Schließung des Krimtataren-Senders ATR - Russische Zensur oder bewusst provozierter Skandal?  

Seit dem 1. April sendet der private TV-Kanal ATR der Krimtataren nicht mehr. Grund ist die nicht verlängerte Sendelizenz durch die russische Kommunikationsbehörde Roskomnadzor. Doch während westliche Medien und der Besitzer von ATR von Zensur sprechen, erklären russische Behörden, dass die Anträge bewusst verspätet und unvollständig eingereicht wurden, um einen entsprechenden Skandal zu provozieren. RT Deutsch beleuchtet die Hintergründe des Falles, der mal wieder komplexer ist, als es der Mainstream wahrhaben will.
Schließung des Krimtataren-Senders ATR - Russische Zensur oder bewusst provozierter Skandal?   Quelle: AP © Alexander Polegenko

Für die westlichen und insbesondere deutschen Mainstream-Medien scheint der Fall klar. Ob Guardian, TAZ, Welt oder Tagesschau, der Tenor ist derselbe, ATR wurde von den russischen Behörden zum Schweigen gebracht, da er kritisch über Angliederung der Krim an Russland und die Bedingungen der Krimtataren "unter russischer Besatzung" berichtet hatte. Auch das US-Außenministerium zögerte nicht lange mit einer Presseerklärung zu dem Fall, in dem "die Verweigerung der Sendelizenz" als ein "weiterer Schritt zur Untermininierung der Redefreiheit auf der Krim", verurteilt wurde. Die EU ging sogar noch einen Schritt weiter und sprach von "einem krassen Eingriff in die Redefreiheit im Rahmen einer sich ausweitenden Verfolgung und Einschüchterung der Krimtataren."

Doch wie so oft, ist die Sachlage auch in diesem Fall etwas komplexer, als der Westen es gerne wahrhaben will.

ATR war zuvor unter ukrainischem Recht die Sendelizenz erteilt wurden. Hauptanteilseigner von ATR ist der russische Geschäftsmann Lenur Islyamow. Er besitzt nach Angaben des Online-Portals Russian Insider zudem einen Kinder TV-Kanal und zwei FM-Radiostationen. Auch diesen wurde die Sendelizenz wegen fehlerhaften und unvollständigen Folgeanträgen nicht verlängert.

Was richtig ist, der Kanal wurde tatsächlich für seine Berichterstattung von Krimbehörden und Offiziellen kritisiert. So argumentierte Sergei Aksyonov, Präsident der Krim-Republik:

"Wir Machen gegenüber der Geschäftsführung des Senders klar, dass es unserer Ansicht nach, nicht akzeptabel ist, die aktuelle Situation noch weiter zu eskalieren und Angst zu verbreiten, indem der Kanal sich für die Rückführung der Krim an die Ukraine ausspricht, Leute zu entsprechenden Aktionen auffordert und Szenarien aufstellt, wie Personen die russische Pässe erhalten haben, in der Ukraine dafür bestraft würden."
Auch die "Milli Firqua" (Volkspartei der Krim), ein Zusammenschluss aus verschiedenen sozialen Bewegungen der Krimtataren argumentiert in einer Stellungnahme vom 27. März 2015, dass ihrer Einschätzung nach, die Verlängerung der ATR-Lizenz nicht aus politischer Willkür und Unterdrückung geschah. Sie betonen die guten kulturellen Beiträge, kritisieren aber vehement die "einseitige Berichterstattung" zu politischen Themen:
"Seit dem Beginn der Ausstrahlung von ATR, hat der Sender fast ausschließlich als Sprachrohr des [ukrainischen] Parlaments agiert, und systematisch in aggressiver Sprache Nationalismus und die westlichen Werte ihrer überseeischen Schirmherren propagiert."
Weiter verweist Milli Firqua auf die "ominösen" Finanzierungsquellen von ATR, die zu Beginn vor allem von unbekannten Anteilseignern in der Türkei stammten sowie danach von dem russischen Geschäftsmann Lenur Islyamow, der ATR 2011 übernahm.

ATR sendete vor allem die Ansichten der sogenannten Mejlis, einer Jahrzehnte alten Kommission der krimtatarischen Nationalversammlung Kurultai. Diese wurde laut Milli Firqua im Laufe der letzten Jahre immer stärker von rechtsradikalen, pro-ukrainischen Politik- und Wirtschaftsinteressen geleitet.

Die krimtatarische Milli Firque kritisiert in diesem Kontext, dass Ansichten und Meinungen von Vertretern der Krimtataren, die nicht mit denen von Mejlis übereinstimmten, kaum bis gar nicht bei ATR zu Wort kamen.

Und genau hier kommt das westliche Narrativ an seine Grenzen. Denn die Krimtataren werden mitnichten vor allem von den Mejlis vertreten, wie westliche Medien gerne glauben machen.

Denn in Umfragen kommen sowohl Mejlis als auch die Milli Firque auf Zustimmungsraten zwischen 15 und 20 Prozent. Laut dem Vorsitzenden von Milli Firque, Waswi Ennanonwich, zeigt sich aber die Mehrheit der Krimtataren eher als apolitisch und neigen keiner der beiden Ausrichtungen zu.

