Bruno Kramm im RT Deutsch-Interview zum BND-Skandal: "Merkel muss sich ihrer Verantwortung stellen"
Bruno Kramm, du bist seit November letzten Jahres Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der Piratenpartei und arbeitest neben der Offenlegung zum geplanten Freihandelsabkommen wie TTIP, auch zu Fragen der Überwachung. Überraschen dich die neuen Erkenntnisse zu den Geheimdiensten, insbesondere die enge Zusammenarbeit zwischen BND und NSA?
Überraschen nicht wirklich. Nicht erst seit den Snowden-Leaks wissen wir ja von der breitbandigen Ausspähung, die von Bad Aibling aus vorgenommen wird. Mit den Snowden-Leaks kamen dann eben stichhaltige Beweise dazu. Die Vorgeschichte hatte viele Kapitel wie Echolon, PRISM, Eikonal und viele mehr.
Worin besteht genau das Problem bei der Zusammenarbeit von BND, NSA und anderen Diensten? Geheimdienste sagen doch immer, sie wollen lediglich die Gesellschaft vor Terroranschlägen und ähnlichem schützen - und dafür sei nun mal auch internationale Kooperation notwendig. Was ist daran falsch?
Das massenweise, lückenlose, anlasslose Speichern und Durchforsten von allen Datenströmen, die sie nur abgreifen können. Natürlich brauchen wir einen Schutz vor möglichen terroristischen Gefahren, aber eben im Rahmen normaler Ermittlungen, die immer auf Grund von Fakten entstehen und nicht durch das massenweise Abgreifen von Daten aus der Privatsphäre. Die Analogie von digitaler Privatsphäre und Privatsphäre wie zum Beispiel der eigenen Wohnung ist leider noch immer nicht begriffen worden. Niemand würde so einen tiefen Eingriff bis ins Schlafzimmer in dieser anlasslosen Form erlauben. Was internationale Kooperationen betrifft, brauchen wir natürlich mehr Transparenz. Denn wenn sich Ringe wie die "Five Eyes" gegenseitig helfen, um die Grundrechte der Bürger den jeweils anderen Ländern zu umgehen, indem dann der Partner in einem Land ausspäht, ohne rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen und vice versa, kann man nicht mehr von einer demokratisch legitimierten Arbeitsweise der Dienste sprechen.
Die Geheimdienste und auch die Regierung sagen, dass alles im strengen rechtlichen Rahmen stattfindet und die Bürgerrechte natürlich respektiert werden. Man könne das nur nicht belegen, da Geheimdienste ja die Eigenschaft haben im Geheimen arbeiten zu müssen. In der Tat eine Krux. Welche Lösung schlägst du für dieses Dilemma vor?
Offenheit gegenüber parlamentarischen Kontrollgremien und dem Untersuchungsausschuss. Hier muss endlich Licht ins Dunkel und die Tätigkeit von Geheimdiensten anhand der digitalen Möglichkeiten zurückskaliert werden. Das heißt, je mehr digital möglich ist, umso mehr muss auch beschränkt werden und das mit einer gewissen Nachvollziehbarkeit. Das ganze Problem ist aber auch tiefgreifender. Wenn ein Land wie Deutschland so massiv viele Waffen in Krisenländer exportiert und hier schon keine Transparenz zeigt, ist es kein Wunder, wenn vermeintliche Partner dann auch die Industrie in Deutschland ausspähen. Da steckt dann eben auch ein militärisches Interesse dahinter, zu wissen, was an Waffenarsenal wo landet. Wenn Deutschland, so wie von Bundespräsident Joachim Gauck vorgeschlagen, eine größere Rolle in der Welt spielen soll, muss auch über genau diese Dinge nachgedacht werden. Mehr Rüstungskontrolle, mehr Friedensengagement, gerade auch auf Grund unseres historischen Erbes.
Kritiker der Geheimdienste, die auf den Fakt der anlasslosen Massenüberwachung hinweisen, werden gerne als Verschwörungstheoretiker verunglimpft. Dabei ist nicht nur dank der Enthüllungen von Edward Snowden längst belegt, dass die Datensammelwut der Geheimdienste keine Grenzen kennt. Im aktuellen Skandal kam unter anderem heraus, dass die NSA bis zum jetzigen Zeitpunkt rund 4,5 Millionen Selektoren, also Aufträge zur Überwachung, an den BND weitergeben hat. Das betrifft 1,2 Millionen Personen und Institutionen! In einem aktuellen Beitrag des WDR heißt es, allein der BND-Standort in Bad Aibling sammelt pro Stunde 23 Millionen Rohdaten. Mit einer Überwachung von Gefährdern oder potentiellen Terroristen ist dies ja wohl kaum zu begründen.Worum geht es den Geheimdiensten wirklich bei ihren Überwachungsmaßnahmen?
