Bei dieser Zahl muss man dreimal hingucken, um sie zu glauben: Das Vermögen der französischen Milliardäre ist zwischen 2009 und 2020 um unglaubliche 439 Prozent angestiegen. Und nach der boomenden Volkswirtschaft Chinas ist das Vermögen der "Superreichen" in diesem Jahrzehnt in Frankreich am stärksten gewachsen. Ein Vergleich illustriert die spektakuläre Entwicklung: Das kumulierte Vermögen der US-amerikanischen Milliardäre ist im selben Zeitraum um 170 Prozent gestiegen, das der Deutschen um 175 Prozent und das der Briten um 168 Prozent.
Dabei gibt es auch innerhalb der Wohlhabenden in Frankreich feine Unterschiede. Unter den französischen Milliardären sind vor allem die reichsten noch einmal deutlich reicher geworden. In den Top 30 der Bloomberg-Rangliste der größten Vermögen der Welt befinden sich nun fünf Franzosen. Von Bernard Arnault (Nummer 3), die Gebrüder Wertheimer, Besitzer von Chanel (Nummer 30) bis hin zu Françoise Bettencourt Meyers (Nummer 11), der Erbin von L'Oréal.
Frankreich ist insgesamt die Nummer zwei in dem Ranking – zwar immer noch weit hinter den USA und mit 17 Multimilliardären, aber vor China (vier), Indien (zwei) und Spanien mit einem. Nachbarländer mit vergleichbaren Volkswirtschaften wie Deutschland, Großbritannien und Italien haben keine vorzuweisen. Erweitert man die Top 100, liegt der Italiener Giovanni Ferrero, Gründer des gleichnamigen Lebensmittelkonzerns auf Platz 39, der Deutsche Klaus-Michael Kühne auf Platz 41 und der Brite James Dyson auf Platz 50. Mit einem geschätzten Vermögen von 150 Milliarden US-Dollar übersteigt Bernard Arnaults Vermögen das aller deutschen Milliardäre unter den Top 100 um 50 Prozent.
Diese Entwicklung ist beispiellos in der französischen Geschichte. Im Forbes-Ranking der Milliardäre, ein Ranking das ständig aktualisiert wird und deswegen "World's Real Time Billionaires" genannt wird, sind zwei Franzosen unter den zehn reichsten Menschen der Welt (Bernard Arnault und Françoise Bettencourt Meyers). Das gab es es bisher noch nie. Bis Ende der 2000er Jahre gab es keine Franzosen in diesen Ranglisten, die von US-Amerikanern dominiert wurden. Ein paar Europäer schafften es gelegentlich in die Top 10, aber das waren die Albrecht-Brüder (Gründer von Aldi), der Spanier Ortega (Gründer von Zara) oder der Schwede Kamprad (Gründer von Ikea).
Die Luxusindustrie macht den Unterschied
Diese "Weihe der Franzosen" lässt sich durch den Boom von Luxusgütern in der Welt, insbesondere in den Schwellenländern, erklären. Bis in die 2000er Jahre waren die größten Vermögen diejenigen, die Imperien im Konsumgüter- und Massenvertrieb aufgebaut hatten, wie die Gründer von Ikea und Aldi oder in Frankreich die Familie Mulliez von Auchan (Supermarktkette). In der Forbes-Top-10 der reichsten Menschen der Welt befanden sich 2004 beispielsweise sechs Gründer oder Erben von Vertriebsunternehmen (Aldi und Walmart). Heute gibt es keine mehr.
Das letzte Jahrzehnt hat natürlich den Aufstieg von Techunternehmen gesehen, aber eben auch von Luxusgütern. Der letztgenannte Markt ist in den letzten Jahren buchstäblich explodiert. Bernard Arnault schien Recht zu haben, als er 2014 gegenüber dem US-Sender CNBC sagte:
"Können Sie vorhersagen, dass die Menschen in zwanzig Jahren immer noch ein iPhone benutzen werden? Vielleicht nicht [...]. Ich kann garantieren, dass sie in zwanzig Jahren immer noch Dom Pérignon trinken werden."
Laut der jährlich durchgeführten Studie der Unternehmensberatung Bain & Company hat sich der Umsatz mit Luxusgütern in 20 Jahren fast verdreifacht, von 108 Milliarden US-Dollar im Jahr 1999 auf 281 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019. Dieses Wachstum beschleunigte sich in den 2010er Jahren mit dem Entstehen einer wohlhabenden Klasse in Asien. Der Luxusmarkt wuchs in diesem Jahrzehnt um durchschnittlich 7,5 Prozent pro Jahr.
Und Frankreich ist nicht nur aktueller Fußballweltmeister, sondern auch Weltmeister im Luxus. Unter den 100 größten Luxuskonzernen der Welt haben die neun französischen Akteure laut der Unternehmensberatung Deloitte einen Marktanteil von 28,3 Prozent und liegen damit weit vor den USA, der Schweiz und Italien. Französische Luxusgüter werden derzeit in 180 Länder mit einer Exportquote von 90 Prozent exportiert.
Eine boomende Branche mit hochattraktiven Margen. Sie liegen im Durchschnitt zwischen 30 und 40 Prozent. Kein Wunder, dass die Aktienkurse von Luxusunternehmen begehrt sind. So hat der Luxus in wenigen Jahren quasi die Pariser Börse "übernommen", und der Trend hat sich mit der Corona-Krise noch einmal verstärkt. Nun kommen die drei Unternehmen mit der größten Marktkapitalisierung aus dem Luxussektor: LVMH, das 300 Milliarden Euro überschritten hat. L'Oréal, mit fast 200 Milliarden. Und Hermès, das im Februar zum ersten Mal die 100-Milliarden-Euro-Marke überschrit.
Die kombinierte Marktkapitalisierung dessen, was in Frankreich als "KOHL" (Kering, L'Oreal, Hermès, LVMH) bekannt ist, ist von 513 Mrd. Euro am 31. Dezember 2019 auf heute über 710 Mrd. Euro gestiegen. Eine Steigerung von 38 Prozent, die zu einer Erhöhung des Vermögens ihrer Großaktionäre geführt hat. Und vermutlich ist der Boom noch nicht vorbei. Die "Demokratisierung" von Luxusgütern dürfte in den kommenden Jahren weiter voranschreiten. Der Markt soll laut der Unternehmensberatung McKinsey von weltweit 2,4 Milliarden Käufern im Jahr 2018 auf 3,1 Milliarden im Jahr 2025 wachsen.
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