Einer repräsentativen Umfrage im Dezember 2014 zufolge, erklärten 30 Prozent der Krimtataren, gefragt nach ihrer Meinung zum Anschluss der Krim an Russland, dass sie diese für "falsch" hielten.

Ebenfalls 30 Prozent erklärten aber auch, dass sie diesen für "insgesamt richtig" bewerten und weitere 20 Prozent für "absolut richtig". Die restlichen 20 Prozent antworteten mit "Keine Meinung" oder verweigerten die Auskunft.

Sowohl diese Umfrage, als auch eine weitere im Januar 2015, partiell finanziert von der kanadischen Regierung und durchgeführt von dem deutschen Umfrageinstitut GfK, zeigte eine überwältigende Mehrheit für den Anschluss an Russland, darunter auch der Krimbewohner mit ukrainischer Abstammung, die zirka 24 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen.

Insgesamt leben laut einem im Dezember 2014 durchgeführten Zensus  2,3 Millionen Menschen auf der Krim, davon sind rund 12 Prozent Krimtataren.

Milli Firqua zeigt sich explizit kritisch gegenüber Mejlis und deren Alleinvertretungsanspruch, doch impliziert dies in keiner Form eine "hörige" Haltung gegenüber Moskau oder den Behörden auf der Krim, ganz im Gegenteil. So kritisierte der  Zusammenschluss aus verschiedener sozialer Bewegungen der Krimtataren vehement die Medienpolitik auf der Krim, aber aus ganz anderen Beweggründen als im Falle von ATR.

Milli Firqua kritisieren die neuen politischen Eliten auf der Krim dafür, dass sie in keiner Form auf ihren Vorschlag zur Demokratisierung der "krimtatarischen Medienlandschaft" und der  Gründung eines öffentlichen Senders in Tartaren-Sprache eingegangen seien. Während zahlreiche Wirtschaftsunternehmen die sich in der Hand von ukrainischen Oligarchen befanden enteignet wurden, sei im Bereich der Medienlandschaft nichts geschehen und alles beim Alten belassen wurden, so der Vorwurf von Milli Firqua.

Ihnen zufolge, haben diese Fehler es ermöglicht, dass jetzt "ein Spektakel" veranstaltet wird, in Bezug auf die nicht verlängerte Lizenz von ATR. "Heute, als ein Resultat von Nachlässigkeit, Inkompetenz oder sogar böser Absicht von Offiziellen, hat die Krim nun einen großen Skandal , mit Vorwürfen der Diskriminierung und der Verletzung von fundamentalen Menschenrechten. In Folge wird von gewissen Kräften versucht Russland auf internationaler Ebene zu diskreditieren", so Milli Firqua in einer Stellungnahme.

ATR war bei weitem nicht die einzige Medienquelle in der Sprache der Krimtataren. Der öffentliche Fernsehkanal der Halbinsel, "Krym", hat ein extra Sendeformat auf krimtatarisch, zudem gibt es zahlreiche krimtatarische Zeitungen wie "Die Stimme der Neuen Krim", "Neue Welt" sowie "Der Stern".

Was westliche Medien ebenso gerne in ihrer Berichterstattung verschweigen, ist der am 21. April 2014  von Präsident Wladimir Putin verabschiedete Erlass:

"Ich habe ein Dekret unterzeichnet, welches die Bevölkerung der Krimtataren, der Armenier, Deutschen und Griechen - also all diejenigen, die auf der Krim unter Stalins Repression gelitten haben- wieder rehabilitiert. Ziel des Erlasses ist es, die historische Gerechtigkeit wieder herzustellen sowie die Folgen der illegalen Deportation und die Verletzung ihrer Rechte zu beheben."
Zuvor waren die benannten "Volksgruppen" in der Stalin Ära der Kollaboration mit dem deutschen Nationalsozialismus angeklagt gewesen, und hatten deswegen unter repressiven Maßnahmen zu leiden.

Die Krimtataren haben nichtsdestotrotz nach wie vor legitime Forderungen und Beschwerden, wie etwa die nur sehr langsam voranschreitende politische Reform hinsichtlich einer größeren politischen Repräsentanz sowie die Forderung der Rückgabe der im Zuge der Deportationen verlorenen Landgüter.

Doch auch in diesem Fall hat der russische Außenminister Sergei Lawrow, "unbemerkt" von westlichen Medien, am 4. April in einer Pressekonferenz bekannt gegeben, dass Russland an einem Gesetzesentwurf arbeitet, um eine Entschädigung für die Krimtataren in die Wege zu leiten.

Was die ganzen Geschichte um die Lizenzverweigerung für den privaten TV-Sender ATR aufzeigt, ist natürlich die darin sichtbare Heuchelei und angelegten Doppelstandards der westlichen Medien. Während sie sich geradezu  auf den Fall um ART gestürzt haben, wird die massive Verfolgung und Inhaftierung von Journalisten und Antikriegsaktivisten in der Ukraine sowie der Krieg gegen die eigene Bevölkerung entweder verschwiegen oder in den Kontext eines "edlen Kampfes für die Souveränität der Ukraine" gesetzt.

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