Auf der Galeere: Von Jammer-Ossis und Asyltouristen

Am 3. Oktober wurde sie wieder gefeiert – die Deutsche Einheit. Doch die "blühenden Landschaften" blieben für viele Ostdeutsche eine Illusion. Viele fühlen sich als Bürger zweiter Klasse. Die Frustration schlägt um in Wut, die sich oft gegen Migranten richtet. Doch letztlich sitzt man in derselben Galeere.
Nach der Euphorie des Mauerfalls kehrte diesseits und jenseits der Grenze sehr schnell Ernüchterung ein. Viele Ostdeutsche vermissen die Anerkennung für ihre Lebensleistung und fühlen sich an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. Vorurteile gegenüber den "Ossis" sind gesellschaftlich fest verankert. Bei vielen Westdeutschen herrscht ebenfalls Frust über die Ostdeutschen, die vermeintlich mit der gewonnen Freiheit wenig anzufangen wissen. Die notwendige Aufarbeitung der sozialen und politischen Versäumnisse der Wendejahre findet nur sporadisch statt, während die Lebensrealität vieler Bürger in Ostdeutschland oftmals geprägt ist, von der Angst vor dem sozialen Abstieg.

Damit gleichen die Erfahrungen eines großen Teils der ostdeutschen Bevölkerung denen vieler Migranten und Flüchtlinge. Auch sie fühlen sich oftmals als Bürger zweiter Klasse und auch sie fühlen sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Das Ergebnis ist auf beiden Seiten oftmals ein Rückzug in die politische Radikalisierung. Doch eine gesellschaftliche Debatte über die Ursachen der Frustration und eine Aufarbeitung der gesellschaftlichen Versäumnisse findet kaum politische Resonanz. Stattdessen sehen sich "die Flüchtlinge" mit Kampfbegriffen wie "Asyltourismus" konfrontiert, während sich viele Ostdeutsche als "Jammer-Ossis" bezeichnen lassen müssen.

Die großen Parteien scheinen aktuell nicht nur ratlos, sondern sie trägt auch einen Großteil der Verantwortung für die zu beobachtende Spaltung der Gesellschaft, wobei Ursache und Wirkung häufig vertauscht werden. Es sind vor allem die Auswüchse des Neoliberalismus, dem sich das politische Deutschland unterworfen hat, dass den gesellschaftlichen Zusammenhalt aushöhlt.

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