von Karin Leukefeld
USA, Europa und NATO sind in Afghanistan gescheitert. 20 Jahre Krieg und Besatzung haben Land und Leute erlebt, bevor die westlichen Truppen sich zurückzogen und damit ihre Niederlage eingestanden. Zurück bleiben ein verwüstetes, verarmtes Land, eine gespaltene Gesellschaft und diejenigen, die an die westlichen Versprechen geglaubt haben und nun nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen.
Ein Beispiel ist Bayan-e Shamal, die Stimme des Nordens, ein Lokalradio in Masar-e Sharif, das vom deutschen Verteidigungsministerium mit jährlich 1,6 Millionen Euro finanziert wurde.
Das Militär stellte nicht nur Technik und Logistik, beschreibt Aref Sabour, ein ehemaliger Videoreporter des Senders: "Alle Produktionen wurden gesichtet, analysiert und von ihm (dem deutschen Militär, Anm. der Autorin) zur Ausstrahlung freigegeben." Die afghanischen Mitarbeiter, Frauen und Männer, sollten eine Verbindung zwischen Bundeswehr und Bevölkerung herstellen. Doch die Berichte hätten "vor allem das deutsche Militär unterstützt, indem wir ihre Erfolge darstellten und die Taten der Taliban verurteilten".
Die Ausbildung erfolgte im Rahmen der "operativen Kommunikation" der Bundeswehr, die dafür unter dem Motto "Konflikte reduzieren, Vertrauen schaffen mit kompetenter, interkultureller Beratung" ein eigenes Zentrum unterhält.
Mit eingegliederten Bataillonen für elektronische Kampfführung, Strategische und Abbildende Aufklärung sowie einem Zentrum für Cyberinformationen unterstützt das Zentrum nach eigenen Angaben "die Operationsführung eigener und multinationaler Streitkräfte in den verschiedenen Einsatzgebieten". Man vergleicht den Einsatz mit der Arbeit einer "zivilen Medienanstalt", in denen die Situation der Bevölkerung in den Einsatzgebieten analysiert werde, um "auf Zielgruppen" einzuwirken. Die Bundeswehr könne so über die Fähigkeit verfügen, "das Informationsumfeld als militärischen Handlungsraum zu erschließen".
Nun ist die Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen, und es gibt kein Geld mehr für den Sender. Alle zurückgebliebenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind arbeitslos. Es gebe "weder Arbeit noch eine Unterstützung", so Sabour. Die Lebensmittelpreise seien "extrem gestiegen und die Mieten sind hoch. Das ist nicht nur eine psychische Belastung, sondern macht das Leben in Afghanistan unmöglich." Noch vor dem Abzug der Bundeswehr Ende Mai reichten 26 ehemalige Mitarbeiter des Senders ihre Anträge und Dokumente ein, um als Mitarbeiter der Deutschen in Afghanistan in das spezielle Ausreiseverfahren aufgenommen zu werden, heißt es in einer Online-Petition der "Vergessenen 26" von Bayan-e Shamal. "Wir informierten die Bundeswehr über die Situation im Norden und Nordosten Afghanistans (...) und werden jetzt zurückgelassen."
Ursprünglich dachten die Afghanen, dass der Sender zum Aufbau des Staates beitragen und später der Regierung übergeben werden solle. Man sei dabei, "ein Haus zu bauen", sagte eine afghanische Mitarbeiterin 2016 im Interview mit einer deutschen Journalistin. "Selbst wenn unser Haus zusammenbricht, geben wir nicht auf." Doch nun bricht das Haus zusammen, das sie sich aufgebaut haben, und die von deutschem Militär ausgebildeten afghanischen Journalisten wissen nicht, wie sie weitermachen sollen.
Die Ausbildung war eine Täuschung. Die aus Deutschland finanzierte "Operative Kommunikation" war nicht für die Afghanen gedacht, sondern sollte "das Informationsumfeld als militärischen Handlungsraum erschließen". Es ging nicht darum, dass Afghanen das Journalistenhandwerk lernen, die Bevölkerung informieren und so zu Unabhängigkeit und Entwicklung ihres Staates beitragen sollten. Ihre Aufgabe war vielmehr, Propagandasendungen für die Bundeswehr zu fabrizieren. Ihr Einsatz war im zivil-militärischen Rahmen der Bundeswehr definiert und damit Teil der "Hybriden Kriegsführung", die von der NATO 2014 benannt worden war. Die Bundeswehr nahm den Begriff ins Weißbuch 2016 auf, als die "Ausbildung" bei Bayan-e Shamal schon im Gange war.
Tragisch für Afghanistan ist, dass die Journalisten ihrem Land, für das sie "ein Haus bauen" wollten, nun den Rücken kehren wollen. In all den Jahren haben sie sich von ihrer afghanischen Heimat so sehr entfremdet, dass sie den Besatzern in ein fremdes Land folgen wollen. Deren Lied haben sie gelernt zu singen. Nicht aber, sich mit ihren Landsleuten zu verständigen.
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