FFP2-Masken für alle: Wenn bloßer Glaube über Evidenz siegt

Susan Bonath

Hygieneexperten warnen vor Gefahren durch FFP2-Maskenpflicht, das RKI sieht keinen Nutzen. Doch in Berlin und Bayern regiert der bloße Glaube: Man ignoriert die Kritik, Belege für eine Wirkung gibt es nicht. Drei Wochen brauchte der Berliner Senat für eine ausweichende Antwort.

von Susan Bonath 

Bayern hatte im Januar den Anfang gemacht, kurz vor Ostern zog der Berliner Senat nach: Auch in der Hauptstadt muss seither jeder, der einkaufen, Bus und Bahn benutzen oder öffentliche Gebäude betreten will, eine FFP2-Maske tragen. Das Paradigma dahinter: Angeblich schütze dieses Utensil noch stärker als eine OP-Maske vor dem Coronavirus.

Nicht wenige Fachleute sehen das völlig anders. Das Robert Koch-Institut (RKI) bewertet den Nutzen einer solchen Tragepflicht für die Allgemeinbevölkerung als gering und zählt zudem gesundheitliche Risiken auf. Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) gar warf beizeiten (Ende März, wie schon im Januar Bayern) auch der Hauptstadtregierung noch einmal vor, sie gefährde damit die Bevölkerung.

Auch aus Bayern gibt es selbst nach drei Monaten keinerlei Daten, die einen angeblichen Vorteil oder Nutzen belegen können. Der Berliner Senat ignoriert all das. Auf mehrfache Nachfragen der Autorin reagierte er erst nach drei Wochen mit Allgemeinplätzen. Die Kritikpunkte von Fachleuten ignorierte der Senat geflissentlich.

Krankenhaushygiene-Experten halten Maßnahme für schädlich

FFP2-Masken seien "Hochleistungs-Atemschutzmasken", die für bestimmte Arbeitsplätze bestimmt sind. Nur bei korrekter Anwendung übertreffe ihre Schutzwirkung die von OP-Masken, das Arbeitsrecht schreibe hierfür eine Schulung vor, führte die DGKH zunächst aus. Doch die gesamte Bevölkerung werde dafür weder geschult noch habe sie die Möglichkeit, individuell angepasste Masken zu besorgen. Weiter rügt die DGKH:

"Darüber hinaus erfordert eine korrekt getragene FFP2-Maske, die dem Gesicht eng anliegt, eine erhebliche Atemarbeit, die bereits bei geringer Anstrengung spürbar und bei stärkerer körperlicher Belastung deutlich beeinträchtigend wird und zu Luftnot führt."

Dies betreffe insbesondere die Risikogruppen. Um sich keine Bußgelder einzufangen, trügen Betroffene die Masken oft notgedrungen falsch, um "über Leckagen zu atmen". Dann seien sie ungeschützt. Der Berliner Senat müsse daher die Maßnahme "dringend überprüfen", fordert der Fachverband. Selbiges hatte er bereits von Bayerns Regierung im Januar erbeten – bisher allerdings ohne Erfolg.

RKI: Keinerlei wissenschaftliche Erkenntnisse 

Das RKI erklärt auf seiner Webseite dazu, dass bei einer Massenanwendung durch medizinische Laien dreierlei sichergestellt werden müsse: Erstens den Medizin- und Pflegebereich vorrangig mit FFP2-Masken zu versorgen, zweitens die gesundheitliche Eignung jedes zum Tragen verpflichteten Bürgers zu überprüfen und drittens die Menschen für das korrekte Anwenden zu schulen.

Außerdem warnt das RKI, negative gesundheitliche Auswirkungen bei Personen mit Risikofaktoren, wie etwa eingeschränkter Lungenfunktion, seien "nicht auszuschließen". Letztere sollten ärztlich begleitet werden, wenn sie die Masken tragen müssen. Individuelle Höchsttragedauern seien im Einzelfall zu klären. Keine dieser empfohlenen Maßnahmen wird indes in Berlin und in Bayern bis heute umgesetzt. Letztlich stellt das RKI klar:

"Bisher wurden keine wissenschaftlichen Untersuchungen über den möglichen Effekt einer solchen Maßnahme gemacht."

