Meinung

Das Prinzip der manipulativen Geschichtsinterpretation

An prominenter Stelle schmückt ein Debattenbeitrag von Lukas Beckmann zur Ukrainekrise die Webseite der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Der Beitrag strotzt vor historischen Halbwahrheiten und Kalter-Kriegsrhetorik.
Das Prinzip der manipulativen GeschichtsinterpretationQuelle: Reuters © Arnd Wiegmann

Unter dem (von Gauck geklauten?) Titel "Freiheit und das Prinzip Verantwortung" versucht Lukas Beckmann, langjähriger Geschäftsführer der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und Mitbegründer der Heinrich-Böll-Stiftung, seine Gründe für die Mitunterzeichnung eines Aufrufs zu einer Demonstration vor der Russischen Botschaft  darzulegen. Der Aufruf "Stoppen Sie den Krieg gegen die Ukraine! Für Frieden und Menschenrechte in Europa!" war selbst von zahlreichen bürgerlichen Medien wegen seiner Einseitigkeit kritisiert worden.

Beckmanns Argumentation konzentriert sich auf ein nebulöses "Prinzip der Verantwortung", welches er mit Plattitüden à la "Bedenken, Zurückhaltung sind nicht per se gut" zu untermauern versucht, um die Bundesbürger endlich dafür zu begeistern, "der russischen Regierung mit allen vorhandenen Mitteln entschieden und ohne Relativierungen Grenzen aufzuzeigen".

Um darzulegen, was uns droht, wenn der "Westen" weiter so "zurückhaltend" und "abwägend" agiert greift er auf (a)historische Analogien zurück, die entweder so an den Haaren herbeigezogen sind oder von einer geschichtlichen Ignoranz zeugen, dass einem Angst und Bange wird, was für Menschen über 16 Jahre lang als Geschäftsführer die Geschicke der Bundestagsfraktion der Grünen und damit in den Jahren der Regierungsverantwortung von 1998 bis 2005 auch die der Bundesrepublik gelenkt haben.

Da wird zum Einstieg der Aufruf zur Wahlenthaltung der spanischen Anarchisten von 1933 zum Wegbereiter des Sieges der Franco-Diktatur bis 1975 stilisiert. Dass die spanischen Anarchisten im entscheidenden Wahljahr 1936 von einer Wahlenthaltung absahen und in Folge sogar Teil der republikanischen Volksfrontregierung wurden, unterschlägt der Autor, ganz nach dem Motto des von Andreas Nahles im Bundestag vorgetragenen Pippi Langstrumpfliedes "Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt".

Doch diese sehr selektive Nutzung von historischen Fakten ist erst der Anfang. Denn auf die spanischen Anarchisten folgt die rhetorische Frage (und gewaltiger historischer Fauxpas) Beckmanns: "Wie wäre der Zweite Weltkrieg verlaufen, wenn England, Frankreich und die USA spätestens 1941 (!) militärisch eingegriffen hätten?"

1941 war Frankreich von Nazi-Deutschland besetzt und Großbritannien hatte gerade mühsam in der "Luftschlacht um England" eine Invasion der Insel durch deutsche Truppen (Unternehmen Seelöwe) abwenden können. Einen Angriff der Engländer und Franzosen im Jahre 1941 auf Deutschland zu fordern, ist ungefähr so geschichtsvergessen und ignorant, als würde man im Jahre 2014 die Grünen dazu aufrufen, sich auf ihre pazifistischen Ursprünge zu besinnen.

Ebenso spricht es Bände über das tendenziöse Geschichtsverständnis des Mitbegründers der Heinrich-Böll-Stiftung, dass der Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion 1941 und die damit verbundenen 20 Millionen Toten mit keiner Silbe Erwähnung finden.

Um den verbalen Marsch gen Moskau zu inszenieren verbiegt und verfälscht der Autor gnadenlos geschichtliche Ereignisse, wohl hoffend, dass die Neoliberalisierung der bundesdeutschen Bildungslandschaft in den letzten zehn Jahren, Stichwort Pisa-Generation und Bologna-Reform, für genug historische Ignoranz gesorgt hat, dass man ihm dies durchgehen lässt.

Nachdem er nun glaubt, durch seine manipulierten historischen Abrisse den Boden bereitet zu haben für einen Rundumschlag gegen Putin und Russland, bringt er seine Sorge zum Ausdruck, angesichts der gemeingefährlichen "Putinversteher" in der Bundesrepublik.

Ihn "erschrecken die Erfolge der russisch-sowjetischen Propaganda (...) bis in unsere westlichen Medien und gar bis in den ARD-Programmbeirat hinein." Laut Beckmann bilden diese "eine unheilige Allianz von wirtschaftlichen Interessen, mobilisierten und mobilisierenden Putinverstehern und eine oft unbewusste Fortsetzung kaltkriegerisches Blockdenkens."

Das ist schon fast in der propagandistischen Qualität der "Protokolle der Weisen von Zion". Man fragt sich, in welchem medialem Paralleluniversum der gute Mann die letzten Monate gelebt und welches Kraut ihn dahin katapultiert hat.

Den deutsche Medien vorzuwerfen Opfer von "russischer Propaganda" geworden zu sein, geht angesichts von Dutzenden bei ARD und ZDF eingegangenen Programmbeschwerden wegen absolut einseitiger und russlandfeindlicher Berichterstattung in den Öffentlich-Rechtlichen Medien, so an der Realität vorbei, dass sich Beckmann spätestens hier selbst ad absurdum führt.

Noch abgedrehter wird es natürlich, wenn dann den westlichen Medien und dem ARD-Programmbeirat die "unbewusste Fortsetzung kaltkriegerisches Denkens" vorgeworfen wird. Als seien ARD und ZDF irgendwann Propagandainstrumente Moskaus gewesen.

Die Wurzel all diesen Übels ist natürlich Putin, dessen Regierungsstil laut Beckmann "von diktatorischen Zügen durchdrungen ist." Auch hier ist es selbstverständlich unter der Würde des ehemaligen Geschäftsführers der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, dafür auch nur einen Beleg anzuführen.

Abschluss findet der "Debattenbeitrag" in einer Eloge auf den "demokratischen Aufbruch" der Ukrainer, die "nach innen und außen für Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung kämpfen." In guter Grünen-Manier, kein Wort dazu, dass der "demokratische Aufbruch", sich in Form eines Putsches den Weg bahnte und mit ihm hochrangige selbsterklärte Faschisten höchste Ämter in Politik und Justiz bekleideten. Von den offen faschistisch auftretenden Kampfverbänden, wie etwa dem Assow-Bataillon ganz zu schweigen.

Die Grünen wollen strategisch das Wählerklientel der FDP beerben und ihre Stiftung scheint nicht weniger ehrgeizig zu sein, das reaktionäre Potenzial der Friedrich-Naumann-Stiftung (z.B. Vorbereitung und Rechtfertigung der Militärputsche in Honduras und Thailand) noch in den Schatten zu stellen. Da kann man nur hoffen, dass die Grünen bald auch die Wahlergebnisse der FDP beerben. Damit hätte sich dann auch zumindest mittelfristig die Finanzierung der Böll-Stiftung aus Steuergeldern erledigt. Wäre dies nicht ein Beitrag zum Weltfrieden?

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