Am Donnerstag teilte das Oberhaupt der Tschetschenischen Republik Ramsan Kadyrow mit, dass bei einem Artillerieangriff der ukrainischen Armee 23 Kämpfer aus Tschetschenien getötet und 58 verwundet worden seien. Dies geschah Anfang der Woche. Vermutlich handelte es sich um einen überraschenden Beschuss eines Soldatenquartiers mit Hochpräzisionswaffen, denn er sagte, dass alle Rettungsarbeiten abgeschlossen seien. Seine Meldung übermittelte er aus seinem Telegram-Kanal. Gleichzeitig wandte er sich in einer emotionalen Videoansprache auf Tschetschenisch an die Einwohner der russischen Teilrepublik:
"Zuallererst möchte ich den Angehörigen der Gefallenen sagen: In diesen Tagen wird nicht nur in euren Häusern getrauert, sondern in der ganzen Tschetschenischen Republik."
Er versprach staatliche finanzielle Unterstützung, um den Schmerz der Hinterbliebenen "irgendwie zu lindern". Außer der Übernahme der Beerdigungskosten sollte zwölf Millionen Rubel für einen Gefallenen und drei Millionen für einen Verwundeten ausgezahlt werden. Außerdem sollte den Familien eine kostenlose Pilgerreise nach Mekka ermöglicht werden. "Wir sind den Müttern, die der Menschheit solche Söhne geschenkt haben, auf ewig zu Dank verpflichtet", betonte er.
In seiner Ansprache begründete er noch einmal, was aus seiner Sicht der Kampf der Tschetschenen auf dem Territorium der ehemaligen Ukrainischen Sowjetrepublik für sie bedeutet. Dies sei ein heiliger Dschihad gegen dunkle, satanistische Kräfte. "Wenn es ihnen bestimmt ist, in einem heiligen Krieg zu fallen, ist das für jeden wahren Muslim eine Ehre und eine große Freude."
Am selben Tag postete Kadyrow einen weiteren Beitrag, der dank der enormen Reichweite seines Telegram-Kanals mit mehr als drei Millionen Abonnenten ebenso große Beachtung fand. Er meldete den Durchbruch einer kleinen motorisierten Gruppe der Ukrainer an einem Frontabschnitt der russischen Verteidigungslinien bei Swatowo im Norden der Volksrepublik Lugansk. Diese Stelle sei ihm zufolge unbeschützt gewesen. Die Schuld daran gab er dem für diesen Frontabschnitt zuständigen Kommandanten, Generaloberst Alexander Lapin. Insgesamt hätten "fünf Panzerfahrzeuge und 50 Neonazis die Linie kampflos überschritten". Den Durchbruch müssten tschetschenische Kämpfer stoppen.
"Um den Vormarsch des Feindes in seinem Gebiet zu stoppen, wurde daher beschlossen, sich aus der Verteidigung von Rubeschnoje zurückzuziehen und ein verstärktes Bataillon und eine Kompanie zu verlegen."
Die Kämpfer von Lapin seien an der Verteidigungslinie "nicht auffindbar" gewesen. Der Grund dafür sei aber nicht deren feiges Verhalten gewesen, sondern Kommandoversagen. Sie wurden laut Kadyrow von der Militärführung "ohne Kommunikation, Nahrung und Munition" zurückgelassen.
Damit äußerte sich Kadyrow zum zweiten Mal mit scharfer Kritik an Lapin. Im Vormonat habe der Generaloberst die Verteidiger in Krasny Liman in Stich gelassen. Der Chef der Republik und Schirmherr aller tschetschenischen Sondereinheiten wunderte sich, dass seitdem vom Generalstab nichts gegen die Missstände unternommen worden war.
Seit dem überraschenden Rückzug der russischen Streitkräfte aus dem Gebiet Charkow und weiteren militärischen Misserfolgen wird in Russland immer offener über die Probleme bei der militärischen Spezialoperation in der Ukraine diskutiert. Viele Kritiker werden für ihre Ehrlichkeit teilweise gelobt. Kadyrow war der Erste, der im September mit einer zuvor nie da gewesenen Offenheit sein Unbehagen über den Chef des westlichen Militärbezirks Lapin geäußert hatte. Viele Feldkommandeure und Militärexperte rufen jedoch zur Mäßigung auf. Öffentlich vorgetragene Information über die Uneinigkeit zwischen den Kommandostrukturen könnte vom Feind für psychologische Kriegsführung ausgenutzt werden.
Außerdem könnte sich die diskreditierende Kritik demotivierend auf Mobilisierte auswirken, so die Gegenkritik. Es sei der Motivation keinesfalls zuträglich, wenn die Spitzenkräfte als Versager bloßgestellt werden, schrieb der populäre Chef des Bataillons "Wostok" Alexander Chodakowski auf seinem Telegram-Kanal.
"Ein talentierter Kommandant kann in die Falle des Scheiterns tappen, während ein untalentierter Glück haben kann – wie ist es dann möglich, über deren Kompetenz zu urteilen?"
Was auch immer die Gründe seien, die die Person antreiben, die sich die Freiheit nimmt, ein Urteil zu fällen, es sei notwendig, an seine Zuständigkeiten zu denken, schloss Chodakowski im Hinblick auf Kadyrows Kritik.
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