Die russische Regierung hat Kontrollen für die Ausfuhr von Edelgasen eingeführt – auf Anordnung von Premierminister Michail Mischustin ist der Export solcher Produkte nur noch mit einer speziellen Regierungsgenehmigung möglich. Die Maßnahmen bleiben bis Ende des Jahres 2022 in Kraft. Diese Beschränkungen würden die weltweiten Hersteller von Mikrochips, Elektronik, medizinischen Geräten und Ausrüstungen für die Raumfahrtindustrie betreffen und seien eine Reaktion auf das Verbot des Westens, Hightech-Geräte nach Russland zu liefern, so die russische Nachrichtenagentur Eurasia Daily. Eine Quelle aus der russischen Regierung erklärte der Zeitung Iswestija:
"Russland will die unfreundlichen Staaten an ihre Importabhängigkeit erinnern. Das russische Wirtschaftsministerium wird nun festlegen, wer Zugang zu den für die Herstellung von Halbleitern wichtigen und kritischen Gasen Neon, Krypton und Xenon erhält, von denen mehr als 30 Prozent des Weltmarktes auf unser Land entfallen."
Und der stellvertretende russische Wirtschaftsminister Wassili Schpak meinte gegenüber Nachrichtenagentur TASS am Rande der Konferenz "Digitale Wirtschaft des industriellen Russlands", dass solche Beschränkungen Russlands Position auf dem globalen Mikroelektronikmarkt stärken sollten.
"Für die Herstellung von Halbleitern werden, wenn wir über den technologischen Prozess sprechen, etwa 4.000 verschiedene Materialien und Chemikalien verwendet, aber es gibt grundlegende Elemente, die fast jeder Hersteller in seinem Prozess hat, insbesondere Edelgase, vor allem Neon", sagte er. Zudem betonte Schpak, dass die weltweite Krise in der Halbleiterindustrie bereits während der Pandemie begonnen habe und dass die Beschränkung der Ausfuhr von Edelgasen "es ermöglichen wird, die Ketten, die jetzt unterbrochen sind, neu zusammenzusetzen und andere aufzubauen, aber bereits nach unseren Spielregeln."
Da Russland Ausfuhrbeschränkungen für Edelgase verhängt hat, dürfte sich die ohnehin schon angespannte Lage auf dem Halbleitermarkt weiter verschärfen. So kommt Neongas unter anderem in Laserlithografie-Systemen zum Einsatz, die bei der Herstellung von Mikrochips für Smartphones über Computer bis hin zu Autos verwendet werden. Vor der Ukraine-Krise lieferten zwei ukrainische Unternehmen, "Ingas LLC" mit Sitz in Mariupol und "Cryoin Engineering" mit Sitz in Odessa, mehr als 40 Prozent des weltweiten Angebots von Neon, berichtet Eurasia Daily. Anfang März stockte die Produktion beider Firmen und die Neonpreise stiegen weltweit um fast das Zehnfache.
Vor der russischen Militäroperation in der Ukraine entfielen rund 30 Prozent der weltweiten Neonversorgung auf Russland. Wie die Nachrichtenagentur Eurasia Daily feststellte, ist Russland auch ein wichtiger Lieferant von Rohstoffen für die Herstellung von reinen Edelgasen. Laut der Fachwebsite ImportGenius kaufte beispielsweise das in Odessa ansässige Unternehmen "Cryoin Engineering" Neon-Helium-Mischungen für die Herstellung von reinem Neon und Helium von dem russischen Unternehmen "Business Management". Das in Mariupol ansässige Unternehmen "Ingas LLC" Krypton bezog die Rohstoffe von dem russischen Unternehmen "Prommetresurs".
Viele westliche Elektronikunternehmen geben an, dass sie ihre Lieferantenquellen diversifiziert hätten, berichtet Eurasia Daily. Sie geben jedoch nicht an, ob ihre Lieferanten von russischen Rohstoffen abhängig seien. Die Washington Post berichtete zum Beispiel, dass der Markt für Edelgase von mehreren großen Unternehmen abhängig sei, zu denen "Linde Plc", "Air Liquide SA" und "Air Products and Chemicals Inc." gehören. Die Unternehmen geben ihre Lieferanten nicht bekannt und bevorzugen vertrauliche, langfristige Verträge, die Daten von ImportGenius zeigen jedoch, dass diese und andere westliche Unternehmen von russischen Lieferungen abhängig seien, so Eurasia Daily.
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