Russland: Unruhen wegen eines Gerichtsurteils in der Teilrepublik Baschkirien

In der russischen Teilrepublik Baschkirien kam es am Mittwoch in einer Kleinstadt zu Massenprotesten und in deren Folge zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und zu Festnahmen. Nun gibt der Chef der Nationalrepublik sich und den Behörden die Mitschuld am Geschehen.

Am Mittwoch kam es in der 18.000-Einwohner Stadt Baimak im südlichen Baschkirien (bekannt auch als Baschkortostan) zu Unruhen. Bis zu 2.000 Demonstranten haben sich am frühen Morgen vor dem örtlichen Gerichtsgebäude versammelt, um gegen ein Gerichtsurteil zu protestieren. Der von den Behörden als Extremist verzeichnete Aktivist Fail Alssynow wurde zu vier Jahren Lagerhaft verurteilt. 

Demonstranten skandierten "Freiheit!" und forderten den Rücktritt des Republikoberhaupts. Durch ihre Masse haben sie den Eingang zum Gerichtsgebäude blockiert. Die Versammlung war bei den Behörden nicht angemeldet. Später rückten die Soldaten der Nationalgarde (Rosgwardija) vor und nahmen einige Demonstranten gewaltsam fest. Es kam zu tumultartigen Szenen, als die Versammelten Schneebälle und andere Gegenstände in Richtung der Sicherheitskräfte warfen und die Polizei Tränengas einsetzte. Einige Personen erlitten Verletzungen, zwei Krankenwagen mussten gerufen werden. Die Auseinandersetzung dauerte mehrere Stunden. 

Am Donnerstag meldete sich das Oberhaupt der Republik, Radij Chabirow, auf Telegram ausführlich zu Wort und erklärte, dass er die Bürger nicht ausreichend über die Hintergründe des Gerichtsprozesses gegen den Aktivisten Fail Alssynow aufgeklärt habe. "Ich mache mir Sorgen – irgendwo liegt die Schuld bei uns, bei den Gemeinden, bei mir persönlich, weil ich die Menschen nicht bis zum Ende aufgeklärt habe, weil ich das Wesen und den Inhalt dieser Menschen nicht bis zum Ende aufgedeckt habe", schrieb er und merkte an, dass er immer gegen Extremismus kämpfe. Er teilte mit, dass Alssynow die als extremistisch verzeichnete Organisation der baschkirischen Nationalisten Baschkort angeführt habe. 

Der 34-Jährige hat auch an den Protesten gegen den Abbau von Sodalagerstätten am Berg Kuschtau im südlichen Ural-Gebirge aktiv teilgenommen. Im Jahr 2020 haben die Behörden unter dem Druck der Umweltschützer und anderer Aktivisten die Pläne fallen lassen und den Berg als Naturschutzdenkmal anerkannt. Spätestens seitdem genießt der Aktivist Fail Alssynow den Ruf eines Umweltschützers. Der Chef der Republik Chabirow ging in seiner Stellungnahme auf diesen Umstand ein. 

"Man kann sich die Maske eines guten Öko-Aktivisten, eines Patrioten aufsetzen, aber in Wirklichkeit ist die Situation ganz und gar nicht so. Eine Gruppe von Personen, von denen sich einige im Ausland befinden und im Grunde genommen Verräter sind, fordern die Abspaltung Baschkortostans von Russland", so Chabirow.

Das örtliche Gericht der Stadt Baimak verurteilte Alssynow wegen Aufstachelung zu Hass oder Feindschaft und Erniedrigung der Menschenwürde zu vier Jahren Haft in einer allgemeinen Strafkolonie. Grund für das Verfahren war eine Rede Alssynows, in der er unter anderem sagte: "Armenier werden in ihre Heimat gehen, kara chalyk – zu sich selbst, Russen – nach ihrem Rjasan, Tataren – nach ihrem Tatarstan. Wir werden nicht umziehen können, wir haben keine andere Heimat, unsere Heimat ist hier!" Laut einer Expertise war der Ausdruck "kara chalyk" als abschätzige Bezeichnung für Vertreter zentralasiatischer Länder verwendet worden. 

Die strafrechtliche Verfolgung Alssynows sollte nach dem Wunsch des Republikchefs jedoch in einem Kontext gesehen werden. Dazu gehört seine langjährige Tatigkeit in ultranationalsitischen Zirkeln, die sich für die Abspaltung Baschkortostans von Russland einsetzen und in den letzten Jahren, seitdem diese als extremistisch eingestuft wurden, aus dem Ausland gesteuert werden. Die Bevölkerung Baschkortostans setzt sich hauptsächlich aus drei Ethnien zusammen: Russen (37 Prozent), Baschkiren (31 Prozent) und Tataren (24 Prozent).  

Fail Alssynow streitet die Schuld ab. Nach der Urteilsverkündung hat er sich bei den Demonstranten für ihre Unterstützung bedankt. Er sagte, er habe nicht erwartet, dass so viele Menschen kommen. Er und sein Rechtsanwalt halten den Prozess für nicht rechtmäßig und kündigten im Gerichtssaal an, in Berufung zu gehen. 

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