Im Kalten Krieg gegen China haben die USA schlechte Karten (Teil 2)

Rainer Rupp

Teil 1 schloss mit der Feststellung: Solange sich daher Chinesen und Russen nicht dazu verleiten lassen, militärisch auf amerikanische Provokationen zu reagieren, wird ihre enger werdende strategische Partnerschaft zum Sieg führen, nicht aus militärischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen.

von Rainer Rupp

(Teil 1 finden Sie hier.)

Was China betrifft, so sind nicht nur die technologischen Fortschritte des Landes zu erwähnen, die vor zehn Jahren noch unvorstellbar waren, sondern auch die wissenschaftlich-organisatorischen Fähigkeiten, theoretische Durchbrüche in die Tat umzusetzen. Grundlage dieser Entwicklung ist – im Gegensatz zu den USA – die hervorragende und vor allem kostenlose Ausbildung aller Chinesen. So verwundert es nicht, dass in China seit Jahrzehnten mehr Akademiker in Mathematik und Naturwissenschaften mit Doktorgrad oder äquivalenten Qualifikationen abschließen als in den USA und der EU zusammengenommen.

Beispielhaft für diese Entwicklung in vielen Teilen Chinas ist die technische und technologische Megacity Shenzhen in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hongkong. Von dem Fischerdörfchen, das in den 1980er-Jahren von Peking zur Sonderwirtschaftszone deklariert wurde, hat sich Shenzhen zu einer wuselnden, internationalen Zwölf-Millionen-Stadt mit einem Hochtechnologiepark neben dem anderen entwickelt. Schon vor zehn Jahren galt Shenzhen auch für deutsche Wirtschaftsberater als "Biotop für Wissenschaftler" und "Brutkasten für innovative Unternehmer".

Es ist genau diese Symbiose von Wissenschaftlern und Unternehmern, von Theorie und Praxis, die Shenzhen so einmalig macht. Es ist die Kombination von Wissenschaft in nächster Nähe einer unendlichen Vielfalt von Werkstätten, Ingenieuren, Designern und Technikern, die neue Ideen in die Tat umsetzen können. Das macht Shenzhen auch für westliche Unternehmer so außerordentlich attraktiv. Hinzu kommt, dass ein Techniker oder Entwickler in Shenzhen direkten Zugriff auf alle nötigen Bauteile hat, von Schrauben bis zu elektronischen Kleinteilen, wodurch lange Bestell- und Lieferzeiten vermieden werden, z. B. auf dem Huaqiangbei-Markt, der laut Bloomberg der weltgrößte Elektronikmarkt ist.

Ein junger Unternehmer aus Großbritannien, der in einer Werkstatt in einem Shenzhen-Technologie-Park mit seinem Team einen Roboter entwickelt, um in der Landwirtschaft Unkraut ohne chemische Gifte zu vernichten, erklärte jüngst in einem Video, dass man in einem Monat Entwicklungszeit in Shenzhen mehr schafft als in vier Monaten in einem Industriepark im Westen. Zugleich machten die Entwicklungskosten nur einen Bruchteil der Kosten im Westen aus. Mehr darüber kann der interessierte Leser in einem vom Fernsehsender CNA aus Singapur im Januar dieses Jahres ausgestrahlten, empfehlenswerten Vierteiler über den neuen Kalten Krieg der USA gegen China sehen. Der Titel der Serie lautet: "When Titans Clash" (Wenn Titanen aufeinanderprallen), und Teil III ("A Tech War") beleuchtet den "Technologie-Krieg" zwischen den beiden Titanen.

Vor diesem Hintergrund hat China in vielen Technologiebranchen bereits die Weltführerschaft erreicht, zum Leidwesen der neidischen Herren in Washington. So verwundert es auch nicht, dass der schnellste Computer der Welt jetzt in China steht. Im Übrigen ergänzen sich chinesische Errungenschaften in der Elektronik hervorragend mit dem ungeheuren Fundus der sowjetischen Grundlagenforschung und ihrer militärischen Anwendungsmöglichkeiten, wie z. B. dem beim "Anti-Access, Area Denial (A2AD)".

