Militäreinsatz in Libyen: Ägyptisches Parlament gibt grünes Licht
Der Krieg in Libyen entwickelt sich immer mehr zu einer ideologischen Auseinandersetzung, die die islamisch-sunnitische Welt weiter spaltet. Es geht um die Feindschaft zwischen der Muslimbruderschaft und der ägyptischen Regierung, die vor einem halben Jahrhundert begann. Obwohl die Ikhwān al-Muslimūn von den ägyptischen Behörden jahrzehntelang verfolgt wurden, schafften sie es nach dem Arabischen Frühling im Winter 2010/2011 in demokratischen Wahlen an die Spitze des Staates.
Zusammen mit der Türkei, wo mit der AKP von Recep Tayyip Erdoğan bereits eine der Bruderschaft nahestehende Partei an der Macht war, und dem reichen Emirat Katar, spannte sich die Einflusszone des sunnitischen politischen Islam zum ersten Mal vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf, mit dem von der Hamas regierten Gazastreifen als Verbindungsstück.
Die Regierungszeit von Präsident Mohammed Mursi sollte allerdings von kurzer Dauer sein. Anfang Juli 2013 führte die ägyptische Armee unter der Führung des von Mursi eingesetzten Oberbefehlshabers Abd al-Fattah as-Sisi einen blutigen Putsch durch. Bei den anschließenden Protesten von Anhängern des abgesetzten Präsidenten verübte die Armee ein Blutbad in Kairo und Gizeh. Später wurde die Muslimbruderschaft zu einer Terrororganisation eingestuft, und prompt zogen die Herrscher der Arabischen Halbinsel nach und versuchten, Katar mit einem Land-, See- und Luftboykott in die Knie zu zwingen.
In Libyen konnte die Bruderschaft allerdings mit der Partei für Gerechtigkeit und Aufbau 2012 Fuß fassen, nachdem das transatlantische Militärbündnis NATO das Land ins Chaos gestürzt und den langjährigen Machthaber Muammar al-Gaddafi ermorden ließ. Der international anerkannten Einheitsregierung von Ministerpräsident Fayis as-Sarradsch wird vorgeworfen, mit der Muslimbruderschaft mindestens zu sympathisieren, wenn nicht sogar zu kollaborieren. Die enge Unterstützung der Türkei für as-Sarradsch und die militärische Hilfe die Ankara der Regierung in Tripolis zukommen lässt, nährt den Verdacht bei den regionalen Gegnern der Einheitsregierung, dass am Ende ein Libyen in den Händen der Muslimbruderschaft entsteht. Ein mit reichen Erdölvorkommen ausgestattetes Libyen, das die Ausbreitung des politischen (sunnitischen) Islam finanziert.
Für General Chalifa Haftar und dessen Unterstützern insbesondere in Kairo und Abu Dhabi ist das eine Aussicht, die es unter allen Umständen zu verhindern gilt. Der ägyptische Präsident erklärte in einer TV-Ansprache am 20. Juni, dass sein Land es nicht zulassen werde, dass die strategisch wichtige Stadt Sirte in die Hände der Einheitsregierung und deren türkischen Verbündete fällt. Das sei die rote Linie für Kairo, die ein militärisches Eingreifen notwendig machen würde, "wenn das libysche Volk uns danach fragt".
Das libysche Volk fragte zwar nicht, aber das Parlament, das die Einheitsregierung nicht anerkannt hat und hinter Haftar steht, stimmte vergangene Woche für einen ägyptischen Einmarsch, sollte die Offensive gegen Sirte beginnen, wie die türkische Regierung es angekündigt hatte.
📍The most recent developments in Libya can be followed through the Directorate of Communications' social media accounts. 🗺️ The current situation in Sirte as of 5 July 2020 pic.twitter.com/BFTb8gadnW
— Republic of Turkey Directorate of Communications (@Communications) July 5, 2020
Am Montag folgte auch das grüne Licht des Parlaments in Kairo. In der abschließenden Erklärung hieß es, dass die ägyptische Armee die nationale Sicherheit an der "strategischen westlichen Front gegen die Arbeit von bewaffneten kriminellen Milizen und ausländischen terroristischen Elementen" verteidigen würde. Libyen wurde zwar nicht explizit erwähnt, aber mit "strategischer westlicher Front" ist jedermann klar, dass das Nachbarland gemeint ist. Und mit "terroristischen Elementen" bezeichnet Kairo die von der Türkei zu tausenden eingeflogenen Dschihadisten aus Syrien, die an der Seite der "bewaffneten kriminellen Milizen" des Ministerpräsidenten as-Sarradsch kämpfen.
Noch ist es sowohl bei der Türkei als auch bei Ägypten beim Säbelrasseln geblieben. Die angekündigte Offensive auf Sirte ist nach dem gezielten Luftangriff auf türkische Luftabwehrstellungen auf dem Stützpunkt Al-Watiya vorerst ausgeblieben. Bis heute hat niemand für diesen Angriff die Verantwortung übernommen, aber die Warnung galt eindeutig Ankara und diese wurde sehr wohl vernommen.
Das bedeutet nicht, dass das Risiko einer direkten militärischen Konfrontation zwischen ägyptischen und türkischen Truppen damit abgenommen hat. Die Regierung von Präsident Erdoğan wird sich aber mit der Frage beschäftigen müssen, ob eine richtige kriegerische Auseinandersetzung mit der ägyptischen Armee in Libyen überhaupt geführt werden kann, oder ob die Türkei wie bisher hauptsächlich mit Drohnen, Waffen und "militärischen Beratern" die Kämpfer der Einheitsregierung unterstützt. Ob das allerdings gegen eine ägyptische Streitmacht in Divisionsstärke ausreicht, ist hingegen fraglich. Am Montag trafen sich in Ankara die Verteidigungsminister der Türkei, Katars und der libyschen Einheitsregierung, um sich über das weitere Vorgehen abzustimmen.
Mehr zum Thema - Komplexer Stellvertreterkrieg in Libyen: Ankara sinnt auf Vergeltung nach Luftangriff
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.