das Bundesverteidigungsministerium klärt auf:
Ein wichtiges Element in diesem Bereich ist die 2016 begonnene Ertüchtigungsinitiative: Deutschland unterstützt den Aufbau der Sicherheitskräfte unter anderem in Mali und Nigeria. Neben der materiellen Ausstattung geht es hier vor allem um die Ausbildung unter Berücksichtigung der Menschenrechte und der Regeln des humanitären Völkerrechts.
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Es ist wohl kein Zufall, dass an der Kabinettssitzung zur Verabschiedung der aktuellen afrikapolitischen Leitlinien auch der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian teilnahm, nein, er war extra für diese angereist. Mit Frankreich gedenkt die Bundesregierung die militärische EU-Zusammenarbeit auch in Afrika zu vertiefen.
Einen Eindruck von der Rolle Frankreichs in Afrika seit den Jahren der "Unabhängigkeit" vermittelt ein Schreiben des damaligen französischen Premierministers Michel Debré an seinen Amtskollegen aus Gabun im Jahre 1960:
Wir geben euch die Unabhängigkeit unter der Bedingung, dass sich der Staat nach seiner Unabhängigkeit an die vereinbarten Handelsverträge hält. Das eine geht nicht ohne das andere.
Exemplarisch bedeutete das für Gabun u.a.:
Die Republik Gabun verpflichtet sich, der französischen Armee strategische und rüstungsrelevante Rohstoffe zur Verfügung zu stellen. Der Export dieser Rohstoffe in andere Staaten ist aus strategischen Gründen nicht erlaubt.
Welches echte Interesse kann Frankreich da an der Übernahme von Eigenverantwortung durch die ehemaligen Kolonialstaaten haben? Rohstoffe, strategische Rohstoffe ... Wie ist es zurzeit eigentlich um Mali bestellt, ist der Sahelstaat seit dem vermeintlich selbstlosen Eingreifen Frankreichs und auch Deutschlands zur Ruhe gekommen?
Frankreich geht mit der Operation "Barkhane" in Mali auf Terroristenjagd. Seit Anfang 2013 bilden deutsche Soldaten im Rahmen einer europäischen Trainingsmission die malischen Streitkräfte aus. Und seit Anfang 2016 unterstützt Deutschland MINUSMA, eine Blauhelm-Mission der Vereinten Nationen.
Frankreich gewährleistet in Mali und anderen Einsatzgebieten die europäische Sicherheit", so sah es zumindest der französische Präsident Emmanuel Macron im Mai 2017.
Macron war es auch, der von der Bundesregierung mehr "Engagement" forderte. Im Aachener Vertrag schließlich verpflichten sich Deutschland und Frankreich dazu, "die Handlungsfähigkeit Europas zu stärken und gemeinsam zu investieren, um Lücken bei europäischen Fähigkeiten zu schließen und damit die Europäische Union und die Nordatlantische Allianz zu stärken". Ins Auge springt auch die hervorgehobene Stellung Afrikas im Aachener Vertrag. Vor Ort will man nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung anschieben, sondern zur Not "auch durch friedenserhaltende Maßnahmen" eingreifen. Schon jetzt ist die Bundeswehr bereits in sechs afrikanischen Ländern aktiv: Mali (EUTM, MINUSMA und EUCAP), Somalia (Atalanta), Sudan (UNAMID), Südsudan (UNMISS), Westsahara (MINURSO), Libyen/Tunesien (UNSMIL).
Bei einer Befragung im Verteidigungsausschuss des Bundestags räumte die Bundesregierung im September 2018 schließlich ein, dass die Bundeswehr bei ihrem Einsatz in Mali eng mit der französischen Anti-Terror-Operation zusammenarbeitet – was nicht dem Mandat des Bundeswehreinsatzes entspricht. Doch Frieden erscheint für die Menschen vor Ort nach wie vor als eine Fata Morgana.
Auch die Bundesregierung erliegt einer Illusion – etwa beim Thema Völkerrecht. Das Engagement der Bundesregierung in Sachen Venezuela, Jemen oder Syrien unterstreicht dabei aktuell mal wieder eine brandgefährliche Flexibilität bei der Interpretation des humanitären Völkerrechts. Im Mittelmeer lässt man nach wie vor Tausende Menschen ertrinken, ohne mit der Wimper zu zucken. 12.748 Menschen verloren zwischen dem 1. Januar 2015 und dem 31. Dezember 2018 im zentralen Mittelmeer ihr Leben. Glaubwürdigkeit sieht wahrlich anders aus.