Das ist die Fähigkeit, gegnerischen Einheiten zu Lande, zu Wasser und in der Luft den Zugang und/oder die Durchquerung bei Strafe ihres Untergangs zu verweigern, indem man z. B. einen elektronischen Abwehr-Dom über einem Gebiet einrichtet, sodass Kommunikation, Zielerfassung oder andere Geräte des Gegners nicht mehr funktionieren. Westlichen Berichten zufolge soll russisches Militär diese Technik bereits in Syrien verschiedentlich gegen Angriffe eingesetzt haben, wahrscheinlich zu Testzwecken unter realen Bedingungen. Das System ständig einzusetzen wäre nicht ratsam, weil der Gegner sonst die Arbeitsweise studieren und eventuell Gegenmaßnahmen ausarbeiten könnte. Ein System von einer solch entscheidenden Bedeutung hält man für den Ernstfall zurück.

Zum russischen A2AD-Arsenal gehört selbstverständlich auch das beste Flugabwehrsystem der Welt, nämlich der S-400-Komplex. Und auf strategisch-nuklearer Ebene kann Russland aufgrund neuester militärtechnologischer Entwicklungen von den USA weder militärisch überwunden noch politisch erpresst werden, wovon natürlich auch China profitiert, dessen Nuklearbewaffnung einem Vergleich mit jener der USA oder Russlands in keiner Weise standhält, weder qualitativ noch quantitativ.

China und Russland rüsten sich gegen US-Sanktionen

Auch im Bereich der wirtschaftlichen, technologischen und finanziellen Sanktionen des Westens ergänzen sich China und Russland und werden gegen westliche Erpressungspolitik immer unempfindlicher. Diesbezüglich sind ihre Anstrengungen zur Schaffung finanztechnischer Unabhängigkeit von den westlichen Banken-, Finanzdienstleister- und Zahlungssystemen wie SWIFT, die von den USA direkt oder indirekt beherrscht werden, weiter fortgeschritten. Es häufen sich die Anzeichen, dass die Einführung des digitalen Yuan durch die chinesische Zentralbank für den internationalen Interbanken-Zahlungsverkehr nicht mehr allzu weit entfernt zu sein scheint. Parallel dazu hat Russland in Kooperation mit China und vielen anderen interessierten Ländern rund um die Welt ein SWIFT-ähnliches, eigenes internationales Überweisungssystem entwickelt, das schon bald an den Start gehen könnte.

Das russische SWIFT und der digitale Yuan würden es den beiden Ländern erlauben, auch einen großen Teil ihres Handels mit Drittländern in Zukunft ohne den US-Dollar abzuwickeln. Daran dürften außer ebenfalls von den USA sanktionierten Staaten wie dem Iran, Venezuela und Kuba noch viele anderen Länder weltweit interessiert sein, zumal in den USA die Gelddruckmaschine in immer schnellerem Tempo die Finanzmärkte der Welt mit Billionen aus dem Nichts gezauberter Dollar überschwemmt. Wenn in dieser Situation Russland und China ihre Währungen auch noch mit Gold garantieren würden, dann könnte das der Todesstoß für den US-Dollar als Weltreservewährung bedeuten und den Sturz des US-Hegemons enorm beschleunigen.

Aber egal, wie schnell nun der digitale Yuan oder das russische SWIFT eingeführt werden oder nicht, Chinas Sieg über die USA erscheint dennoch unaufhaltsam. Der Grund dafür liegt in China Wirtschafts- und Handelspolitik. Sie ist das Gegenteil der neoliberalen, westlichen Globalisierung, bei der sich der Gewinner bzw. der Stärkere alles nimmt. Vielmehr operiert China auf der Basis des gegenseitigen wirtschaftlichen Vorteils durch immer engere Verflechtungen mit seinen Nachbarn, aber auch mit dem fernen Ausland.