Ich denke, dass durch die mangelhafte Kontrolle ein System angewachsen ist, das eine gewisse Allmachtsphantasie entwickelt hat. Die geht eben so weit zu glauben, durch lückenlose Überwachung eines jeden Menschen nicht nur mögliche terroristische Anschläge auszuschalten, sondern eben auch unliebsame Dissidenten und politische Strömungen, die gerade im digitalen Zeitalter entstehen, besser zu kontrollieren. Gerade der Arabische Frühling hat sicher vielen Institutionen, die schon lange ohne jede demokratische Legitimation vor sich hin werkeln, in Angst versetzt. Die Forderung der Menschen, mehr an Macht zu partizipieren und mehr Transparenz einzufordern, stößt auf ein verkrustetet System. Gerade die Forderung digitaler Teilhabe und neuer demokratischer Beteiligungsmodelle stellt alte, elitäre Systeme vor große Probleme. Und gerade das Internet birgt für diese Systeme die Gefahr, dass Menschen weltweit auch über globale Dinge entscheiden wollen. Also nicht nur die nationalen Parlamente, sondern eben auch Entscheidungen gegenüber Dingen wie Freihandelsabkommen, Teilhabe, Daseinsfürsorge und Friedensbewegungen. Da trifft natürlich auf das Unverständnis von multinationalen Konzernen, ihren Lobbies und den Strukturen vieler Regierungen.
Darüber hinaus gibt es natürlich neben der staatlichen Überwachung noch die wirtschaftlich motivierte Kontrolle, Analyse und in Zukunft auch sicher niederschwellige Bedürfnisprogrammierung von Konsumenten.
Wenn die anlasslose Massenüberwachung der globalen Kommunikation eigentlich einem ganz anderen Zweck dient und nicht der Bekämpfung von Terrorismus, heißt dies ja nicht, dass das Problem von Terroranschlägen aus der Welt ist. Welche Lösung schlägst du im Gegenzug vor, um hier Gefahren abzuwenden?
Darüber könnte man jetzt Aufsätze schreiben. In aller Kürze: Mehr offene, transparente und partizipative Verhandlungsmandate. Globale Teilhabe ermöglichen, Armutsbekämpfung und Bildung vorantreiben. Für Demokratie und Menschenwürde werben statt unser westliches Narrativ mit der Gewalt von Freihandelsabkommen und Waffen durchzusetzen.
Die politische Führung des Landes, vorneweg Bundeskanzlerin Angela Merkel, macht im aktuellen BND-Skandal keine gute Figur. Erst gestern verteidigte Merkel in einem Videostatement die Kooperation des BND mit der NSA und erklärte diese für notwendig. Was hast du darauf zu erwidern?
Natürlich steckt Frau Merkel in einem hausgemachten Dilemma, das auch schon die Vorgängerregierungen betrifft. Geheimdienste durften immer in einem gewissen Maße frei agieren. Leider hatte Frau Merkel die letzte große Chance hier einzuschreiten verpasst. Als die Snowden-Leaks erschienen und dann das Abhören des Kanzlertelefons bekannt wurde, hätte sie die Reißleine ziehen müssen. Statt dessen lässt sie die enge Verbindung von NSA und BND, die seit Adenauer-Tagen existiert, streng genommen seit 1956, weiterlaufen. Es ist vollkommen verständlich, dass die ausländischen Nachrichtendienste nach Ende des Zweiten Weltkrieges Deutschland in die Pflicht nahmen. Daraus wurde dann nach Teilung Deutschlands der kalte Krieg der Dienste. Viele der alten Gesetze hinsichtlich Kontrolle der Nachrichtendienste stammen aus dieser Zeit. Dennoch unterstehen die Nachrichtendienste direkt Frau Merkel. Sie hat hier die Hauptverantwortung. Und der muss sie sich jetzt stellen.
Du rufst für kommenden Donnerstag, den 7. Mai 2015 von 10.30 - bis 12.00 Uhr zu der Demonstration "Lasst Stühle wackeln am Kanzleramt" auf. Worum geht es bei dieser Aktion? Warum hast du diesen Zeitpunkt gewählt und an wen richtet sich die Einladung?
An diesem Donnerstag tagt gegenüber im Paul-Löbe-Haus der NSA-Untersuchungsausschuss, darüber hinaus findet auch gleichzeitig die Konferenz re:publica statt. Gerade bei den Besuchern dieses Kongresses ist das Verständnis gegenüber der massenweisen, anlasslosen Ausspähung besonders groß. Deshalb hoffe ich auf eine rege Beteiligung. Wir fordern jetzt endlich die umfassende Aufklärung und personelle Konsequenzen. Neben Innenminister Thomas de Maizière betrifft das natürlich auch Frau Merkel selbst.
Vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte RT Deutsch-Redakteur Florian Hauschild
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