 Glaube statt Fakten: Keine Daten zum Nutzen der Tragepflicht in Bayern 

Man möchte erwarten, dass die Bundesländer, die ihre Bewohner zum Tragen von FFP2-Masken verpflichten, nun selbst Daten sammeln, um Nutzen und Risiken der Maßnahme zu überprüfen. In Bayern aber liegen auch nach drei Monaten offenbar keinerlei Erkenntnisse vor.

Auf Anfrage von FOCUS online bezog sich die Staatsregierung unter Markus Söder (CSU) auf Allgemeinplätze: Weil laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) FFP2-Masken einen größeren Schutz vor ausgeatmeten Aerosolen böten, schützten sie wohl (!) besser vor Coronaviren.

Die durchaus für sich genommen fragwürdigen Zählweisen des RKI der Corona-Fälle geben indes keinerlei Entlastung für Bayern in dieser Frage, ganz im Gegenteil: Die Zahlen der positiv auf Corona Getesteten und mit COVID-19 Verstorbenen steigen aktuell an. 

Auch Berliner Senat glaubt an Evidenz

Die Autorin hatte am 1. April die Berliner Gesundheitsverwaltung gebeten, zu den Kritikpunkten der DGKH Stellung zu nehmen. Außerdem wollte sie wissen, wo sich zum Tragen von FFP2-Masken verpflichtete Bewohner Berlins regelmäßig medizinisch untersuchen und beraten lassen können, woher der Senat seine wissenschaftlichen Erkenntnisse für den Nutzen der Maßnahme habe und welche Kriterien Befreiungsatteste erfüllen müssten, um anerkannt zu werden. Eine weitere Frage sollte klären, wie arme Bevölkerungsteile (ausreichend und flächendeckend) mit kostenlosen Masken versorgt würden.

Verwaltungssprecherin Christine Delzeit-Peters erläuterte zunächst, dass sich Mittellose die benötigten Masken unentgeltlich an verschiedenen Stellen abholen könnten. Bezüglich des vermeintlichen Nutzens berief sie sich bemerkenswerterweise auf einen Paragrafen in der eigenen Infektionsschutz-Verordnung. Wissenschaftliche Belege übermittelte sie nicht, fügte stattdessen aber eine Art Glaubensbekenntnis an:

"Für alle, die gemäß geltender Rechtslage eine FFP2-Maske zu tragen haben, ist und bleibt das sehr wichtig. Denn das ist ein wesentlicher Faktor von mehreren, der das Ansteckungsrisiko deutlich minimiert."

Schließlich schweifte Delzeit-Peters auf den beruflichen Einsatzbereich der Masken ab, obgleich es um diesen in der Fragestellung gar nicht ging. Dort – erklärte sie – würden FFP2-Masken aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen nur selten angeordnet. Wörtlich schreibt sie:

"Eine FFP2-Maske ist ein Utensil des Arbeitsschutzes. Diejenigen, die sie im Rahmen der Ausübung ihrer Tätigkeiten tragen müssen, müssen hierfür im medizinischen Sinne fit sein. Außerdem gelten maximale Tragezeiten, auf die dann Tragepausen zu erfolgen haben."

Im Umkehrschluss hieße das: Im Arbeitsbereich muss der Senat eben Gesetze einhalten und den Schutz der Träger ernst nehmen. Im gesamten privaten Bereich von weit mehr als 3 Millionen Einwohnern in Berlin gibt es eben keine Gesetze, und daher interessiert es offenbar niemanden im Senat, ob die Verpflichteten "fit" genug sind, eine FFP2-Maske zu tragen.

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