Die neue "Belt and Road Initiative (BRI)" ("Neue Seidenstraße") stellt eine wichtige, aber nicht die einzige Säule dieser Strategie dar. Ein anderes Beispiel ist das jüngst unterzeichnete "Umfassende Abkommen über Investitionen" zwischen China und der Europäischen Union. Allerdings wurde dessen Ratifizierung jüngst durch das EU-Parlament von strammen EU-Transatlantikern vorerst auf Eis gelegt. Das, obwohl die EU-Kommission und vor allem die Industrie in wichtigen Mitgliedsländern wie Deutschland und Frankreich am Zustandekommen dieses Abkommens besonders interessiert waren. An dieser US-Hörigkeit bestimmter EU-Kreise wird zwar die Europäische Union nicht zerbrechen, aber ihren ohnehin brüchig gewordenen Zusammenhalt wird es auch nicht stärken.

In allen Teilen der Welt haben sich in den letzten Jahren Nationen, die früher voll unter der Aufsicht Washingtons gestanden hatten, zunehmend in Richtung China orientiert. Der ökonomischen Anziehungskraft des chinesischen Riesenmarktes mit 1,4 Milliarden Verbrauchern mit stetig steigender Kaufkraft kann sich kaum eine Nation entziehen, erst recht nicht, wenn man als Alternative eine zunehmend instabile, bis zum Hals verschuldete US-Gesellschaft hat, deren irreparabel polarisierte Mittelschicht verarmt und immer weniger Kaufkraft hat. Dieses Bild des gescheiterten Hegemons wird durch den sozialen Verfall und durch eine inkompetente und korrupte politische Führung nur noch verstärkt. Auch die Länder der Europäischen Union hat längst eine ähnliche Entwicklung erfasst.

Die Zeiten, in denen die Vereinigten Staaten die westliche Welt mit einer blühenden Wirtschaft und Kapitalexporten angeführt haben, sind längst vorbei. Hohl geworden sind auch die Versprechungen von Gleichheit und wirtschaftlichem Wohlstand, die einst für viele Menschen in der Dritten Welt ein Leuchtturm waren. Heute versucht Washington, seine hegemoniale Position nur noch mit Sanktionen, selbst gegen Verbündete, sowie Kriegsdrohungen und echten Kriegen aufrechtzuerhalten.

Viele asiatische, afrikanische und sogar einige lateinamerikanische Nationen haben sich bereits für China und die BRI-Initiative entschieden, egal wie stark sich die Herren in Washington aufgeplustert und dagegen geschimpft hatten. Selbst andere Nationen, darunter die meisten NATO-/EU-Länder, die sich bis heute nicht vom US-Vasallen-Status befreit haben und in denen der größte Teil der herrschenden Elite weiterhin glaubensfeste Atlantiker sind, ziehen es inzwischen vor, bei der US-Konfrontation mit China lieber Zaungast zu sein.

Mit anderen Worten, sie wollen nicht offen mit Washington brechen und geben nur Lippenbekenntnisse der Solidarität ab, während sie gleichzeitig versuchen, sich den Zugang zum größten und wachsenden Warenmarkt der Welt und zum zweitgrößten und expandierenden Finanzmarkt offenzuhalten.

Chinas Anziehungskraft auf den Rest der Welt liegt nicht nur in seiner immensen Rolle als führender Importeur begründet – von Rohstoffen bis hin zu Modeartikeln –, sondern China ist auch in der weltweiten Lieferkette das wichtigste Glied geworden, ohne das so manche Produktionslinie auch in Deutschland stillsteht. Das gilt nicht nur für Seltene Erden, sondern für Güter von Materialien für den pharmazeutischen Einsatz bis hin zu Hightech-Komponenten, zum Beispiel in Telekommunikations- und KI-Systemen.

