von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam
Die Ukraine ist ein korrupter, politisch und wirtschaftlich weitgehend gescheiterter Staat. Aus der Sicht der Westlichen Wertegemeinschaft, WWG, ist er jedoch förderungswürdig, weil sein neonazistisches Regime äußerst aggressiv Front gegen Russland macht und sich als Speerspitze der USA, der NATO und der EU gegen Moskau benutzen lässt. Deshalb pumpt die WWG ständig neue Milliarden nach Kiew. Sie fließen in ein Jauchefass ohne Boden. ARD-aktuell, die Redaktionen von Tagesschau und Tagesthemen, verlieren darüber kein Wort.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat erst kürzlich eine neue Kreditzahlung über 1,4 Milliarden US-Dollar als Soforthilfe freigegeben. In einem Zeitraum von 14 Monaten erreicht diese "Hilfe" damit einen Gesamtumfang von 3,9 Milliarden US-Dollar, das entspricht 3,4 Milliarden Euro. Die EU erwies sich als ebenso großzügig und drückte gut drei Milliarden Euro ab. Die weiteren Auszahlungen sollen davon abhängig sein, dass die Ukraine demokratische Mechanismen, Rechtstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte gewährleistet.
Keiner fragt mehr nach, weshalb die Prüfung der Menschenrechtsfrage überhaupt nötig ist, da die Ukraine doch als prowestliche Demokratie ausgegeben wird. Niemand bedenkt, dass eine solche Mitteilung für sich selbst genommen erklärungsbedürftig ist und den Verdacht nahelegt, dass die EU genau weiß, dass sie bisher Milliarden für ein demokratie- und menschenrechtsfeindliches Regime verschwendet hat.
Selbst die "Reporter ohne Grenzen", eine ausgesprochen transatlantisch geprägte Organisation, kritisierten:
Journalisten müssen mit Gewalt oder gezielten Anschlägen rechnen, wenn sie kritisch berichten. Die meisten Überfälle bleiben straffrei.
Die Gefangenenhilfe-Organisation Amnesty International, ebenfalls nicht frei von transatlantischen Einflüssen, äußerte sich noch konkreter:
Eine Untersuchung zu den Geheimgefängnissen, die der Inlandsgeheimdienst der Ukraine (Sluschba bespeky Ukrajiny – SBU) mutmaßlich betrieb, machte keinerlei Fortschritte. Angehörige der Strafverfolgungsbehörden wandten weiterhin Folter und andere Misshandlungen an.
Hierüber erfährt man von der ARD-aktuell so gut wie nichts, denn kritisch-negative Nachrichten über die Ukraine sind bei Kanzlerin Angelas Hofe in Berlin verpönt. Gönnerhafter Umgang mit der Ukraine ist deutsche Staatsraison. Gniffkes Qualitätsjournalistentruppe weiß und respektiert das. Kein Wunder, dass der Putschistenpräsident und Neonazi-Freund Petro Poroschenko jubelt: "Kanzlerin Merkel ist eine große Freundin der Ukraine".
Seine Freude hat materielle Gründe. Auch bei ihrem jüngsten Besuch in Kiew hatte Merkel – trotz der ukrainischen Folterpraxis, trotz der Gewalt gegen Journalisten und trotz der ständigen faschistischen Übergriffe und Umtriebe – wieder ein Mitbringsel dabei: eine Rate von 85 Millionen Euro. Sie ließ sich von der Herausgabe trotz auch des neuesten ultrarechten Exzesses nicht abhalten. Mutmaßliches Motto: Was ich (offiziell) nicht weiß, macht mich nicht heiß ...
In der Ukraine war der 1. Januar in diesem Jahr kein gewöhnlicher staatlicher Feiertag. Das Land erkor ihn zum Gedenktag an den vor 110 Jahren geborenen Nazikollaborateur Stepan Bandera. Den entsprechenden Beschluss hatte das ukrainische Parlament, die Rada, noch im vergangen Jahr gefasst. Tausende Menschen folgten dem Aufruf in einem Fackelzug, unter Ihnen Neonazis und Funktionäre paramilitärischer Verbände. Die westukrainische Stadt Lwiw hatte 2019 sogar kurzerhand zum "Bandera-Jahr" erklärt.
