von Rainer Rupp
Im Handelsdisput mit der Volksrepublik China beruft sich US-Präsident Donald Trump auf Abschnitt 301 des Außenhandelsgesetzes von 1974 (Trade Act of 1974), der ihn ermächtigt, kurzfristig gegen Chinas angebliche "unfaire" Handelspraktiken vorzugehen und harte Strafen zu verhängen. Damit ist der von Trump begonnene Streit um Schutzzölle zwischen den beiden mächtigsten Volkswirtschaften der Welt in die nächste Eskalationsrunde gegangen. Chinesische Exporte in die USA im Wert von 230 Milliarden – und womöglich mehr – sollen um 25 Prozent teurer werden, aber nur, wes sich Trump innenpolitisch auch gegen seine eigene Partei (die Republikaner) durchsetzen kann.
Trump und seine Anhänger wollen mit Schutzzöllen – nicht nur gegen China – eine Reindustrialisierung des Rostgürtels einst blühender Industriezentren und Armutsregionen der USA einleiten, und sie sehen sich in der Auseinandersetzung mit dem Rest der Welt bereits als Sieger. Zugleich aber hat sich Trump damit mächtige Gegner im Camp der neoliberalen Globalisierungsgewinner geschaffen. Letztere findet man vor allem im Lager der transnationalen Großkonzerne, deren Profite im Zuge der Globalisierung in den letzten Jahrzehnten überproportional gewachsen sind, auf Kosten der heimischen US-Wirtschaft, der Arbeitsplätze und Löhne.
So kommt es auch nicht von ungefähr, dass der US-Finanzkonzern JP Morgan am Montag letzter Woche (1. Oktober 2018) in einem "New Baseline" genannten Rundschreiben seine Investment-Kunden gewarnt hat, dass Trumps Schutzzölle von 25 Prozent auf US-Importe aus China im Jahr 2019 das Gewinnwachstum der meisten der 500 im Aktienindex "S&P" registrierten US-Konzerne "auslöschen würde". Denn die "S&P 500"-Unternehmen seien globaler strukturiert und hätten komplexere Lieferketten als der Durchschnitt der US-amerikanischen Industrie. Das würde natürlich dazu führen, dass die Unternehmensgewinne wegen der Zölle und der geringeren Margen dahinschmelzen wie Eis in der Frühlingssonne. Und das würde die neoliberale Globalisierung für die transnationalen Konzerne plötzlich viel weniger attraktiv machen.
Zugleich rechnen die internationalen Finanzstrategen natürlich damit, dass Trumps Tabubruch – denn nichts anderes sind Schutzzölle in der viel gepriesenen sogenannten liberalen Weltordnung – Gegenmaßnahmen provoziert, die weltweit eine Rückbesinnung auf die Vorteile einer souveränen, nationalen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik zur Folge haben könnten. Viele Indizien deuten bereits in diese Richtung. Und wenn erst einmal ein Loch im Damm der neoliberalen Glaubenssätze ist, dann könnte die dahinter aufgestaute Wut der ausgebeuteten Völker das quasi als Naturgesetz propagierte Konstrukt der "liberalen Weltordnung" schnell in einer mächtigen Welle auf den Müllhaufen der Geschichte fortschwemmen. Kein Wunder, dass bei diesen Aussichten der Widerstand gegen den Globalisierungsgegner Trump auch in seinem engsten politischen Umfeld außerordentlich stark ist. Schließlich geht es um Geld, sehr viel Geld, und um sehr viel Macht.
Aber Trump findet in seinem Handelskrieg gegen China (um Amerika wieder groß zu machen) auch sehr viel Unterstützung. Diese kommt vor allem vom sogenannten "Präkariat" in den wirtschaftlich abgehängten Regionen, weil davon eine industrielle Wiederbelebung erwartet wird; zweitens von den kleinen und mittleren Unternehmen, die ohne komplexe internationale Zulieferketten und Standorten in Billiglohnländern auskommen müssen und daher von den transnationalen Konzernen zunehmend verdrängt werden. Drittens wird Trump von den Anhängern des Militärisch-Industriellen Komplexes (MIK) in seiner Regierung unterstützt, die in seinem Handelskrieg mit China eine willkommene Gelegenheit sehen, Peking militärisch zu provozieren.