Konflikt mit westlichen Firmen: China sitzt am längeren Hebel

Derzeit lernt Australien eine bittere Wirtschafts- und Handelslektion, weil es sich allzu eifrig in vorauseilendem Gehorsam im Südpazifik zu Washingtons Sprachrohr für die aggressive US-Politik und -Rhetorik gegen China gemacht hat. Solange das nur Rhetorik geblieben war, hatte China kaum reagiert. Nachdem aber Canberra begonnen hatte, hart gegen chinesische Investitionen in Australien vorzugehen, eskalierten die wirtschaftlichen Spannungen zwischen den beiden Ländern. Die Beziehungen verschlechterten sich weiter, nachdem Australien auf Geheiß der USA die bereits unterzeichneten Verträge mit den chinesischen Telekommunikationsunternehmen Huawei und ZTE über die chinesische 5G-Technologie gekündigt hatte.

Die Spannungen stiegen erneut, als Australiens Präsident im vergangenen Jahr Donald Trumps Idee aufgegriffen und Peking beschuldigt hatte, das Coronavirus absichtlich aus dem Wuhan-Forschungslabor freigesetzt zu haben, um damit den Westen zu zerstören. Deshalb forderte die Regierung in Canberra – im Einklang mit der Trump-Administration – eine vom Westen geführte internationale Untersuchung der Ursprünge des Ausbruchs des Coronavirus.

Als Reaktion auf all diese Provokationen hat China die Importzölle auf eine Vielzahl von australischen Waren verhängt. Betroffen sind ausgerechnet die Exporte, die die australische Wirtschaft besonders hart treffen, nämlich Rohstoffe aller Art, einschließlich der australischen Kohle, sowie landwirtschaftliche Güter wie Gerste, Wein, Rindfleisch, Meeresfrüchte, usw., für die sie eifrige Lieferanten in anderen Weltregionen gefunden haben. In vielen Branchen waren die australischen Exporte nach China komplett zum Erliegen gekommen, was im Land zu erheblicher Wut auf die US-hörige Regierung in Canberra geführt hat. Für Australien ist China schließlich einer der wichtigsten Exportmärkte. 

Eine Reihe von großen US- und EU-Konzernen – wie der internationale schwedische Modehändler H&M – machen derzeit die gleichen Erfahrungen wie Australien. Es handelt sich um Großkonzerne, die fest auf dem chinesischen Markt etabliert sind, wo sie einen guten oder sogar den größten Teil ihrer globalen Gewinne erzielen. Kürzlich fühlten sich diese Firmen unter dem Druck der inländischen Medien und selbst ernannter Menschenrechtsaktivisten in ihren Heimatländern dazu gezwungen, sich der Kampagne der USA und der NATO gegen Beijing anzuschließen und auf ihren Webseiten die angeblich schlimme Behandlung der uigurisch-muslimischen Minderheit in Xinjiang anzuprangern.

Aber für diese Tugend-Signale mussten die Konzerne teuer bezahlen, wie weiter am Beispiel H&M dargelegt wird. Nicht nur folgte ein heftiger Shitstorm der chinesischen H&M-Kunden im Internet, sondern Jugendliche verbrannten öffentlich und vor laufenden Kameras ihre H&M-Klamotten in den Straßen und posteten die Videos in den sozialen Netzwerken. Chinesische E-Commerce-Plattformen ließen die H&M-Produkte fallen, chinesische Prominente hörten auf, ausländische Labels zu unterstützen, chinesische Internetunternehmen distanzierten sich vom schwedischen Einzelhändler, chinesische Apps haben H&M Inserate entfernt, usw.

Im chinesischen Internet sind sogar die Listen mit den Namen und Adressen von H&M-Verkaufsläden in chinesischen Städten von den Straßenkarten verschwunden. Da Google und Twitter in China nicht leicht verfügbar sind, wurden diese China-unfreundlichen Konzerne erfolgreich von den Plattformen der sozialen Medien gecancelt. Offensichtlich haben die Chinesen schnell und effektiv von Facebook, Twitter, Youtube und Co. gelernt.

Natürlich wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis die westlichen Konzerne bereuen, dass sie sich zum Instrument der Psychologischen Kriegführung des Pentagon gegen China haben machen lassen, und sie werden entsprechende Korrekturen auf ihren Webseiten vornehmen. Entschuldigungen werden folgen. Das wäre nicht das erste Mal, denn schon 2018 hatte es eine ähnliche Entwicklung gegeben.

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