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Ende März gab die EU-Kommission bekannt, dass die Rettung von Flüchtlingen auf See vorerst eingestellt wird, auch durch Deutschland. Die Unterstützung für die "libysche Küstenwache" soll hingegen fortgesetzt werden. Dass die Bundesregierung nach wie vor die "libysche Küstenwache ertüchtigen" lässt, ist alles andere als dazu angetan, Glaubwürdigkeit zurückzuerlangen, sondern taugt vielmehr als moralische Bankrotterklärung. Über die libysche Küstenwache sagt nicht nur Nicole Hirt, Wissenschaftlerin am GIGA-Institut für Afrika-Studien in Hamburg, Folgendes:
Die Küstenwache besteht aus unterschiedlichen Warlords, die sich den Namen "Küstenwache" gegeben haben, um Geld von Europa zu kriegen. Sie sind selbst in Menschenschmuggel involviert, retten die Flüchtlinge also, damit sie verkauft werden.
Das Problem besteht auch darin, dass die Staaten Afrikas durchaus in der Lage wären, sich selbst zu "ertüchtigen", wenn man sie denn ließe und nicht geostrategische Interessen genau diese selbstbestimmte Entwicklung ein ums andere Mal verhindern würden. Millionen Menschen werden so dazu gebracht, ihre Heimat auf der Suche nach einem besseren Leben zu verlassen.
Doch ausgerechnet der Themenkomplex Migration findet sich in den fünf gesteckten Zielen der aktualisierten "Afrikapolitik". Unter Punkt drei will man "Migration steuern und gestalten, Fluchtursachen mindern und Flüchtlinge unterstützen". Als Grundlage dafür dürfte der vor wenigen Monaten unterzeichnete sogenannte Migrationspakt herhalten. Dieser heißt nicht etwa "Globaler Pakt zur Bekämpfung der Fluchtursachen", sondern nicht ohne Grund "Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration".
Das Thema Fluchtursachenbekämpfung geht in dem Schreiben vollkommen unter, geschweige denn, dass eine kritische Bestandsaufnahme der Rolle der transatlantischen Gemeinschaft bei der Schaffung der Fluchtursachen im Papier zum Ausdruck käme.
Der italienische Philosoph Diego Fusaro beschreibt die "sichere, geordnete und reguläre Migration" als dritte Phase des Kolonialismus nach der industrialisierten Sklaverei und dem "imperialistischen Kolonialismus".
(...) die Phase des globalisierten Kolonialismus, mit dem afrikanische Länder destabilisiert werden. Stichwort: NATO-Krieg gegen Libyen. Und auf diese Weise wird die Flucht der Afrikaner (...) vom Kapitalismus rücksichtslos ausgenutzt, um die Kosten der einheimischen Arbeitsmigranten zu senken und das Profil des Migranten zu verallgemeinern – das heißt, um uns alle zu Migranten zu machen. Der Kapitalismus will Migranten nicht integrieren. Er will aus allen Bürgern Migranten machen.
Doch auch die wohlklingende Formel "Bekämpfung von Fluchtursachen" hat sich die Bundesregierung in ihren Leitlinien auf die Fahnen geschrieben – ohne diese so entscheidende Floskel weiter auszudifferenzieren.
An dieser Stelle geht es aber nicht darum, einfach nur die nunmehr fast politisch korrekte antikapitalistische Keule zu schwingen, sondern darum, dass eine kritische Reflexion der Auswirkungen des schon längst globalen Marktradikalismus auf die afrikanischen Gesellschaften in der bundesdeutschen Afrikastrategie vollkommen abwesend ist. So kann der Schuss aber nur nach hinten losgehen.
Es wäre allerdings vermessen, den an der Afrikapolitik beteiligten Politikern und selbst ernannten oder tatsächlichen Experten konzeptionelle Arglist zu unterstellen. Naivität und der unhinterfragte Glaube an die eigenen Medikamente gegen Krankheiten, für deren Ausbreitung man selbst verantwortlich ist, trifft es wohl eher. Es sind eben nicht womöglich gut gemeinte Sonntagsreden, die am Ende Politik gestalten, sondern wirtschaftliche und damit geopolitische Interessen. Es ist nur folgerichtig, dass auch dem "Freihandel" in den aktualisierten afrikapolitischen Leitlinien gehuldigt wird.
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