Russlands Geheimdienstchef im RT-Interview: Die USA wussten, was in Afghanistan passieren kann

Die US-Regierung hat vor dem Truppenabzug gewusst, wie sich die Ereignisse in Afghanistan entwickeln können, sagte der russische Geheimdienstchef Sergei Naryschkin. Doch die USA wollten der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen und haben ihre Fähigkeiten nicht berücksichtigt.

Sergei Naryschkin, Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes und Vorsitzender der Russischen historischen Gesellschaft, war zu Gast in der RT-Sendung Worlds Apart. Auf die Frage zur Situation in Afghanistan sagte er, die dortigen Ereignisse stünden aufgrund der strategischen Lage des Landes und der potenziellen Terrorgefahr seit jeher im Fokus des russischen Geheimdienstes. Er fügte hinzu:

Nach der Einführung der US-Truppen und der Alliierten nach Afghanistan herrschte in der Weltgemeinschaft der Standpunkt, dass sich die dortige Situation dank der Amerikaner normalisieren würde und die Präsenz der US-Truppen und NATO-Truppen eine zuverlässige Barriere sei, um die Ausbreitung der Terrorgefahr auf den gesamten eurasischen Raum zu verhindern. Leider war dies nicht der Fall.

Naryschkin sagte der Moderatorin Oksana Bojko, er sei überzeugt, dass die US-Führung alle Informationen darüber besaß, was in Afghanistan passierte und wie sich die Ereignisse entwickeln könnten. Doch sie hätten ihre eigenen Fähigkeiten nicht berücksichtigt und der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen wollen. Die Wahrheit bestehe darin, dass die USA ihrer angenommenen Funktion als globaler Hegemon nicht länger gerecht werden.

Der überstürzte Truppenabzug der USA und die Flucht der Marionettenregierung Afghanistans seien eine Folge der verderblichen US-Politik gewesen, so Naryschkin weiter. Ihm zufolge haben sie unter anderem eine ruinierte Wirtschaft, eine Zunahme des Drogenexports und des Waffenschmuggels hinterlassen. Die Aufgabe sei nun, Finanzen für die Wiederherstellung eines normalen Lebens und von Stabilität und Sicherheit bereitzustellen. In diesem Sinne sei das Zusammenspiel der Geheimdienste auf Partnerebene von großer Bedeutung. Russland stehe mit allen Geheimdiensten im Dialog.

Beim Thema Cybersicherheit betonte Naryschkin, dass Russland auf verschiedenen Plattformen versucht, ein internationales Informationssicherheitssystem aufzubauen. Man sehe auch, dass sowohl die USA als auch die NATO-Staaten ihr offensives Cyber-Potenzial entwickeln. Er versicherte, dass Russland seinen Bürgern die Sicherheit in diesem Bereich gewährleisten wird.

Auf die Frage nach dem sogenannten Havanna-Syndrom, das mit Kopfschmerzen, Gleichgewichts- und Hörverlust einhergeht und in Medien häufig mit russischen Geheimdiensten in Verbindung gebracht wird, sagte Naryschkin, er habe sich seit Beginn seiner Arbeit im sowjetischen Auslandsgeheimdienst für verschiedene Bereiche der Forschung interessiert:

Ich weiß, dass im Westen schon damals hinsichtlich der Wirkung elektromagnetischer Wellen und Schwingungen auf das menschliche Gehirn intensiv geforscht und entwickelt wurde, auch mit der Fähigkeit, menschliches Verhalten zu steuern.

Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes seien einem solchen Einfluss nicht ausgesetzt gewesen, fügte er hinzu. Hinsichtlich des Ursprungs des Coronavirus sagte Naryschkin, Russland habe keine Hinweise erhalten, dass das Virus in einem Labor entstanden sei. Man halte sich an die Version eines natürlichen Virusursprungs. Die endgültige Antwort auf diese Frage müssten jedoch Wissenschaftler geben.

Auf die Frage, inwieweit im Geheimdienst eine Art Ehrenkodex und Moral gelten, sagte Naryschkin, es sei nicht immer wahr, dass der Zweck alle Mittel heilige. Er führte ein Beispiel aus dem vergangenen Jahrhundert an. In den 1930er-Jahren, als sich der Zweite Weltkrieg allmählich abzeichnete, musste die sowjetische Führung Informationen zu den Plänen und dem Potenzial des Gegners beschaffen. Als potenzielle Informationsquelle wurde ein Wehrmachtsgeneral gewählt, der zugleich ein Frauenheld war. Die Mitarbeiterin Soja Woskresenskaja bekam den Auftrag, seine Liebhaberin zu werden und ihn auszuspionieren. Nachdem sie sich mit dem Plan vertraut gemacht hatte, sagte sie, dass sie die Aufgabe annehmen und die Informationen liefern würde. Danach werde sie sich aber erschießen. Der Plan wurde dann geändert und Woskresenskaja arbeitete weiterhin im Dienst des Vaterlandes.

Als Bojko wissen wollte, ob Naryschkin nach seiner ziemlich langen und abwechslungsreichen Erfolgsbilanz bereit sei, auch andere berufliche Herausforderungen anzugehen, sagte er: "Ich fühle mich vollkommen gesund, sowohl physisch als auch psychisch. Und zweitens: Ich bin im öffentlichen Dienst und das schätze ich."

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