Darüber berichteten weder die Tagesschau noch die Tagesthemen. Niemand nahm Anstoß daran, weder der Bundestag, noch die EU, noch die Organisationen jüdischer Opfer der Nazis. Vor acht Jahren, vor dem "Maidan"-Putsch, hatte das noch ganz anders ausgesehen:
Es gab lauten internationalen Protest, als das Parlament in Kiew am 9. April 2010 beschloss, Stepan Bandera, Roman Schuchewytsch und Konsorten zu Nationalhelden zu erheben. Kritik an ihnen und ihren Organisationen sollten in der Ukraine wieder strafbar sein. Damit wurden Verbrecher und ihre Organisationen OUN und UPA entkriminalisiert, die sich im Zweiten Weltkrieg für die Nazis mit unzähligen Morden an der Zivilbevölkerung nützlich gemacht hatten. Der polnische Ministerpräsident Lech Kaczynski sah sich veranlasst, diese staatliche Heldenverehrung heftig zu kritisieren: Die OUN und die UPA seien an der Ermordung von mehr als 100.000 polnischen Zivilisten beteiligt gewesen, die Vergabe des Heldentitels an Bandera sei ein Schlag "gegen den Prozess des geschichtlichen Dialogs und der Versöhnung" beider Länder.
Die Jüdische Gemeinde Berlin veröffentlichte einen langen Artikel über Bandera, verurteilte die ukrainische Heldenverehrung und erinnerte daran, wes Geistes Kind die Bandera-Leute waren, indem sie sie zitierte:
Volk! Das musst Du wissen, Moskowiten, Polen, Ungaren und Juden – sie sind deine Feinde. Vernichte Sie! Das musst Du wissen! Deine Führung – das ist die Führung der ukrainischen Nationalisten, die OUN. Dein Führer – Stepan Bandera,
hieß es in einer Ansprache aus dem Führungskreis der Faschisten. Auch das Simon Wiesenthal Center, eine internationale Organisation zur Auffindung untergetauchter Nazis, fand deutliche Worte. In einem offenen Brief an den ukrainischen Botschafter in den USA äußerte der Leiter des Centers
tiefsten Ekel gegenüber der aktuellen Ehrung von Stepan Bandera, der im frühen Stadium des Zweiten Weltkrieges mit den Nazis kollaborierte und dessen Anhänger mit den Morden an tausenden Juden und Anderen in Verbindung stehen.
Es sei eine Schande, dass Juschtschenko sich "mit dem Erbe Banderas und der Täter" verbünde. Selbst das EU-Parlament sah sich zu einer kritischen Stellungnahme veranlasst:
Das Europäische Parlament bedauert zutiefst die Entscheidung des scheidenden ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko, Stepan Bandera, einem Führer der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), der mit Nazi-Deutschland zusammengearbeitet hat, posthum den Titel 'Nationalheld der Ukraine' zu verleihen.
Der später von Maidan-Terroristen weggeputschte Präsident Wiktor Janukowitsch hob das Bandera-Helden-Gesetz zwar wieder auf. Sein historisch angemessenes Verdikt blieb aber nicht lange gültig. Der beim Maidan-Umsturz gezeugte Pakt mit Alt- und Neonazis sowie mit Rechtsextremisten aller sonstigen Couleur brachte den Oligarchen und Multimilliardär Petro Poroschenko ins Amt, einen Protegé des Westens, auch der Kanzlerin Merkel, als deren politisches Hätschelkind, Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko, es nur bis zum Oberbürgermeister in Kiew geschafft hatte. Der "Schokoladenkönig" Poroschenko ließ 2016 die alte Rechtslage der Bandera-Heldenverehrung wieder herstellen.
Diesmal, wie gesagt, schwieg man im Westen. Bandera, der Judenmörder, hatte mit den Nazis doch auch gegen die Sowjets gekämpft ...
Auch Dr. Gniffkes Qualitätsjournalisten folgten diesem Trend. Sie waren sich nicht einmal zu schade, ein in Kiew randalierendes OUN-Faschisten-Bataillon zu verharmlosen, das beim Gedenktag an den Maidan im Februar 2016 zwei russische Banken gestürmt und die Einrichtungen zertrümmert hatte. "Nationalistische Demonstranten" seien an "Ausschreitungen" beteiligt gewesen, hieß es fascho-konform sprachgeregelt bei ARD-aktuell am 20.2.16, 16:55 h.
