Das neue Jahr brachte einige unangenehme Überraschungen für die US-Gasexporteure. So beeinträchtigte der ungewöhnlich warme Winter die Nachfrage in Europa. Im vergangenen Jahr bereitete sich Brüssel auf eine mögliche Unterbrechung des russischen Gastransits durch die Ukraine vor und lagerte Treibstoff, um einen kalten Winter zu überstehen, der allerdings bisher ausblieb. Daher sind die europäischen Gasspeicher randvoll. Die Europäische Union (EU) braucht einfach kein Flüssiggas (Liquified Natural Gas, LNG) aus den USA.
Auch auf dem asiatischen Markt sieht die Situation nicht viel besser aus. Das jüngst erzielte Handelsabkommen zwischen China und den USA sieht den Kauf von US-Brennstoff im Wert von etwas über 50 Milliarden US-Dollar in den kommenden zwei Jahren vor. Der Ausbruch des Coronavirus hat jedoch die industrielle Produktion verlangsamt und den Energiebedarf verringert.
Darüber hinaus büßte das US-Gas nach dem Start der Pipeline "Power of Siberia" seine preisliche Wettbewerbsfähigkeit auf dem chinesischen Markt ein. Beobachtern zufolge kauft Peking Rohstoffe aus den USA nur aus politischen Gründen, wofür sich das asiatische Land Zeit lässt und die Virusepidemie als Grund für die Verzögerung von Importen nutzt.
EU-Umweltauflagen bedrohen die langfristigen LNG-Perspektiven
Die EU kündigte auf der Europäischen Gaskonferenz in Wien Ende Januar die Überarbeitung der Regeln für die Gasindustrie an. Die Maßnahmen umfassen zwei Strategien. Deren erste ist die Aufgabe von langfristigen Gaslieferverträgen.
Wir werden von langfristigen Gaslieferverträgen Abstand nehmen, weil sie unter den derzeitigen Bedingungen verhindern, dass Europa sein Ziel von null CO2 bis 2050 erreicht", sagte Klaus-Dieter Borchardt, Vizepräsident der Generaldirektion Energie der Europäischen Kommission.
Die meisten US-amerikanischen Verträge sind dagegen langfristig angelegt. Im Jahr 2019 schlossen die USA fünf Abkommen über die Lieferung von 22,3 Millionen Tonnen LNG innerhalb von 15 oder 20 Jahren ab.
Eine zweite Strategie betrifft die neuen EU-Pläne zur Prüfung des Ausmaßes der Kohlenstoffdioxid-Emissionen aller Gaslieferanten für den europäischen Markt. Dafür rechnet man mit einer detaillierten Überprüfung "entlang der Lieferkette, einschließlich Methanaustritt und Abfackeln in den Förderländern".
So hat etwa die US-Umweltschutzbehörde berechnet, dass die Methanausstöße beim Abfackeln von Begleitgas im texanischen Perm-Becken den Emissionen von zwei Millionen Autos entsprechen. Und der norwegischen Beratungsfirma Rystad Energy zufolge verbrennen beispielsweise allein die zwei großen Schiefergasfelder Marcellus und Bakken mehr Gas als Länder wie Ungarn, Israel, Aserbaidschan, Kolumbien und Rumänien.
Die Produzenten verfügen oft nicht über die erforderliche Infrastruktur und Einrichtungen zur Förderung, Lagerung und zum Transport der Begleitgase.
Während die US-Behörden die Augen vor dieser Situation verschließen und symbolische Geldstrafen verhängen, zeigt sich die EU hier entschlossener.
"Da müssen wir besser sein", bekräftigte Borchardt, dessen Daten zufolge die CO2-Emissionsraten bei der LNG-Produktion in Australien und den USA doppelt so hoch sind wie jene beim Erdgas, das über Pipelines aus Norwegen oder Russland nach Europa gelangt.
Chinesische Energieimporte gemäß Marktbedingungen
Ein Blick in das Kleingedruckte des kürzlich unterzeichneten ersten Teils des Handelsabkommens zwischen den USA und China lässt an dem Versprechen eines Booms der US-Energieexporte nach China zweifeln:
Die Parteien erkennen an, dass die Käufe zu Marktpreisen auf der Grundlage kommerzieller Erwägungen getätigt werden und dass die Marktbedingungen, insbesondere bei landwirtschaftlichen Gütern, den Zeitpunkt der Käufe innerhalb eines bestimmten Jahres diktieren können", heißt es in dem Handelsabkommen.
Bei der Unterzeichnung des Abkommens sagte der chinesische Vizepremier Liu He auch ausdrücklich, dass die Käufe Chinas "auf der Grundlage der Marktnachfrage in China und in Übereinstimmung mit den Marktbedingungen erfolgen werden".
Mit anderen Worten: China sagt, dass seine Käufe von den Marktbedingungen bestimmt werden.
