Die Bilderberg-Konferenzen zwischen Mythos und notwendiger Kritik
von RT Deutsch-Redakteur Florian Hauschild
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu (1930-2002) gilt als Koryphäe seines Faches. Bourdieu entwickelte nicht nur eine wegweisende Soziologie gesellschaftlicher Macht-, Herrschafts- und Ordnungsstrukturen, der Franzose war auch Begründer eines neuen Verständnisses gesellschaftlich relevanten Kapitals. Während mit Karl Marx und Max Weber vor allem noch ökonomisches Kapital die Forschung bestimmte, erweiterte Bourdieu das Blickfeld und untersuchte darüber hinausgehend die Ordnungsfaktoren des sozialen und kulturellen Kapitals.
Hier geht es dann nicht mehr alleine darum, wer wie viele Grundstücke besitzt oder wie hoch der Kontostand eines Akteurs im sozialen Feld ist, vielmehr spielen in Bourdieus Soziologie Fragen des Ansehens, der Vernetzung und des gesellschaftlichen Beziehungsgeflechtes eine große Rolle.
Um genau solche Vernetzungen, 'soziales Kapital' in Bourdieus Worten, geht es unter anderem bei den alljährlichen Bilderberg-Konferenzen, so der Politologe und Soziologe Björn Wendt. Im März diesen Jahres gab Wendt eine umfangreiche Studie mit dem Titel "Die Bilderberg-Gruppe - Wissen über die Macht gesellschaftlicher Eliten" heraus. In einem zweiteiligen Interview mit dem Internetportal Telepolis gab Wendt nun einen Einblick in seine Forschung.
Dabei handelt es sich zunächst um eine grundlegende Strukturierung des verfügbaren Wissens über die mythenumwobenen Bilderberg-Konferenzen. Wendt nahm zu diesem Zweck eine Diskursanalyse vor und untersuchte, wie verschiedene Beobachter der Treffen (Politiker, Massenmedien, Wissenschaft, Verschwörungstheoretiker) die alljährlichen Veranstaltungen bewerten. Wieder mit Rückgriff auf Pierre Bourdieu lässt sich in jedem dieser Felder eine unterschiedliche Rezeption des Phänomens Bilderberg beobachten.
Während es im verschwörungstheoretischem Diskurs zum guten Ton gehört, die Bilderberg-Gruppe als geheime Weltregierung mit totaler Macht und gesellschaftsfeindlicher Agenda zu bezeichnen, fallen Vertreter der Politik vor allem mit Schweigen bezüglich Bilderberg auf, oder mit gezieltem Tiefstapeln bezüglich der Bedeutung der Konferenzen. Ebenso ist aber auch vereinzelt Kritik an der Intransparenz und Verschwiegenheit zu vernehmen, die die fluide Gruppe seit ihrer ersten Konferenz im Jahre 1954 auszeichnet. Massenmedien zeichnen sich, so Wendt, vor allem durch Oberflächlichkeit und die mangelnde Äußerung von Kritik im Bilderberg-Diskurs aus. Oft handelt es sich bei medialen Berichten lediglich um bloße Kopien von Pressemitteilungen ohne journalistische Eigenleistung:
"Stattdessen wird das Thema strukturell mit dem Begriff "Verschwörungstheorie" markiert und zum Spekulationsobjekt stilisiert. Die "Leistung" besteht dann häufig lediglich in der Kritik und Dekonstruktion der verschwörungstheoretischen Machthypothese. Das erscheint mir ein bisschen wenig. Es gibt darüber hinaus keine ernsthaften Versuche das Thema investigativ aufzuklären."
Die Gründe für diese Defizite in den Medien, wie auch im Bereich der Sozialwissenschaften, sieht Björn Wendt in der "strukturellen Korruptheit" (auch dieser Begriff stammt von Bourdieu) dieser beiden gesellschaftlichen Felder. So sind es vor allem antrainierte Denk- und Handlungsmuster, die den Journalisten oder Wissenschaftler davon abhalten, die Bilderberg-Konferenzen angemessen zu behandeln, da ein solches Vorgehen quasi mit einem Bruch unausgesprochener Regeln im jeweiligen Feld gleichkäme.
In der Wissenschaft bestehe besonderer Nachholbedarf zum Thema, wenngleich auf englischer Sprache in den vergangenen Jahren einige verwertbare Untersuchungen zu Bilderberg erschienen sind, zu nennen wären hier Valérie Aubourg, Thomas Gijswijt, Hugh Wilfort, Philip Murphy, Ian Richardsons sowie ältere Untersuchungen von Eugene Pasymowski und Peter Thompson.
