von Pierre Lévy
Anfang dieses Monats hat die Europäische Kommission einen "Europäischen Aktionsplan für Demokratie" vorgelegt. Die "Kommissarin für Werte und Transparenz" Věra Jourová – ein Titel, der George Orwell sicher gefallen hätte – umriss als zuständige Vizepräsidentin der EU diesen Plan.
Sie erläuterte die drei Hauptaktionslinien: "Förderung der Organisation freier und fairer Wahlen", "Stärkung der Medienfreiheit" und "Bekämpfung von Desinformation". Sie versäumte es nicht, darauf hinzuweisen, dass "die Herausforderungen, denen sich die EU gegenübersieht, nicht auf ihre Grenzen beschränkt sind: Jede Maßnahme, die hier ergriffen wird, hat Auswirkungen nach außen". Sieh an, sieh an.
Der erste Hauptpfeiler, der "freie und faire Wahlen" gewährleisten soll, werde auch die Überarbeitung der Regeln für das Funktionieren der europäischen Parteien und die Überwachung ihrer Finanzierung umfassen. Es werde auch auf die Frage der politischen Werbung und deren Transparenz (insbesondere in sozialen Netzwerken) hingewiesen. Der Aktionsplan solle "die Nutzung der Strukturfonds" zugunsten der "Zivilgesellschaft" fördern. Schließlich werde die EU die "Wahlbeobachtungsmissionen, die sie in Drittländer entsendet", verstärken.
Zweitens will sich die Kommission bei der Förderung der Medienfreiheit für die Sicherheit von Journalisten einsetzen, um dem "Missbrauch der Strafverfolgung" (u.a. durch Oligarchen in einigen Ländern) entgegenwirken, und sie will den "Medienpluralismus" finanziell unterstützen.
Der letzte Pfeiler sagt schließlich der " Desinformation den Kampf " an. Dies bedeutet in erster Linie "die Verbesserung des Instrumentariums, das der EU zur Verfügung steht, um ausländischen Einmischungen [in die EU-Angelegenheiten] entgegenzuwirken", insbesondere durch mögliche finanzielle Sanktionen gegen die Verursacher. Ein "Regulierungsrahmen" sowie noch ein "Verhaltenskodex" sollen digitale Plattformen (insbesondere soziale Netzwerke) abdecken – und "regulieren". Dies überschneidet sich übrigens mit den Entwürfen für Richtlinien zur Regulierung der digitalen Wirtschaft, die Mitte Dezember vorgelegt werden sollen.
Dieser sehr modisch anmutende Katalog von Projekten enthält dennoch nichts Beruhigendes. Denjenigen, die sich ein wenig im Kontext auskennen, erscheint er im Gegenteil als arrogant, paranoid und aggressiv, insbesondere aber als heuchlerisch.
Arrogant ist er wegen der Neigung der EU, urbi et orbi das Gute, das Gerechte, kurz die berühmten (aber irreführenden) "europäischen Werte" zu predigen, als hätte eine transzendente Gottheit angesichts der Faulpelze unter den Mitgliedsstaaten und der Delinquenten in der ganzen übrigen Welt geradewegs Brüssel diesen Missionsauftrag anvertraut.
Paranoid erscheint er wegen der Dramatisierung der Gefahren, die für die freie Wahl der Bürger angeblich bestehen: Diese würde sowohl durch Cyber- als auch Hybrid-Bedrohungen, Trolle und "gefälschte Nachrichten" beeinträchtigt. Russland ist ganz offensichtlich das in erster Linie anvisierte Hauptziel. Die zahlreichen "Observatorien", Europarlamentarischen Ausschüsse und andere "strategische Zellen", die sich noch weiter ausbreiten, zeugen davon.