Sollte dies der Fall sein, wird China aufgrund der Regierungsvorgaben und Marktverhältnisse im Energiehandel zumindest im Moment nicht überstürzt riesige Mengen an Rohöl und verflüssigtem Erdgas (LNG) kaufen. Die chinesischen Zölle auf einige US-Energieprodukte bestehen nach wie vor, und die Marktnachfrage in diesem Jahr wird mit dem Ausbruch des Coronavirus immer schwieriger zu quantifizieren. Darüber hinaus ist selbst der laufende Ausbau der Raffineriekapazitäten in China nicht auf die Verarbeitung des leichten US-Öls ausgerichtet.
Chinas Zölle auf US-Energie haben Gewicht auf dem Markt
Das Problem mit den marktgetriebenen Importen von US-Energieprodukten besteht darin, dass China – trotz der Unterzeichnung des ersten Teils des Handelsabkommens – seine Zölle auf US-Energieimporte noch nicht aufgehoben hat. Ebenso wenig hat es nach der Unterzeichnung des Abkommens angedeutet, dass die Aufhebung dieser Zölle unmittelbar bevorsteht.
Chinas Importzölle auf Rohöl und LNG aus den USA liegen weiterhin bei fünf bzw. 25 Prozent. Diese Zölle machen die Öl- und Erdgasimporte in China für viele Unternehmen unwirtschaftlich. Überlegungen zu deren Abschaffung hat die chinesische Seite bislang nicht signalisiert.
Zwar könnten staatseigene große Ölkonzerne von der chinesischen Regierung angewiesen werden, US-amerikanisches Rohöl zu kaufen und schwache Raffineriemargen aufgrund des zollbedingten höheren Importpreises zu schlucken. Doch Chinas unabhängige Raffinerien werden Experteneinschätzungen zufolge wohl weiterhin das US-amerikanische Öl meiden.
Sollten die fünfprozentigen Zölle nicht aufgehoben werden, würden sie die Raffineriemargen zu einer Zeit belasten, in der China verspricht, deutlich mehr US-Öl zu kaufen.
Da China die Zölle auf US-Energiegüter noch nicht aufgehoben oder den Käufern Ausnahmen gewährt hat, werden sich im Weiteren politische Genehmigungen gegenüber Marktprinzipien durchsetzen müssen, um sicherzustellen, dass genügend Rohöl, LNG, LPG, Ethanol und Kohle von den USA nach China fließen", heißt es in dem Bericht 'China: Schlüsselthemen für 2020' des Oxford Institute of Energy Studies (OIES), der im Januar erschien.
Trotz eines zu erwartenden Anstiegs der US-Energieexporte nach China, der von einem aktuell sehr niedrigem Niveau startet, stimmen Experten darin überein, dass China seine ambitionierten Versprechen aus dem ersten Teil des Handelsabkommens nicht einhalten wird.
Die derzeit niedrigen Ölpreise können zu einer Nachfrageschaffung in Ländern führen, die stark von Importen abhängig sind, insbesondere beim weltgrößten Ölimporteur China. Aber je niedriger der Ölpreis, desto mehr Mengen muss China kaufen, um das Ziel des Abkommens zu erreichen, das in US-Dollar und nicht in Barrel pro Tag festgelegt ist.
Zwar könnte China die Einfuhr von US-LNG erheblich steigern, um das US-Dollar-Ziel für Energiekäufe zu erreichen. Doch der derzeitige Zollsatz von 25 Prozent ist für Importeure völlig unerschwinglich, insbesondere zu einer Zeit, in der die LNG-Preise am Spotmarkt auf einem Zehnjahres-Tiefstand liegen.
Solange China die Zölle auf seine Energieimporte aus den Vereinigten Staaten nicht aufhebt, gibt es wenig Raum für einen US-Exportboom von Öl und Gas auf dem chinesischen Markt.
"Gas-Armageddon" in den USA
Analysten der Bank of America warnen davor, dass aufgrund all dieser Faktoren die Exporte für die US-Gasproduzenten einfach unrentabel werden könnten. In diesem Fall müssten die Preise so weit fallen, dass der Einsatz von Gas die billige Kohleverstromung im Mittleren Westen der USA verdrängen würde.
Das warme Winterwetter hat uns ein 'Gasmargeddon' [sic] beschert", heißt es bei den Experten der Bank of America.
Und weiter:
Die US-Erdgaspreise müssen möglicherweise tief genug sinken, um die Nachfrage nach Erdgas aus dem Energiebereich des Mittleren Westens der USA zu stimulieren und den gesamten globalen Gasmarkt auszugleichen.
Sollte es dem Energiesektor in den USA im laufenden Jahr nicht gelingen, den Gasmarkt zu stabilisieren, dann wird das laut der Bank of America ein "Gas-Armageddon" zur Folge haben – einen massiven Bankrott der Gasunternehmen sowie ihrer Aktionäre und Gläubiger.
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