Medienberichte: EU will Sanktionen gegen Drittländer, über die Russland Sanktionen umgeht

Brüssel droht mit einem neuen Weg, Russland zu "bestrafen": Die Europäische Kommission hat vorgeschlagen, Exporte in Drittländer zu beschränken, um die Umgehung von antirussischen Sanktionen zu verhindern. Dies berichten die dpa und Politico übereinstimmend. Nach Ansicht russischer Experten ist dies entweder Augenwischerei oder wird ein Schuss ins eigene Knie.

Die Europäische Kommission hat vorgeschlagen, der EU zu erlauben, Exporte in Drittländer zu beschränken, um die Umgehung antirussischer Sanktionen zu verhindern, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Dies könnte insbesondere Güter mit doppeltem Verwendungszweck betreffen, heißt es. Politico hatte zuvor ebenfalls über die Initiative zur Begrenzung der Exporte berichtet. Mit Blick auf die EU-Sanktionspolitik insgesamt betonten die Journalisten, dass es Brüssel oft "an Druckmitteln" fehle, um Drittländer dazu zu bewegen, dem westlichen Kurs zu folgen.

"Nach den vorliegenden Informationen besteht der konkrete Plan darin, zunächst – zur Abschreckung – eine rechtliche Möglichkeit zu schaffen, Exporte in Drittländer zu beschränken, die angeblich bei der Umgehung der antirussischen Sanktionen helfen. Sollte das nicht ausreichen, könnten in einem zweiten Schritt bestimmte Lieferungen tatsächlich gestoppt werden. Dies beträfe wahrscheinlich vor allem Güter, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können", berichtet die dpa.

Als Beispiel für solche Güter nennt die Agentur Nachtsichtgeräte, die von Soldaten und Sicherheitsfirmen sowie Jägern genutzt werden.

Zu den Ländern, über die die Sanktionen gegen Russland angeblich "umgangen" werden, gehören nach Brüsseler Darstellung unter anderem Kasachstan, Armenien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Gleichzeitig behauptet die Agentur, dass eine große Anzahl von Produkten aus den EU-Mitgliedsstaaten selbst seit mehreren Monaten nicht mehr nach Russland geliefert worden sei. Neben Gütern mit doppeltem Verwendungszweck wie Nachtsichtgeräte und Drohnen gelte dies laut dpa auch für "bestimmte Arten von Maschinen oder bestimmte Computerchips".

Neben dem neuen Exportkontrollinstrument könnten unter anderem auch zusätzliche Strafmaßnahmen gegen Personen und Organisationen eingeführt werden, die den russischen Invasionskrieg gegen die Ukraine unterstützen, so die Nachrichtenagentur weiter.

Zuvor, am 28. April, zitierte die Zeitung Politico drei nicht benannte EU-Diplomaten mit der Aussage, dass europäische Beamte im Rahmen des nächsten EU-Sanktionspakets gegen Russland Pläne entwickeln, Drittländern "wirtschaftliche Strafmaßnahmen" aufzuerlegen, wenn diese die westlichen Beschränkungen nicht einhalten oder "den plötzlichen Anstieg des Warenhandels" nicht erklären können.

"Ein solcher Mechanismus … wäre der erste Schritt hin zur Praxis der sogenannten sekundären oder extraterritorialen Sanktionen, die von den Vereinigten Staaten bereits angewandt werden."

Wie ein Diplomat gegenüber Politico erklärte, "wäre dies ein wichtiger politischer Wandel für die EU".

Politico zufolge verdeutlicht die aktuelle europäische Initiative die wachsende Verärgerung der EU über die Umgehung der westlichen antirussischen Sanktionen durch "skrupellose Länder und Unternehmen". Der Zeitung zufolge versuchen im postsowjetischen Raum "Mittelsmänner, vom Weiterverkauf unzugänglicher Waren nach Russland zu profitieren". Insbesondere gehe es dabei um Staaten wie Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan.

Einem Diplomaten zufolge sollte die EU jedoch vorsichtig vorgehen, damit ein solcher Ansatz diese Länder nicht "in die Hände Indiens, Chinas oder Russlands" treibt:

"Es muss ein Gleichgewicht gefunden werden zwischen hartem Widerstand gegen unfairen Handel und der Aufrechterhaltung wirtschaftlicher Beziehungen."

Noch ist nicht klar, wie der angestrebte Mechanismus funktionieren wird. Insbesondere ist nicht bekannt, ob Sanktionen gegen ganze Länder verhängt werden oder nur gegen Einzelpersonen oder Organisationen, die in bestimmten Ländern tätig sind.

Auch die Weltwirtschaft wird betroffen sein

Bevor Mitte April westliche Medienberichte über mögliche extraterritoriale Sanktionen auftauchten, erklärte auch die EU-Kommissarin für Finanzstabilität, Mairead McGuinness, in einem Interview mit CNBC, dass die EU die Einführung eines elften Pakets antirussischer Sanktionen vorbereite. Sie sagte, die EU müsse sich darauf verlassen können, dass Russland keine Wege finden werde, diese Sanktionen zu umgehen.

Mit Blick auf die Absichten Brüssels erklärte der Kreml, dass ein weiteres antirussisches Vorgehen die "wachsende Tendenz zu einer weltweiten Wirtschaftskrise" weiter verstärken werde. Der Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, erklärte gegenüber Reportern:

"Wir gehen davon aus, dass sowohl die aktuellen Sanktionen, die gegen unser Land verhängt wurden, als auch die neuen zusätzlichen Schritte, über die Brüssel und Washington jetzt möglicherweise nachdenken, in jedem Fall auch die Weltwirtschaft treffen werden."