Tatsächlich häufen sich in letzter Zeit die provokanten militärischen US-Operationen vor den Küsten Chinas zu Wasser und in der Luft, mit denen das Pentagon und der Militärisch-Industrielle Komplex die guten Beziehungen zwischen Washington und Peking sabotieren, die seit einem Vierteljahrhundert mit Erfolg vor allem von den transnationalen US-Konzernen gepflegt worden waren, die viel Kapital in China investiert haben. Auf diese Weise wollen die amerikanischen Kommunistenhasser im Pentagon zeigen, wer Herr in Chinas Hinterhof ist.
Die politische Atmosphäre zwischen China und den USA ist inzwischen derart vergiftet, dass man sich in ganz Südostasien und in Europa über die Folgen eines amerikanisch-chinesischen Handelskriegs Sorgen macht. Eine der Strategien, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, sind die Bemühungen, Washington vor Augen zu führen, dass es sich mit seiner Schutzzollpolitik selbst am meisten schadet. So hieß es z.B. unlängst in einem Artikel der renommierten Tageszeitung Asia Times, dass ein Handelskrieg mit Peking "nicht unbedingt im besten Interesse der Vereinigten Staaten" sei. Und die Europäische Zentralbank (EZB) geht sogar noch weiter. In einer jüngsten Stellungnahme sieht die EZB China und nicht die USA als Sieger der von Washington betriebenen Schutzzoll-Eskalation.
Kurz zusammengefasst, basiert die EZB-Analyse auf folgendem theoretischem Beispiel: Angenommen, die US-Amerikaner belegen alle ihre Handelspartner mit einem Strafzoll von zehn Prozent. Die betroffenen Länder verhängen Vergeltungsmaßnahme auf Importe aus den USA in gleicher Höhe, während sie im Austausch von Waren und Dienstleistungen untereinander weiter beim sogenannten "liberalen" Freihandel bleiben. Dies würde innerhalb weniger Jahre – so die EZB – zu einer erheblichen Schlechterstellung der USA führen, denn wenn alle anderen Länder untereinander weiter wie gehabt ohne Einschränkungen Geschäfte machen würden, könnte z.B. China die durch Trumps Zölle entstandenen Verluste relativ schnell durch eine Ausweitung seines Handels mit den anderen Ländern kompensieren. Dagegen würden die US-Exporte rund um die Welt auf eine Wand von Schutzzöllen stoßen, die als Gegenmaßnahmen zu Trumps Zöllen errichtet wurden.
Trump, der vor wenigen Wochen vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen seinen Kampf gegen die neoliberale Globalisierung erneut bekräftigt hatte, sähe diese Gefahr der Folgewirkung seiner Schutzzölle für die US-Handelsbilanz offenbar nicht, kommentierten deutsche Medien – wie z.B. das Magazin Focus – die oben vorgestellte EZB-Analyse. Tatsächlich aber greift diese EZB-Analyse, wenn sie diesen Namen überhaupt verdient, viel zu kurz. Denn Trump zielt mit seinen Schutzzöllen auf den Kern der neoliberalen Globalisierung, nämlich auf den grenzübergreifenden Handel innerhalb ein und derselben transnationalen Riesenkonzerne. Denn umfangreiche Studien, unter anderem von der Asiatischen Entwicklungsbank, haben gezeigt, dass "etwa 65 Prozent der westlichen "Importe” aus China im klassischen Sinn des Wortes gar keine Einfuhren sind, sondern es sich dabei lediglich um grenzüberschreitenden Gütertransport innerhalb der jeweiligen Großkonzerne handelt.
Im folgenden Teil II wird diese Entwicklung, die langfristig große Teile der heimischen Wirtschaft in die Katastrophe geführt hat, anhand des weltweit operierenden Elektronik-Konzerns Apple auf der Basis einer Untersuchung der Asiatischen Entwicklungsbank dargestellt.
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