Schließlich ist er aggressiv und aufdringlich, wenn der ausdrückliche Wunsch formuliert wird, die finanziellen Mittel der EU zur Unterstützung der "Zivilgesellschaft" und insbesondere der NGOs zu verwenden, deren Bekanntheitsgrad zwar auf der Aura der Medien beruht, denen aber jegliche Legitimität durch das Volk fehlt. Und dies gilt sowohl für jene Mitgliedsländer, deren Regierungen Brüssel eine Nase schneiden (Ungarn, Polen...), als auch für die "Nachbarstaaten" der EU, welche die Kommission gern Demokratie lehren will. Eines der bekanntesten Beispiele ist natürlich die Ukraine, wo man sich mit oft diskreten, aber massiven Mitteln jahrelang gut vorbereitet hatte – auf den "Maidan" von 2013, also den gewaltsamen Sturz einer gewählten Macht.
In der Tat ist es die Kommission selbst, die dies in ihrer Vorlage sagt: "Das Bekenntnis zur Demokratie ist im außenpolitischen Handeln der EU verankert und stellt einen wesentlichen Pfeiler der Arbeit dar, die sie mit den Beitrittsländern und den Ländern, die unter ihre Nachbarschaftspolitik fallen, durchführt". Zumindest in diesem Punkt ist das Ziel klar benannt.
Was den Rest anbetrifft, so ist Heuchelei das Markenzeichen dieser Orgie der "guten Absichten". Denn in Brüssel, wo man sich selbst zu Verteidigern des Medienpluralismus proklamiert, achtet man genauestens darauf, die überwältigende Vorherrschaft des Privatkapitals, das die Pressewelt dominiert, nicht infrage zu stellen. Schlimmer noch: Als diese großen – westlichen – Gruppen – wie geschehen – die Kontrolle über die Zeitungen dieses oder jenes östlichen Landes übernahmen, wurde die "Gegenreformation", die Wiederaneignung unter nationaler Kontrolle von der Kommission als unerträgliche Manifestation des Illiberalismus und als Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit dargestellt (so diese Woche in Polen).
Muss noch darauf hingewiesen werden, dass die Mittel, die aus dem gemeinsamen EU-Haushalt von Brüssel aus verteilt werden, selten an jene Medien gehen, die der europäischen Integration kritisch gegenüber stehen? Nein, denn Pluralismus hat natürlich Grenzen.
Was den Kampf gegen die Desinformation betrifft, den die europäischen Staats- und Regierungschefs zu führen gedenken, so ist er – gelinde gesagt – einseitig. Der wohl berühmteste Infox (Anm.: französische Entsprechung für Falschnachrichten) der letzten Jahre ist die Fabel, dass die Wahlkampfteams von Donald Trump (ab 2016) Hand in Hand mit den Hackern aus dem Kreml arbeiteten. Diese Geschichte letztendlich zerrann in den Vereinigten Staaten, aber das hindert nicht diejenigen hier, die an dieses "Komplott" glauben wollten oder mindestens die Menschen dazu bringen wollten, es zu glauben, nicht daran, auch weiterhin zu behaupten, dass der scheidende US-Präsident ein gehorsamer Diener seines russischen Amtskollegen war. Die Anprangerung dieser besonders berühmten "Fake News" steht nicht auf der Tagesordnung dieses Aktionsplans.
Und wie steht es mit der Entschlossenheit, die Morde an Journalisten in der Slowakei, auf Malta und in Frankreich (Charlie Hebdo) anzuprangern, während erst recht kein Sterbenswort über Julian Assange gesagt wird, der seinen Kreuzweg (einschließlich der offiziellen Anerkennung psychologischer Folter) vor zehn Jahren im Vereinigten Königreich begann? Die Kommission erklärt vollmundig, dass sie sich verpflichtet, Journalisten, die Opfer von gerichtlichen Schikanen sind, zu unterstützen, auch finanziell... aber sie ignoriert ganz unverhohlen den Autor von WikiLeaks – und damit einen der brisantesten Fälle in der Geschichte der Presse.
Demokratie ist die Freiheit jedes Volkes, kollektiv über seine Zukunft selbst zu entscheiden. Frei, also ohne von außen auferlegte Zwänge, Regeln und Sanktionen. Wenn sie dieses hehre Ideal wirklich fördern wollte, hätte die EU also nur eines zu tun: zu verschwinden.
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