Genau diese nutzt Wendt für seine eigene Analyse. Denn sowohl die verschwörungstheoretische Stilisierung, wie auch das politische Tiefstapeln und mediale Nichtbeachten der Konferenz sieht der Sozialwissenschaftler als nicht zielführend an. All dies verstellt den Blick auf eine fundierte und notwendige Kritik am Bilderberg-Netzwerk, das am ehesten unter dem Gesichtspunkt einer bedenklichen "Privatisierung und Re-Oligarchisierung der Politik" zu bewerten ist. Zu beachten ist dabei auch, dass - ähnlich wie bei dem Netzwerk "Atlantikbrücke" - die Organisationsstruktur der Konferenz klar transatlantisch geprägt ist. Die Gründung der Gruppe fand schon zwei Jahre vor der ersten Bilderberg-Konferenz im Jahre 1952 statt und hatte als erklärtes Ziel:
"[...] dem steigenden Antiamerikanismus in Europa entgegenzuwirken und den Zusammenhalt zwischen den Machteliten auf beiden Seiten des Atlantiks sowie die Europäisierungsbewegung zu stärken, um ein geschlossenes Bündnis des Westens gegen den Kommunismus zu gewährleisten."
Bilderberg, ein Relikt des Kalten Krieges, möchte man also meinen. Doch die Konferenzen entwickelten sich schnell zu einer wahren Schatzgrube dessen, was Bourdieu soziales Kapital nennt: Kontakte knüpfen, Beziehungsgeflechte stärken, bestehende Konflikte divergierender Macht-Netzwerke lösen, aufstrebende Akteure in die bereits existenten Zirkel aufnehmen und eben auch die politische Agenda bestimmen. Oder wie Wendt es ausdruckt:
"Die Mitglieder dieser Gruppe wollen nicht nur unverbindlich diskutieren. Sie wollen die Welt nach ihren eigenen Vorstellungen ordnen, wie es jeder Politiker letztlich ebenfalls will. Bilderberg erscheint ihnen also nicht nur als eine Möglichkeit der Steigerung des eigenen Machtpotenzials, sondern ebenfalls als eine Arena in der direkt und auf höchster Ebene in den gesellschaftspolitischen Diskurs der herrschenden Eliten des transatlantischen Raumes hinein gewirkt werden kann. "
Untersucht hat der Soziologe und Politologe auch die interne Struktur der Bilderberg-Gruppe, beziehungsweise der "Bilderberg Meetings", wie sich die Organisation seit einiger Zeit nennt. Seit 2010 verfügt das Netzwerk über eine offizielle Internetpräsenz, von der sich grundlegende Informationen bezüglich der Teilnehmer und der Themenagenda beziehen lassen. Doch Wendt blickte ein wenig tiefer und beschreibt die Gruppe als fließendes Netzwerk. In 60 Konferenzjahren wurden rund 2.500, meist wechselnde, Teilnehmer eingeladen. Zudem gibt es eine Art "harten Kern". Etwa 35 Akteure gehören dem sogenannten "Lenkungsausschuss" (Steering Committee) an, daneben gibt es eine Beratungsgruppe (Advisory Group). So gehörten oder gehören insgesamt rund 200 Personen dem inneren Kreis der Bilderberg-Meetings an. Diese Analyse deckt sich mit der Beobachtung, dass einige Teilnehmer, wie etwa der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, regelmäßig zu den alljährlichen Treffen kommen, andere nur einmalig.
Die Mitglieder des inneren Kreises haben dabei nicht nur die besten Chancen auf den Konferenzen neues soziales Kapital zu akkumulieren, sie bestimmen auch die Themenagenda und entscheiden über die Neueinladungen in den erlesenen Zirkel. Rund 70 Prozent der Einladungen gehen dabei an Europäer, der Rest an US-Amerikaner. Vertreter aus Afrika, Lateinamerika oder Asien werden nicht eingeladen. Ebenfalls ist das Feld stark männlich geprägt.
Bei seinen Untersuchungen stieß Wendt auf einen weiteren interessanten Zusammenhang: Sowohl auf den Konferenzen, als auch im inneren Kreis sind zwei Gruppen überrepräsentiert, die sonst kaum im öffentlichen Diskurs wahrnehmbar sind: Europäischer Hochadel und Superreiche. Sprich: Standes- und Geldaristokratie. Besonders diese beiden Gruppen gelte es stärker bei der Analyse gesellschaftlicher Herrschaftsstrukturen und geopolitischer Vorgänge zu untersuchen.
Wendt spricht damit einen sozialwissenschaftlichen Forschungsbereich an, dem per se zu wenig Beachtung geschenkt wird: Die Elitenforschung, für die die Bilderberg-Konferenzen letztendlich lediglich eines von vielen Betätigungsfeldern sind.
So ist es vor allem Ergebnis der blinden Flecken in Wissenschaft und Medien, wenn über die Frage "Wer regiert die Welt" bisher vor allem spekuliert wurde. Lediglich die Ansichten so genannter Verschwörungstheoretiker ins Lächerliche zu ziehen, greift dabei zu kurz. Derlei Theorien schießen ohnehin nur ins Kraut, wenn andere Bereiche des gesellschaftlichen Diskurses bereits versagt haben. Genug Anlass der Selbstkritik - und davon ausgehend der Optimierung - böte sich also im universitäten und massenmedialen Feld. Doch, wie Wendt richtig formuliert, beinhaltet dies auch die Notwendigkeit der Überwindung struktureller Korruptheit in den eigenen Strukturen.
Hinweis der Redaktion: RT Deutsch wird am Samstag von den Protesten gegen die diesjährige Bilderberg-Konferenz berichten.
Zum Thema Elitenforschung:
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