Wir schrieben daraufhin in einer Programmbeschwerde:
... Doppelformat: Während in Deutschland Rechtsextreme auch als Rechtsextreme oder extremistische Gewalttäter benannt werden, sieht es bei der Ukraine-Berichterstattung ganz anders aus: Dort heißen sie "die Menschen" oder, wenn es ganz schlimm kommt "nationalistische Demonstranten". (...) Der Ukraine-Neusprech des russophoben Herrn Dr. Gniffke ist zwar keine offene Lüge, er verschleiert aber, dass im NDR nach wie vor der Propaganda-Grundsatz Vorrang hat, den ukrainischen Rechtsextremismus wegen seiner gegenwärtigen Zielsetzung gegen Russland zu verharmlosen.
Chefredakteur Dr. Gniffkes Antwort:
Die ebenfalls (...) bemängelte Bezeichnung 'nationalistische Demonstranten' bewerten wir in diesem Zusammenhang als zutreffend, da es sich unserer Kenntnis nach, laut unserem Studio in Moskau, bei der Mehrzahl der Protestierenden um Nationalisten handelte, unter denen auch Rechtsextreme gewesen sein könnten.
Moskauer ARD-Korrespondenten vom Schlage Udo Lielischkies und Golineh Atai haben also von ihrem 1.000 Kilometer entfernten Studio aus zwischen "nationalistischen" und "rechtsextremen" Gewalttätern unterscheiden können. Respekt, Respekt, vor solchen übersinnlichen ferndiagnostischen Fähigkeiten der ARD-aktuell-Qualitätsjournalisten. Wir erdgebundenen Kritiker erkennen hier bloß entlarvte Propaganda.
Übergriffe gegen Schwule sind zwar in der antirussischen Propaganda der ARD-aktuell ein beliebtes Thema, nicht aber, wenn sie sich in der "demokratischen" Ukraine ereignen. Da wird eisern geschwiegen. Chefredakteur Dr. Gniffkes lachhafte Rechtfertigung:
Die Gewalt traf allerdings nicht die Teilnehmer des Gay-Pride-Marsches – diese wurden von der Polizei geschützt. Sondern es gab Übergriffe von ukrainischen Nationalisten auf die Polizei. Verletzt wurden bei den Auseinandersetzungen zahlreiche Polizisten und Anhänger des sog. 'Rechten Sektors sowie anderer nationalistischer Gruppen.' (ebd) (Man bemerke, dass hier der Begriff 'rechtsextrem' beschönigend vermieden wird).
Die Unterschiedlichkeit der Berichterstattung über gleichgeartete rechtsextreme Gewalt in Deutschland beziehungsweise in der Ukraine ist überdeutlich. Sie offenbart den rechtslastigen, antirussischen, transatlantisch normierten Tendenzjournalismus, dessen sich ARD-aktuell befleißigt. Sie weigert sich, die rechtextremistische Realität wahrzunehmen: In der Merkel-Politik und in der Mainstream-Berichterstattung (ARD-aktuell eingeschlossen) spielen Menschenrechte, Achtung von rechtsstaatlichen Normen und Respekt vor demokratischen Postulaten keine große Rolle, trotz aller gegenteiligen Bekundungen. Bezugnahmen auf sie erfolgen beliebig, wenn es sich grade als dienlich erweist.
Heuchelei und Opportunismus sind kein Privileg des Politikers. Auch der moderne Qualitätsjournalist bewährt sich darin eindrucksvoll.
Und was war jetzt mit dem im Titel angesprochenen vierten Affen? Diese Figur gehört tatsächlich zu dem weltbekannten Ensemble: Ein Affe, der die Hände im Schoß behält und sich weigert, etwas Aufklärendes und Revolutionierendes zu tun.
RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Das Autoren-Team:
Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 - 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.
Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Journalist. 1975 - 1996 im NDR, zunächst in der ARD-Tagesschau, nach 1991 in der NDR-Hauptabteilung Kultur. Danach Lehr- und Forschungsauftrag an der Fu-Jen-Uni Taipeh.
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