Der Sprecher der Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, betonte seinerseits in einem Interview mit Pawel Zarubin für die Sendung Moskau. Kreml. Putin des Senders Rossia 1, dass die Bürger Europas die Entscheidung Washingtons und Brüssels, weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen, am eigenen Leib zu spüren bekämen.

Ein Schuss ins eigene Knie oder Augenwischerei?

Nach Ansicht von Wladimir Schapowalow, dem stellvertretenden Direktor des Instituts für Geschichte und Politik an der Staatlichen Universität Moskau, wirken die westlichen Medienberichte über die Initiative Brüssels, Exporte in Drittländer zu verbieten, wie ein Versuch, "die Stimmung der Weltöffentlichkeit hinsichtlich möglicher Neuerungen auszuloten".

"Dabei ist die EU schon lange nicht mehr in der Lage, Russland irgendwelche Beschränkungen aufzuerlegen, schon gar nicht extraterritoriale. Mit jeder neuen Serie von Sanktionen wird es für die EU immer schwieriger, deren wirtschaftliche und soziale Folgen zu bewältigen. Die Empörung einer Reihe von EU-Ländern über den eingeschlagenen Kurs und die Uneinigkeit darüber sind auch nicht verschwunden",

erläuterte Schapowalow in einem Gespräch mit RT.

Gleichzeitig versuche Brüssel mit der Aufnahme von Gesprächen über ein neues Sanktionspaket gegen Moskau ein weiteres Signal an Washington und Kiew zu senden, das seine Loyalität bekräftigt, so der Experte:

"Die EU will ihren amerikanischen Verbündeten ihre Entschlossenheit im Kampf gegen Russland demonstrieren. Dieses Verhalten Brüssels ist vor dem Hintergrund der ständigen US-Forderungen nach einer Verschärfung der Sanktionen gegen Russland verständlich. Zugleich versucht die EU zu manövrieren und zu verzögern, denn Brüssel hat seine Sanktionsmöglichkeiten längst ausgeschöpft. Die EU wird nicht mehr in der Lage sein, Sanktionen zu verhängen, die der russischen Wirtschaft einen ernsthaften Schaden zufügen würden. Gleichzeitig erleben wir enorme negative Folgen für Europa selbst, vor allem im Energiesektor: Die EU findet immer noch keinen Ersatz für die russischen Energieressourcen."

Ein weiteres Ergebnis der EU-Sanktionspolitik gegen Russland sei ein deutlicher Anstieg der Inflation in den EU-Ländern, erinnert Schapowalow:

"Die europäischen Staats- und Regierungschefs waren zu Beginn ihrer Sanktionspolitik sehr optimistisch und glaubten, dass es Russland sein würde, das eine Hyperinflation erleben werde. In der Folgezeit kam es in Russland nur zu einem geringen Preisanstieg, während eine Reihe von EU-Staaten von einer ernsthaften Inflationswelle getroffen wurde. Eine weitere negative Folge für die EU-Länder war die Flucht europäischer Unternehmen über den Ozean in die USA, weil Energie dort billiger ist. Aber die negativen Auswirkungen der europäischen Sanktionen auf die EU selbst fangen gerade erst an – die Union wird wegen ihrer schlecht durchdachten Sanktionspolitik noch jahrzehntelang Probleme haben."

Gleichzeitig ist Schapowalow zuversichtlich, dass "die bereits sterbende europäische Wirtschaft ausbluten wird", wenn die EU beschließen sollte, ein Verbot von Exporten in Drittländer zu verhängen, um Russland zu schaden.

"Tatsache ist, dass die europäische Wirtschaft jetzt versucht zu überleben, indem sie genau diese Drittländer umgeht und im Grunde ihre eigenen, gegen Russland verhängten Sanktionen missachtet. Wenn die EU die Initiative umsetzt, wird sie der europäischen Wirtschaft kolossalen Schaden zufügen und ihrem Ruf bei den nicht-westlichen Ländern, auch in Asien, schaden."

Pavel Feldman, außerordentlicher Professor an der Akademie für Arbeit und soziale Beziehungen, vertritt eine ähnliche Meinung. Ihm zufolge wäre es "sehr voreilig", wenn Brüssel solche Maßnahmen ergreifen würde. Gegenüber RT sagte Feldman: 

"Die EU hofft, auf diese Weise den Druck auf Staaten und Unternehmen zu erhöhen, die über den Parallelimport-Mechanismus westliche Waren nach Russland liefern. Das ist zwar völlig legal, dient aber dennoch als Instrument zur Umgehung unfreundlicher europäischer Wirtschaftsmaßnahmen. Allerdings ist dieses System so komplex, so mehrstufig, mit so vielen beteiligten Unternehmen und Staaten, dass es Brüssel kaum gelingen wird, diesen verzweigten Mechanismus mit einem Sanktionspaket zu stoppen."

Nach Ansicht des Experten befindet sich die EU in einer ausweglosen Situation und ist bereit, den politischen Willen zur Umsetzung der Initiative zu zeigen, auch wenn "ihre beabsichtigte Wirkung de facto unerreichbar ist".

"Dies ist wirklich eine Absichtserklärung, die nichts mit der objektiven Lage zu tun hat. Jedes neue EU-Sanktionspaket erscheint eher wie eine weitere Reihe von Beschränkungen, die völlig unrealistisch sind."

Übersetzung aus dem Russischen

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