Syrien, Russland, IS und das Völkerrecht
Ein Gastbeitrag von Peter Haisenko
Am selben Tag als die russischen Luftangriffe auf den "Islamischen Staat" begannen, hat Erdogan (von der Bundeswehr ausgebildete) Kurden bombardieren lassen, wie er es seit Wochen regelmäßig tut. Die US-Air Force hat Einsätze angeblich gegen den IS geflogen – wie bisher ohne irgendeine Wirkung. Saudi-Arabien hat zum wiederholten Male den Jemen bombardiert und – nach Hunderten Toten – nun auch eine Hochzeitsgesellschaft getroffen und 106 tote Zivilisten mehr auf seinem Konto. Diese drei Kriegseinsätze sind
völkerrechtswidrig, werden aber von den USA direkt geflogen oder von ihren Vasallen mit ausdrücklicher Billigung und Unterstützung der US-Regierung.
Für US-Einsätze in Syrien gibt es kein UN-Mandat
Putins Rede vor der UN-Vollversammlung ist von den Qualitätsmedien weitgehend ignoriert worden. Er hat sehr richtig festgestellt, dass die Einsätze der USA und deren Vasallen gegen den IS und im Jemen gegen Völkerrecht verstoßen, besonders dann, wenn sie auf syrischem Territorium stattfinden. Sie sind nicht durch ein UN-Mandat gedeckt. Russland, so Putin, werde sich an Völkerrecht halten, wenn es Einsätze gegen den IS in Syrien fliegt. Dieses Versprechen hat er eingehalten. Die Aktionen der russischen Luftwaffe sind auf Bitten der rechtmäßigen, weil demokratisch gewählten Regierung Assad erfolgt.
US-Senator Mc Cain hat dann wieder einmal den Vogel abgeschossen mit der Ausführung, Russland hätte die USA direkt angegriffen, weil er von der CIA ausgebildete und bewaffnete Kräfte der "Freien Syrischen Armee" angegriffen hat. DAS ist die Meldung, die es verdient hätte, an erster Stelle in den Abendnachrichten zu stehen. Zum wiederholten Mal hat ein US-Senator seine Regierung der Lügen bezichtigt, denn die USA haben stets geleugnet, Kämpfer gegen Assad ausgebildet und ausgerüstet zu haben. Aber so etwas ist wohl keiner Meldung wert.
Machtvakuum wie im Irak und in Libyen?
"Assad muss weg", ist die diktatorische Ansage der USA und keiner außer Putin wagt zu widersprechen. Abgesehen davon, dass sich hier Russland als einziges im völkerrechtlichen Rahmen bewegt, sollte das Beispiel Libyen herangezogen werden. Eine "Flugverbotszone" ist von der UN genehmigt worden, aber diese wurde einfach uminterpretiert in eine Erlaubnis, das Land ins Chaos zu bomben. Was könnte man folglich erwarten, wenn nach Wunsch der USA eine Flugverbotszone für Syrien verhängt würde?
Das Beispiel Libyen zeigt aber noch mehr, ebenso wie ein Blick auf den Irak: Wenn ein Land seiner Ordnungsstruktur beraubt wird – und mag diese noch so wenig "westlichen Idealvorstellungen" genügen – dann versinkt es im Chaos und die Leichen müssen im Hunderttausender-Maßstab gezählt werden. Putin hat also wieder einmal Recht, wenn er sagt, man könne nur Leben retten, wenn die Ordnung unter der gewählten Assad-Regierung wieder hergestellt wird. Überhaupt ist festzustellen, dass es mit dem laizistischen Syrien vor 2011 keine Probleme gab und sogar die USA eine schändliche Zusammenarbeit pflegten, was die Folterung von "Terrorverdächtigen" anbelangt. Kann es sein, dass auch Assad nach dem Muster Gaddafi sterben muss, weil er zu viel über die kriminellen Machenschaften der US-Regierung weiß? So wie Bin Laden, der ehemalige CIA-Agent?
Warum bleiben US-Einsätze gegen den IS ohne Wirkung?
Die US-Einsätze gegen den IS zeigen seit einem Jahr keinerlei positive Wirkung. Das Beispiel Kobane hat gezeigt, dass sie nicht einmal in der Lage waren, diese Stadt mit gezielten Schlägen zu schützen. Hierzu muss man die Geographie der Gegend kennen. Es handelt sich weitgehend um Wüsten und nur ganz kleine, leicht zu kontrollierende Gebiete sind geeignet, Truppen und Waffen zu transportieren. Es gibt kaum Wälder, in denen Gerät und Mannschaften versteckt werden könnten. Wie kann es folglich sein, dass die mittlerweile mehr als 1.000 Einsätze der US-Air Force den IS nicht zerschlagen konnten? Dazu kommt, dass der IS keinen Zugang zu einem Seehafen hat. Die logistische Versorgung des IS kann folglich nur auf dem Landweg durch angrenzende Staaten erfolgen. Man muss sich fragen, wie Waffen, Fahrzeuge und Munition zu den Schlächtern kommen und wie sie finanziert werden. Wer gibt dem IS Lebensmittel?
Ein UN-Mandat zur Bombardierung des IS gibt es nicht. Die USA, England, Frankreich und Australien verstoßen gegen Völkerrecht, wenn sie ihre Bomben über Syrien und Irak entsorgen. Entsorgen? Bomben und Munition haben ein Verfallsdatum wie Lebensmittel. Es ist aber sehr teuer und aufwändig, alte Bomben zu de-laborieren. Wie viel Geld wird gespart, wenn diese Altlasten einfach über missliebigen Staaten abgeworfen werden? Inklusive der radioaktiven Munition? Völkerrecht? Nur, wenn es gegen Russland fälschlicherweise und propagandistisch eingesetzt werden kann.
Russland hat den Westen vorgeführt
In den zerstörten syrischen Städten muss wieder eine funktionsfähige Ordnung hergestellt werden. Darüber herrscht außerhalb der USA allgemeines Einverständnis. Wer könnte aber diese Ordnungsmacht sein? Marodierende Banden wie in Libyen? Sicher nicht. Ist irgendeine Kraft erkennbar in Syrien, außer Assad, die irgendeine Ordnung herstellen könnte? Ich sehe keine. Auch darüber herrscht Einigkeit. In diesem Sinn hat Russland den Westen vorgeführt, der scheinbar völlig planlos agiert, wenn man annimmt, dass totales Chaos und Leiden nicht das Ziel sein kann/darf. Aber darf man das annehmen?
Russlands Einsätze in Syrien sind mit den Bodentruppen Assads abgestimmt. Es herrscht auch darüber Konsens, dass nur Bodentruppen dem IS Einhalt gebieten können. Die Erfolge der Kurden zeigen das deutlich. Es können folglich nur die Reste der syrischen Armee sein, die den IS wirksam bekämpfen können. Nun erhält diese von Russland Unterstützung und genau das müsste gelobt werden. Das Gegenteil geschieht aber und so ist es eigentlich keine Frage mehr, ob der IS geschont wird, mit abscheulichen Zielen. Solange es den IS gibt, reklamieren die USA das moralische Recht für sich, nach Belieben Infrastruktur innerhalb des geschundenen syrischen Staates zu zerstören und weiterhin Kämpfer gegen Assad auszubilden und zu bewaffnen. Völkerrecht?
Selektive Moral der Qualitätsmedien
Der Botschafter Saudi-Arabiens in Genf ist der neue Vorsitzende eines fünfköpfigen Gremiums im Menschenrechtsrat der Vereinigten Nationen. Das als Witz zu bezeichnen, wäre ein Witz an sich. Aber ist es dann nicht logisch, dass Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen Saudi-Arabiens im Nachbarland Jemen von den Qualitätsmedien einfach ignoriert werden? Genauso wie diejenigen, die von denjenigen fortlaufend begangen werden, die Saudi-Arabien in diese Position gehievt haben? Die selektive Moral unserer Medien ekelt nur noch an.
Die erste Reaktion auf das russische Eingreifen in Syrien ist nicht nur von mir genauso erwartet worden. Der Westen steckt in der Klemme. Wie soll man reagieren, wenn der Einsatz Russlands tatsächlich dem Morden marodierender Anti-Assad-Kämpfer und dem IS ein Ende setzt? Vizekanzler Gabriel hatte schon den Vorstoß gewagt, die Sanktionen gegen das jetzt als Partner im Kampf gegen den IS willkommene Russland zu beenden. Das hat nur Stunden gehalten, bevor Gabriel offensichtlich zur Ordnung gerufen worden ist und jetzt wieder das Gegenteil fordert.
Die USA verursachten das Chaos – wir haben die Flüchtlingsströme
Die Initiative und das Handeln Russlands im Syrienkonflikt lässt zum ersten Mal die Hoffnung aufkeimen, dass das Migrantenproblem und das Morden in Syrien beendet werden könnte. Ob Russland hierbei weitere Eigeninteressen verfolgen könnte, sollte nachrangig sein. Könnte es nicht auch so sein, dass Russland aus humanitären Gründen handelt, wie es den USA von vorn herein zu Unrecht zugebilligt wird und sogar mit einem Friedensnobelpreis voreilig belobigt worden ist? In jedem Fall ist Russland der einzige Spieler in diesem Drama, der sich an das Völkerrecht hält. Allein aus diesem Grund kann der Westen dem nicht applaudieren, denn dann müsste man zugeben, dass es sehr wohl möglich ist, Konflikte im Einklang mit dem Völkerrecht zu lösen. Hätte man sich von Anfang an das Völkerrecht gehalten, dann hätte es das Chaos in Libyen und im Irak und jetzt das Morden in Syrien nicht gegeben und wir hätten keine Flüchtlinge aus diesen Ländern.
Die universelle und beweislose Diffamierung der russischen Syrieninitiative dürfte unter anderem einem Selbstschutz der USA geschuldet sein, ebenso wie die Nachrichtenunterdrückung, was die völkerrechtswidrigen Handlungen der USA und ihrer Verbündeten anbelangt. Nicht nur die, sondern auch die Morde des Kalifen von Ankara, Erdogan, die er an den Kurden begeht. Dennoch kann gesagt werden, dass jeder, der angesichts der Situation in Libyen noch im "Assad muss weg"-Chor mitsingt, entweder an hochgradiger Anenzephalie leiden muss, oder jemand ist, der den Weltbeherrschungsanspruch der USA über (Völker-)Recht, Menschenwürde und Menschenleben stellt. In diesem allgemeinen Zusammenhang will ich noch eine Frage in den Raum stellen: Erwartet irgendjemand einen Flüchtlingsstrom von der Krim?
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